Afghanistan:"Die Schonfrist für Deutschland ist vorbei"

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Der US-Präsident steht wegen seiner Afghanistan-Strategie unter Druck. Amerika-Experte Braml über Obamas Zwänge - und die Folgen für Deutschland.

Wolfgang Jaschensky

Den Friedensnobelpreis hat US-Präsident Barack Obama bereits in der Tasche, vom Frieden in Afghanistan ist er als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte aber noch weit enfernt. In seiner Heimat gerät Obama in der Diskussion über die künftige Strategie in Afghanistan zunehmend in Bedrängnis. Republikaner und führende Militärs setzen US-Präsident Barack Obama unter Druck und fordern weitere 40.000 Soldaten. Viele Demokraten dringen auf einen Kurswechsel - und fordern, Truppen abzuziehen. Josef Braml rechnet deshalb mit zusätzlichen Anforderungen an Europa und Deutschland. Braml ist Amerika-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und beschäftigt sich insbesondere mit der Außen- und Sicherheitspolitik der USA, den transatlantischen Beziehungen und den innenpolitischen Faktoren amerikanischer Außenpolitik.

sueddeutsche.de: US-Präsident Barack Obama hat den Friedensnobelpreis bekommen. Welchen Einfluss könnte diese Auszeichnung auf seine Außenpolitik haben - besonders im Hinblick auf den Krieg in Afghanistan?

Josef Braml: Keine. Der Preis wird sich nicht auf das Kalkül des Präsidenten und besonders nicht auf das der Senatoren und Kongressabgeordneten auswirken. Die Vergabe an Obama ist eine Geste der Hoffnung, aber die Realität und der politische Alltag ist eine andere Sache.

sueddeutsche.de: In den USA tobt weiter ein Streit über die richtige Strategie für Afghanistan. Wie wird sich der Präsident hier verhalten?

Braml: Die Situation ist verfahren. Viele Afghanistan-Experten in den USA sind sich uneinig über die richtige Strategie. Der US-Kommandeur in Afghanistan, Stanley McChrystal, hat sich weit aus dem Fenster gelehnt mit seinen lautstarken öffentlichen Forderungen nach mehr Soldaten. Ein ähnliches Verhalten hat seinem Vorgänger den Job gekostet. Verteidigungsminister Robert Gates hat erst vorsichtig eine Truppenreduzierung für möglich gehalten, hält sich jetzt aber wieder alle Optionen offen. Und Obamas Vize Joe Biden spricht sich dafür aus, mit weniger Soldaten einen Anti-Terror-Krieg gegen al-Qaida vor allem in Pakistan zu führen. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass die Amerikaner auch nicht so recht wissen, was die optimale Strategie ist. Obama wird wohl die Zahl der Truppen leicht erhöhen - und das nicht lange durchhalten können.

sueddeutsche.de: Warum?

Braml: Obama bekommt große Schwierigkeiten mit seinen Parteifreunden, vor allem mit den gewerkschaftsnahen Demokraten. Die fordern, das Geld nicht in Kriege am anderen Ende der Welt zu stecken, sondern für soziale Belange einzusetzen. Obamas zentrales innenpolitisches Projekt, die Gesundheitsreform, engt den Handlungsspielraum des Präsidenten enorm ein.

sueddeutsche.de: In welcher Hinsicht?

Braml: Zum einen geht es um Aufmerksamkeit und Erwartungen, die sind nicht zu unterschätzen. Von Obama wird vor allem erwartet, dass er sich um die Probleme in Amerika kümmert. Er wurde nicht gewählt, weil die Menschen ihn für den besten Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte hielten. Das hätten die Amerikaner auch John McCain zugetraut. In den USA leben 45 Millionen Menschen ohne Gesundheitsversicherung, weitere 30 Millionen sind unterversichert. Mit der zunehmenden Arbeitslosigkeit steigt neben der wirtschaftlichen auch die soziale Unsicherheit. Die Betroffenen sind zu einem Gutteil Obamas Wähler - und für sie muss er Ergebnisse erzielen. Das andere Problem sind die Ressourcen. Die Wirtschaftsförderprogramme und Gesundheitsreform kosten viel Geld, und manche Haushaltsexperten, darunter auch fiskalkonservative Demokraten, warnen schon jetzt, dass das Defizit aus dem Ruder gelaufen ist.

