Afghanistan-Einsatz:Betrug an der Öffentlichkeit

Aus Angst vor unangenehmen Diskussionen haben alte und neue Bundesregierungen den Afghanistan-Einsatz zu lange verniedlicht. Eine politische Verfehlung, die nun auf Kanzlerin Merkel zurückfällt.

Stefan Kornelius

Jetzt, da sich die volle Dimension des Kundus-Luftschlags erschließt und sich die Verwirrung über den eigentlichen Hergang des Bombardements legt, sind drei Dinge aufzuklären. Erstens: Durfte der deutsche Oberst überhaupt die Tötung der Taliban befehlen, gibt es also eine Rechtsgrundlage für den Einsatz? Zweitens: Warum hat die Bundesregierung das eigentliche Ziel des Angriffs monatelang und vor allem in den Wochen vor der Bundestagswahl verschwiegen? Wer wusste also wann und wie viel von der eigentlichen, politischen Dimension des Luftschlags? Drittens: Welche Fehler hat der Erbnehmer des Problems, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, bei der Aufklärung gemacht?

Karl-Theodor zu Guttenberg, Angela Merkel, AP

Minister Guttenberg, Kanzlerin Merkel: Gravierende politische Unterlassung

(Foto: Foto: ap, Archivbild vom 3.12.)

Guttenberg ist eigentlich eine Randfigur, wenn man die wahre Dimension des Abgrundes vermisst, der sich nun auftut. Guttenberg hielt den Luftschlag zunächst für angemessen und sprach lediglich von Verfahrensfehlern. Später korrigierte er sich und nannte die Sache unangemessen. Dieser Meinungswandel sei durch den Bericht von Oberst Klein ausgelöst worden, in dem es heißt, er (Klein) habe die Taliban "vernichten" wollen.

Mehr als ein Verfahrensfehler

Guttenberg ist darüber zurecht empört, hätte seine Empörung aber schon zuvor empfinden können. Denn auch der Isaf-Bericht, auf dem sein erstes Urteil ("angemessen") beruht, nennt die Taliban als das eigentliche Ziel des Angriffs. Auch geht es aus dem Bericht klar hervor, dass Oberst Klein nicht nur Verfahrensfehler begangen hat. Er hat gegen Einsatzregeln verstoßen, das ist keine bürokratische Lappalie. Und deswegen verdient er es auch nicht, vom Minister geschützt zu werden. Sein Fall gehört disziplinarrechtlich untersucht.

Guttenberg hält das Bombardement feindlicher Kämpfer für angemessen. Das ist eine politische Wertung, die in die Zeit der alten, großkoalitionären Bundesregierung zurückreicht. Wenn diese Regierung den offensiveren Umgang mit den Taliban gebilligt hat, wofür alles spricht, dann wird das in den Mandaten und den Einsatzregeln niedergelegt sein. Dann war auch der Bundestag, Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier zu dieser Zeit informiert. Dann lässt sich auch die Rechtsbasis des Angriffs schnell klären.

Das UN-Mandat und das Isaf-Mandt erlauben die Anwendung von Gewalt. Entscheidend ist, welche genauen Einschränkungen die deutschen Einsatzregeln vorgeben, und welches Maß an Verhältnismäßigkeit von den Soldaten abverlangt wird. Daran muss die rechtliche Basis des Luftschlags beurteilt werden.

Verschleierungstaktik mit Tanklastzügen

Wichtiger ist aber die politische Verantwortlichkeit. Wenn es nämlich die offensiveren Einsatzregeln gibt, dann hat keiner der politisch Verantwortlichen es für nötig befunden, die neue Dimension öffentlich zu vermitteln. Das ist eine gravierende politische Unterlassung, ein Betrug an der Öffentlichkeit, der sich nun rächt.

Hier kommt man an den eigentlichen Kern des Skandals. Es kann weder der Kanzlerin, noch den damaligen Ministern Jung und Steinmeier verborgen geblieben sein, dass die Taliban das eigentliche Ziel des Angriffs waren. Nach dem Luftschlag aber redete das versammelte politische Deutschland von den Tanklastzügen als dem eigentlichen Ziel des Angriffs. Niemand deckte die eigentliche Dimension auf: Aus Furcht vor dem Wähler, aus Angst vor der Wahrheit, aus Sorge vor dem politischen Rückschlag betrog man sich selbst.

Scheinbar unzumutbare Wahrheiten

Nun, da die Wahrheit ans Licht gekommen ist, rächt sich dieser Selbstbetrug umso stärker - ein Selbstbetrug, der weit in die Entstehungsgeschichte des Einsatzes zurückreicht, bis zur rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder. Seit 2001 wird die eigentliche Natur des afghanischen Abenteuers verschwiegen oder verniedlicht. Nein, in Afghanistan wird ein Krieg geführt, aber niemand möchte die Wahrheit der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit zumuten. Sie gilt als unzumutbar, weil sie keinen Applaus verspricht und weil sie nicht mehrheitsfähig ist.

Guttenberg, Afghanistan, Kundus, ddp

Minister Guttenberg mit dem Gouverneur der Provinz Kundus, Enginer Mohmad Omar (2.v. links): Die ganze Wahrheit verspricht keinen Applaus

(Foto: Foto: ddp)

Was für den Rest der Welt eine sicherheitspolitische Binse ist, ist für die deutsche Politik ein Problem. Jetzt ist das Thema in all seiner Widersprüchlichkeit offenbar geworden. Jetzt hat die Bundeskanzlerin einen Erklärungsnotstand, weil sie darlegen muss, warum sie drei Monate mit Hilfe einer Nato-Untersuchung Zeit schinden ließ, wo sie doch eigentlich die Wahrheit hätte wissen müssen. Gäbe sie Unkenntnis vor, ist das nicht minder gravierend. Die Kanzlerin muss sich um die Details dieses Luftschlags gekümmert haben. Es gab kein wichtigeres militärisches Thema.

Die SPD und ihr Fraktionsvorsitzender Steinmeier haben ebenfalls ein Problem, da der ehemalige Außenminister das eigentliche Ziel des Angriffs gekannt haben oder sich dafür interessiert haben müsste.

Nicht zuletzt hat die Öffentlichkeit ein Problem, weil sie sich selbst belogen hat. Für den Einsatz in Afghanistan gibt es viele gute Gründe. Nun ist es an der Zeit, die volle Dimension dieser Verpflichtung zu akzeptieren: Warum engagiert sich Deutschland in diesem Land? Welche militärischen Mittel will es in diesem Krieg einsetzen? Welche Konsequenzen kann all das haben - bis hin zum Bombardement auf der Sandbank von Kundus. Es ist Zeit, den Selbstbetrug zu beenden.

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