Mauermaler in Afghanistan:"Kabul ist ein verdammtes Gefängnis geworden"

Mauermaler in Afghanistan: "Wir wollen das Gesicht des ganzen Landes verändern": Enayatullal Hekmat vor einem Werk des Aktionsbündnisses in der Hauptstadt Kabul.

"Wir wollen das Gesicht des ganzen Landes verändern": Enayatullal Hekmat vor einem Werk des Aktionsbündnisses in der Hauptstadt Kabul.

(Foto: Sandra Calligaro)

Panzerglas, Stacheldraht, Betonmauern: Die afghanische Hauptstadt ist beklemmend. Eine Künstlergruppe will das nicht hinnehmen und zieht mit Pinseln und Farbe los.

Von Jan Heidtmann, Kabul

"Was mir zu Kabul einfällt?", fragt Enayatullal Hekmat lachend. "Gefängnis. Kabul ist ein verdammtes Gefängnis geworden. Musst dich doch bloß umschauen!" Hekmat steht in der Mitte des Massoudplatzes, der gerade im Vormittagsstau erstickt.

Wie mit einer Kompassnadel fährt er mit seinem Arm einmal rund um den Platz: Nach Norden geht die Straße zum Flughafen weg, an der Ecke der Oberste Gerichtshof, versteckt hinter schweren Betonmauern, nach Süden das Gesundheitsministerium, Soldaten mit kugelsicheren Westen und Maschinenpistolen im Anschlag bewachen das doppelt gesicherte Stahltor vor der Einfahrt. Im Westen die US-Botschaft, wieder Betonmauern, in mehreren Schichten, unterbrochen von Wachtürmen, die panzerverglasten Fenster so klein wie Schießscharten, Stacheldraht. "Wir leben hier in einem Hochsicherheitstrakt", sagt Hekmat.

Er will das ändern, seit zwei Jahren schon. Er hat sich den Art Lords angeschlossen, einer Gruppe von Malern, Grafikdesignern und Konzeptkünstlern, die die Stadt mit großflächigen Gemälden überziehen. Die sogenannten T-Walls, die verschiebbaren Betonwände mit dem schweren Sockel, die das Stadtbild prägen, sollen so umgedeutet werden. "Wir wollen das Gesicht Kabuls und des ganzen Landes verändern", sagt Hekmat.

Um die 500 Bilder hat die Gruppe in den vergangenen zweieinhalb Jahren gemalt: den Talib, der keinen Raketenwerfer im Arm hält, sondern einen riesigen Bleistift; den Jungen, der liest, statt zu arbeiten an der Mauer eines Ministeriums; das Verbotsschild, in dem ein Mann mit einem Mädchen an der Hand eingezeichnet ist. Ein Appell gegen die weit verbreiteten Kinderehen.

Hekmat geht schnellen Schrittes über die Straße, gleitet dabei wie ein Balletttänzer an den fahrenden Autos vorbei und klatscht mit der flachen Hand auf ein weiteres Gemälde an der Mauer zum Gesundheitsministerium. Es zeigt die erste Kommandeurin in der afghanischen Armee. "Wir haben auch eine Geschichte der Aufklärung. Das sollen die Leute erfahren." Dafür machen die Art Lords aus ihren Malaktionen eine Art Happening. "Die Passanten bekommen Pinsel und Farbeimer in die Hand und können mitmalen. Das macht denen richtig Spaß."

Strategie der Attentäter wird immer perfider

Enayatullal Hekmat, 27, hat in Kabul Kunst studiert, er gehört zur neuen Generation der Stadt, Jeans, schicke braune Schuhe, ein rot-schwarz kariertes Blouson, an der Hand trägt er einen goldenen Ring, in den ein großer, roter Edelstein eingefasst ist. Er stammt aus einem Dorf, sechs Stunden mit dem Bus von der Hauptstadt entfernt. "Kabul steht für mich für Freiheit, wir haben hier alles, Schulen, Krankenhäuser, Cafés", sagt Hekmat. "Doch im Moment ist es kein guter Ort. Es droht uns, das wieder zu verlieren."

Das vergangene Jahr war eines der blutigsten seit dem Sturz der Taliban, Tausende Menschen wurden getötet oder verletzt. Allein in Kabul ereigneten sich bis zum Jahresende 16 schwere Anschläge, darunter die Bombe, die Ende Mai bei der deutschen Botschaft explodierte und mehr als 150 Menschen umbrachte. Regelmäßig versuchen die Terroristen, den Sitz der alliierten Streitkräfte in der Innenstadt mit Granaten und alten Raketen sowjetischer Bauart zu beschießen. Weil sie dabei improvisieren, landen die Geschosse oft irgendwo in der Stadt. Zuletzt traf es die indische Botschaft.

Gleichzeitig wird die Strategie der Attentäter immer perfider: Durch ein Loch im Wagenboden legen Terroristen im Stau eine Bombe auf die Straße, gezündet wird in sicherem Abstand. An den schwer bewachten Gebäuden wird mittlerweile ein Selbstmordattentäter vorgeschickt, nach der Explosion dringen die Terroristen dann in das Gebäude ein, um sich selbst in die Luft zu sprengen.

Das andere Kabul, energiegeladen, laut, anarchisch

Nach jedem größeren Anschlag verschärfen Militär und Polizei die Sicherheitsvorkehrungen in der Innenstadt. Rund um die sogenannte Green Zone, den Sitz der Botschaften und vieler Regierungsgebäude, verläuft der "Ring of Steel", der Stahlring, dessen Einfahrten schwer bewaffnete Soldaten und Polizisten bewachen. Das US-Militär hat weiße Zeppeline in der Luft, die ständig mit hochauflösenden Kameras jede Bewegung in den Straßen verfolgen. "Kabul - the peace city" steht in grüner Sprühfarbe an einer der T-Walls.

Doch es hilft nichts. Am Samstag sprengte sich ein Attentäter mit einem Krankenwagen an einem der Checkpoints nahe der niederländischen Botschaft in die Luft. Mehr als 100 Menschen wurden getötet, mehr als 200 verletzt. Es war der zweite Anschlag innerhalb einer Woche mitten im Herzen der Stadt. Am Samstag davor hatten mehrere Taliban das Hotel Interkontinental gestürmt, 22 Menschen getötet, darunter 15 Ausländer, und das Haus über mehrere Stunden belagert.

Wie ein Mahnmal für die Verletzlichkeit der Stadt steht der rußgeschwärzte Betonbau auf dem Hügel in der Mitte Kabuls. Inzwischen gehen die Ermittler davon aus, dass die Terroristen Hilfe innerhalb des Hotels oder gar in den Sicherheitsbehörden hatten. Dann hilft auch kein Ring of Steel mehr. "Es macht die Leute kaputt", sagt Enayatullal Hekmat. "Nicht so auf einmal, sondern Stück für Stück. Es zermürbt sie."

In der Provinz malen - unter Polizeischutz

Aber er hat jetzt keine Lust mehr auf die Tristesse dieser Stadt. Es gibt ja auch das andere Kabul, energiegeladen, voll, laut, dreckig, anarchisch. Hekmat ist im Café Khanagi verabredet, es liegt im Bezirk Wazir Akbar Khan, einem der besseren Viertel. Der Weg dahin führt vorbei am Zoo und am Vergnügungspark, wo sich an Donnerstagen und Freitagen, dem Wochenende in Afghanistan, die Familien treffen.

Am Straßenrand verkauft ein Mann Goldfische. Sie schwimmen in großen, durchsichtigen Plastiktüten voller Wasser, immer zwei, die an seinem Karren aufgehängt sind. Es sieht aus wie eine Kunstinstallation; eine Schar vielleicht zehnjähriger Mädchen versucht, die Straße zu überqueren, sie kommen gerade aus der Schule und lachen, weil es ihnen nicht gelingt hinüberzukommen. Eine Frau in einer schmutzigen, königsblauen Burka steht mitten auf einer Hauptverkehrsstraße und bettelt. An der Hand hält sie einen vierjährigen Jungen.

Hekmat will, dass man das alles sieht, die Bäcker mit den Fladenbroten in Fischform in den Auslagen, die gigantischen Hallen, die Wedding-Halls, in denen die Afghanen ihre Hochzeiten veranstalten. "Das ist der Alltag hier, den dürfen wir uns nicht kaputt machen lassen." Ein Bild noch, bevor er dann losmuss. Es zeigt Königin Soraya Tarzi, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für Frauenrechte kämpfte. Das Gemälde prangt an den Mauern, die den alten Präsidentenpalast umschließen.

Wie ein kariöser Zahn steht er auf einem Hügel, umgeben von einem Gerüst. Darauf, in großen arabischen Schriftzeichen: "Wir können das." Gemeint sind die Ingenieurinnen und Architektinnen, die an dem Wiederaufbau mitarbeiten. Die Frauen wollen so zeigen, dass auch sie auf dem Bau arbeiten können. "Männer dürfen hier nur Steine schleppen", sagt Hekmat.

Er kann ja verstehen, dass jetzt gerade die jungen Leute das Land verlassen wollen. "Jedes Mal nach einem Anschlag überlege ich selbst, ob ich abhauen soll." Doch nach zwei, drei Tagen sei das vergessen. "Ich geb das hier doch nicht einfach auf." In der kommenden Woche will er mit seinen Mitstreitern von den Art Lords in die Provinz fahren. Sie werden dort die Wände einer Dorfschule zu bemalen. Die Polizei habe schon zugesagt, sie zu beschützen.

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