sueddeutsche.de: In dieser Situation ist es für die USA naheliegend, mehr Engagement von den Verbündeten zu fordern. Verteidigungsminister Gates sprach unlängst von der "Unfähigkeit" der Alliierten, "genug Soldaten nach Afghanistan zu schicken". Wird Obama versuchen, die Nato-Partner noch stärker einzuspannen?

Braml: Auf alle Fälle! Der innenpolitische Druck wird an uns weitergegeben werden. Vor allem an Deutschland. Die Amerikaner haben bislang unsere politische Situation im Wahlkampf berücksichtigt und sich mit Forderungen nach stärkerer Beteiligung bei Kriegseinsätzen zurückgehalten. Aber nun ist die Schonfrist für Deutschland vorbei - und jetzt werden wir liefern müssen. Wenn Angela Merkel im November als erstes deutsches Regierungsoberhaupt seit Konrad Adenauer vor beiden Kammern des US-Kongresses sprechen sollte, wird sie einige Gegenleistungen im Gepäck haben müssen. Das können Zusagen für mehr Soldaten oder mehr Geld sein.

sueddeutsche.de: Merkel könnte den Forderungen aus den USA auch eine Absage erteilen.

Braml: Nicht wenn Deutschland weiter mitreden will. Berlin ist nur gefragt, wenn die Regierung bereit ist, die Führungsleistung mitzutragen. Wenn nicht, müssen wir mit der Zuschauerrolle zufrieden sein - und dürften uns darüber auch nicht beschweren. Die Amerikaner nennen das effektiven Multilateralismus.

sueddeutsche.de: Sollten sich Deutschland und andere Nato-Partner verweigern, werden die USA also wieder unilateral handeln?

Braml: Erst einmal zumindest weniger multilateral. Außerdem werden wir eine heftige Debatte über die Entwicklung der Nato erleben. Das Bündnis ist für die USA ein Mittel, die Kosten für ihre Einsätze den Trittbrettfahrern aufzubürden. Obama hat schon bei seiner Berliner Rede klargemacht, dass er die Nato nicht mehr für die Anforderungen des neuen Jahrhunderts gerüstet sieht. Wenn Europa sich nicht beteiligt, werden wir schlechte Argumente haben, wenn sich die USA verstärkt an asiatische Staaten wenden. Die Europäer denken in Sachen Nato noch zu sehr in den Strukturen des Kalten Krieges, die USA sind da weiter.

sueddeutsche.de: Viele Menschen in Deutschland sehen aber den bisherigen Einsatz äußerst kritisch. Wie soll die Regierung Merkel eine Ausweitung des Engagements erklären?

Braml: Der Schlüssel ist Kommunikation. Deutschland braucht eine Debatte über den Krieg in Afghanistan. Nur so kann die Politik dem Einsatz die nötige Legitimation verschaffen. Hier ist übrigens nicht nur die Regierung in der Pflicht, sondern auch das Parlament. Das geht schon damit los, dass die Politiker den Einsatz endlich als das bezeichnen müssen, was er ist: einen Krieg. Die Politik darf die Soldaten nicht in solch einen Einsatz schicken, ohne für die nötige gesellschaftliche Unterstützung zu sorgen. Da sind die USA vorbildlich: Die Amerikaner führen eine pluralistische Debatte über den Krieg und streiten heftig darüber, was ihr nationales Interesse dabei ist. Das brauchen wir in Deutschland auch.

sueddeutsche.de: In der aktuellen Debatte über eine Aufstockung der Truppen ist Obama aber noch unentschlossen. Ist es weise, so lange zu zögern?

Braml: Wenn man Soldaten in den Krieg schickt, ist es zumindest vernünftig, genau abzuklären, ob das nötig ist. Eine Woche länger darüber nachzudenken, kann jedenfalls nicht schaden.

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