Afghanistan:Die Taliban vor dem Tor

Lesezeit: 2 min

Getarnt als Armeesoldaten und mit Insider-Wissen, verüben die Islamisten ein Massaker mit 130 Toten in einer afghanischen Kaserne im Norden.

Reihenweise Särge: Die von den Taliban getöteten Soldaten auf dem Hof der Kaserne bei Masar-i-Scharif. (Foto: Reuters)

Mit dem Taliban-Angriff auf eine afghanische Militärbasis mit mindestens 300 Toten und Verletzten ist die verheerende Sicherheitslage in dem zentralasiatischen Land noch einmal greifbarer geworden. Da in der Kaserne normalerweise auch deutsche Ausbilder im Einsatz sind, wurde zugleich die starke Gefährdung ausländischer Soldaten und Militärberater in Afghanistan deutlich. Es war der bisher schwerste Angriff der Taliban auf Truppen der Kabuler Armee. Die Staatsführung rief für die "ehrenwerten und tapferen muslimischen Soldaten, die während des Freitagsgebets zu Märtyrern" geworden seien, einen Trauertag aus. Präsident Aschraf Ghani selbst hatte den Stützpunkt nahe Masar-i-Scharif in der Nordprovinz Balch nach dem Überfall besucht.

Bei dem Angriff von nur zehn Taliban-Kämpfern waren 140 Soldaten getötet und mehr als 160 verwundet worden. In der Kaserne arbeiten normalerweise auch deutsche Ausbilder aus dem nahen Bundeswehr-Feldlager Masar-i-Scharif. "Deutsche Soldaten waren zu keiner Zeit des Anschlags vor Ort", sagte ein Bundeswehrsprecher.

Einem afghanischen Militärvertreter zufolge gelangten die Angreifer in Armeeuniformen und mit zwei Militärfahrzeugen sowie falschen Papieren ins Innere der Kaserne. Mit Panzerfäusten und Maschinengewehren töteten sie die völlig überraschten und teilweise unbewaffneten Soldaten, die gerade vom Freitagsgebet aus der Moschee kamen oder bereits beim Essen in der Mannschaftskantine waren. Die Angreifer selbst sprengten sich bei der Attacke in die Luft oder wurden nach einem stundenlangen Gefecht getötet oder gefangen genommen. Die Taliban selbst sprachen sogar von mehr als 500 Opfern unter den Soldaten und erklärten, vier ihrer Kämpfer hätten als Ex-Soldaten der Kaserne Ortskenntnisse gehabt. Dazu veröffentlichten sie angebliche Bilder der Angreifer.

In sozialen Netzwerken machten viele Afghanen ihrer Wut Luft. "Wer wird nach dem Desaster von Masar zurücktreten? Der Verteidigungsminister, der Vizeminister oder irgendein kleiner Mann?", fragte der politische Beobachter "Badloon" auf Twitter. "Die beste Art, die Toten zu ehren, ist, diejenigen zu bestrafen, die mit dem Feind kooperiert haben: ein paar Verantwortliche müssen gehen", forderte ein anderer Nutzer. Der Experte Atikullah Amarchail sagte der AFP, der Angriff sei ein "immer wiederkehrendes totales Fiasko" für die afghanischen Geheimdienste. "Wir stehen einer Guerilla gegenüber, die in kleinen Gruppen angreift. Wir sollten lernen, uns dieser Taktik entgegenzustellen."

Trotz der verheerenden Bilanz wertete die Bundeswehr den Taliban-Angriff erstaunlicherweise als Beleg für die Schlagkraft der Kabuler Streitkräfte. "Letztendlich haben die afghanischen Sicherheitskräfte auch diese Situation in den Griff bekommen", sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der dpa. "Das zeigt auch, dass wir weitermachen müssen mit unserem Trainingsauftrag."

Die afghanischen Streitkräfte erleiden im Kampf gegen die Taliban seit Monaten schwere Verluste. Die Sicherheitslage hatte sich rapide verschlechtert, seit die Nato ihren Kampfeinsatz Ende 2014 durch eine Ausbildungsmission ersetzt und die Truppenzahl stark reduziert hat; US-Generale fordern bereits wieder eine Aufstockung der Truppenzahl. Die Nato-Ausbildungsmission "Entschlossene Unterstützung" soll Afghanistans Armee helfen, die Sicherheit zu gewährleisten. Es ist der Nachfolgeeinsatz der Isaf-Mission, die 2014 endete. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben inzwischen offiziell eine Stärke von 350 000 Mann. Die Bundeswehr stellt von den 12 000 Soldaten des Nato-Einsatzes derzeit 941 Soldaten, die die afghanische Armee ausbilden. Die EU warb für eine "umfassende friedliche" Lösung des Afghanistankonflikts. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprach sich für ein stärkeres Engagement regionaler Akteure aus.

© SZ vom 24.04.2017 / dpa, AP, AFP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: