Afghanistan-Einsatz: Kritik an Jung:Die Lügen des Krieges

Lug und Trug: Das "deutsche Engagement am Hindukusch" ist in Misskredit geraten. Retten kann den "Krieg" nur noch ein Rücktritt Jungs und zur Abwechslung mal Ehrlichkeit.

Nico Fried

Wie viele Entlassungen muss ein solches Ereignis nach sich ziehen? Wie viele Rücktritte verlangt ein solches Debakel? Der Generalinspekteur ist weg. Ein Staatssekretär ist weg.

Afghanistan-Einsatz: Kritik an Jung: Einer der ausgebrannten Tanklaster in Kundus, Afghanistan. Der deutsche Afghanistan-Einsatz ist durch die Operation in Misskredit geraten.

Einer der ausgebrannten Tanklaster in Kundus, Afghanistan. Der deutsche Afghanistan-Einsatz ist durch die Operation in Misskredit geraten.

(Foto: Foto: AP)

Der Abgang des politisch verantwortlichen Ministers wäre die sauberste Lösung und zudem kein wirklicher Verlust für die Bundesregierung, in der Franz Josef Jung vor allem für seine Loyalität geschätzt wird und bisweilen auch für die gute Laune, die der freundliche Hesse in Kabinettssitzungen zu verbreiten vermochte. Selbst dafür kann man ihn ja nun nicht mehr wirklich gebrauchen.

All diese personellen Konsequenzen können jedoch den Schaden nicht aufwiegen, der durch die Informationspolitik über den Raketenangriff nahe Kundus für die Bundesregierung, die Bundeswehr und ihren Einsatz in Afghanistan entstanden ist.

Deutsches Afghanistan-Engagement in Misskredit

Dass am 4. September 2009 Zivilisten ums Leben kamen, war schon schlimm. Die Rechtfertigung, der Tod Unbeteiligter sei in Kauf zu nehmen, um eine Gefahr für die eigenen Leute abzuwehren, führt bereits an die Grenze des Zumutbaren - und selbst für manchen Befürworter dieses Einsatzes auch darüber hinweg. Gerade deshalb muss ja diese Rechtfertigung mit glaubwürdigen Fakten unterlegt sein.

Der Eindruck jedoch, dass die Umstände und Verantwortlichkeiten einer solchen Tragödie in Wirklichkeit vertuscht, beschönigt, verschwiegen oder heruntergespielt werden, bringt das gesamte deutsche Engagement in Afghanistan in Misskredit.

Das Fundament für die Entsendung von mehreren tausend Menschen nach Afghanistan, das aus Vertrauen in die politische und militärische Führung bestehen muss, bröckelt. Lug und Trug überschatten einen Einsatz, der schon immer schwierig war und zugleich immer noch schwieriger geworden ist.

Immer mehr ungeklärte Fragen

Das "deutsche Engagement am Hindukusch", wie der Krieg, an dem die Bundeswehr beteiligt ist, in etwas verklärender Abenteuersprache gerne genannt wird, steht nicht vor seinem Ende. Aber die Legitimation muss politisch neu erkämpft werden.

Alle Beteiligten sollten es nun mal mit Ehrlichkeit versuchen. Das gilt für die retrospektive Aufklärung der Geschehnisse, aber auch für die künftige Begründung, warum Deutschland sich in Afghanistan auch nach acht Jahren weiter engagieren soll. Das wird nicht leichter, wenn man nicht weiß, ob glaubhaft ist, was die Verantwortlichen zur Begründung vortragen.

Zumal aus den wenigen Antworten, die jetzt unfreiwillig gegeben wurden, noch mehr Fragen erwachsen, als bisher schon zu stellen waren: Wenn diesmal verheimlicht oder beschönigt wurde, was war dann in der Vergangenheit los? Wenn der Minister diesmal nicht informiert wurde, was wusste er in anderen Fällen?

Welche Unfälle, Gefechte, Angriffe sind wirklich so verlaufen, wie sie geschildert wurden? Wer kann den Hinterbliebenen von Soldaten, die in Afghanistan getötet wurden, garantieren, dass sie wenigstens die Wahrheit kennen über den Tod ihrer Nächsten?

Auch Guttenberg muss sich rechtfertigen

All dies muss der Verteidigungsminister nun klären - nicht zuletzt im eigenen Interesse, denn auch Karl-Theodor zu Guttenbergs Bewertung, der Beschuss von zwei feststeckenden Tanklastzügen sei trotz prozeduraler Fehler korrekt verlaufen, steht zur Disposition.

Der Minister beruft sich auf den geheimen Bericht der Nato, was die Frage aufwirft, ob die Erkenntnisse, die jetzt bekannt wurden, in diesem Bericht gar nicht enthalten waren. Hat die Nato sie nicht berücksichtigt? Hat Guttenberg sie übersehen? Wer schützt da wen? Die Nato sollte den Bericht nun endlich veröffentlichen. Denn der Schaden für einen Partner ist natürlich ein Schaden für das ganze Bündnis.

Deutschlands Krieg in Afghanistan hat von Anfang an unter mehreren Defiziten gelitten, und eines davon war, dass er nicht "Krieg" genannt werden sollte. Das hat die Bundeswehrsoldaten zu Aufbauhelfern verbrämt, die sie auch, aber nicht ausschließlich waren. Jeder tote Soldat, jeder Anschlag und jedes Gefecht haben dieses Bild erschüttert, aber an der verkrampften Definition eines "Stabilisierungseinsatzes" nichts geändert.

Für "Krieg" ist Vertrauen dringend notwendig

Seit dem Amtsantritt Guttenbergs ist nun von "kriegsähnlichen Zuständen" die Rede. Das ist ein Kompromiss daraus, dass die Politik von "Krieg" nicht sprechen will, aber Verständnis hat, wenn die Soldaten es als Krieg empfinden. Schon diese Rabulistik verwirrt mehr, als dass sie hilft.

Das zweite Problem bestand stets darin, dass dieser Krieg nicht nur aus außenpolitischer Verantwortung, sondern begleitet von innenpolitischen Zwängen beschlossen und verlängert wurde: Gerhard Schröder hat an die erste Entsendung deutscher Soldaten 2001 die Machtfrage geknüpft. Mit jeder Mandatsverlängerung erhielt sich ein Einsatz selbst am Leben, weil gegen die Forderung, nichts mehr zu leisten, das Argument stand, dafür sei schon zu viel geleistet worden.

Die Erfolge wurden übertrieben, um die Schwierigkeiten zu verschleiern. Nach der Afghanistan-Konferenz Ende Januar werden die Bürger aller Voraussicht nach erstmals dem Argument begegnen, dass man nun noch einmal deutlich mehr tun müsse, um dann schneller weniger tun zu können. Damit die Adressaten das glauben, wäre Vertrauen notwendig. Genau das ist nun zerstört worden.

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