Süddeutsche Zeitung

Afghanistan-Einsatz:Grünen-Basis verpasst Parteispitze Denkzettel

Die Grünen-Basis hat der Parteiführung eine deftige Niederlage beschert. Auf dem Sonderparteitag in Göttingen am Samstag wurde der Antrag des Bundesvorstandes zum Bundeswehr-Engagement in Afghanistan nicht als Leitantrag angenommen.

Die Grünen-Spitze muss im parteiinternen Streit über die Afghanistan-Einsätze der Bundeswehr eine schwere Schlappe einstecken. Die Basis empfahl der Grünen-Bundestagsfraktion am Samstag bei einem Sonderparteitag in Göttingen, den Afghanistan- Einsatz im Oktober im Bundestag abzulehnen.

Einen Fraktionszwang gibt es allerdings nicht. Die Parteispitze wollte der Fraktion keine Empfehlung aussprechen. Die Bundesregierung will im Oktober über die Verlängerung der Mandate für die Schutztruppe ISAF und den bei den Grünen umstrittenen Tornado-Einsatz im Paket abstimmen lassen.

Nach dem Parteitagsbeschluss treten die Grünen jetzt auch für den Abzug der Aufklärungstornados der Bundeswehr ein. Die Delegierten forderten mehrheitlich auch ein sofortiges Ende der US-geführten Antiterror-Operation "Enduring Freedom" (OEF).

Grundsätzlich unterstützen die Delegierten mehrheitlich einen Afghanisten-Einsatz. Göttingen bedeutet daher keinen grünen Richtungswechsel. Nach dem hitzigen Verlauf der Debatte drängt sich vielmehr der Schluss auf, dass die Mitglieder vor allem ihrem Unmut über die Streitereien in der Parteispitze Luft machten.

Der Leitantrag des Bundesvorstands, der nach zähem Ringen für den Sonderparteitag beschlossen worden war, wurde nicht zur Abstimmung zugelassen und durch eine Antrag des Parteilinken Robert Zion aus Gelsenkirchen ersetzt. Für den Vorstandsantrag stimmten am Samstag 264, für den Gegenantrag 361 der 638 Delegierten. Er wurde schließlich mit einigen Modifizierungen angenommen.

Parteichef Reinhard Bütikofer sagte nach der Abstimmung: "Verloren haben diejenigen, die nicht gekämpft haben." Damit kritisierte er indirekt den Außenpolitik-Experten Jürgen Trittin sowie die Fraktionschefs Renate Künast und Fritz Kuhn. Diese hatten die von der Führung vorgelegten Vorlage mit ausgehandelt. Künast wies den Vorwurf zurück: "Ich habe gekämpft." Sie erwarte eine "große Debatte" bei den Grünen.

"Sonst gehen wir viele Jahre rückwärts und verlieren viele Jahre Einfluss." Sie räumte ein: "Internationale Erfahrung positiv zu nutzen sieht anders aus." Parteichefin Claudia Roth betonte, unter anderem mit seiner Forderung nach einem Strategiewechsel drücke der Beschluss Gemeinsamkeiten der Grünen aus.

Bütikofer und andere Spitzen-Grüne hatten zuvor in einer hitzigen Debatte zur weiteren Unterstützung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr aufgerufen. "Afghanistan aufgeben ist keine Alternative", sagte Bütikofer. Eine Auseinandersetzung lieferten sich die Delegierten auch zum Einsatz der Tornado-Aufklärungsflugzeuge.

Bütikofers Rede wurde von lautstarken Protesten und Beifall begleitet. Anfangs störten kleine Gruppen junger Parteitagsgäste die Rede mit Sprechchören. Der Parteilinke Zion warnte bei der Einbringung seines Antrages vor einer "Irakisierung des Landes" durch den Militäreinsatz.

In einer mit Spannung erwarteten Rede ließ Trittin seine Haltung zu dem an der Basis strittigen Tornadoeinsatz offen. Mehrfach war spekuliert worden, dass der Fraktionsvize sich als möglicher Spitzenkandidat bei der nächsten Bundestagswahl in Stellung bringen will. Bütikofer wandte sich strikt gegen solche Vorentscheidungen: "Dies ist kein Schaulaufen für 2009."

Künast sagte, das Signal des Parteitags müsse sein "Nein zu OEF, Ja zu ISAF und die scharfe Aufforderung an die Bundesregierung, endlich den Strategiewechsel vor Ort auch ankurbeln zu lassen". Kuhn sagte, zahlreiche Hilfsorganisationen in Afghanistan müssten geschützt werden. Ein Scheitern von ISAF untergrabe die Glaubwürdigkeit der UN.

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