Afghanistan-Debatte:"Herr Westerwelle" redet ein bisschen Tacheles

Der Außenminister sieht in Afghanistan einen "bewaffneten Konflikt" und verteilt Lob. Vorgänger Steinmeier lobt sich selbst - und piesackt den "Herrn Westerwelle".

Oliver Das Gupta

Als Guido Westerwelle mit seiner Regierungserklärung fertig ist, kann er zufrieden sein. Applaus brandet für den Bundesaußenminister auf, nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz. Es klatschen die Regierungsfraktionen von Union und FDP.

Gudio Westerwelle Außenminister Afghanistan Bundestag Reuters

Werbung um Zustimmung aller Fraktionen für das Afghanistan-Mandat: Außenminister Guido Westerwelle während seiner Regierungserklärung im Bundestag

(Foto: Foto: Reuters)

Westerwelle geht zur Regierungsbank, setzt sich neben Angela Merkel. Die Kanzlerin schaut die meiste Zeit sphingenhaft geradeaus. Viel haben sich die beiden nicht zu sagen, wohl auch Ausdruck des Westerwell'schen Wütens keine 24 Stunden zuvor über Merkels Atomaustiegsminister Norbert Röttgen.

Die ganz große Koalition

An diesem Morgen aber, beim Thema Afghanistan, übt man sich in der ganz großen Koalition. Die SPD wurde beim Konzept für die Mission am Hindukusch mit eingebunden - und ausgerechnet der Oberliberale Westerwelle, der das Attribut "sozialdemokratisch" oft wie ein Schimpfwort benutzt, darf staatstragende Worte an die Opposition richten.

Der Diplomat von der FDP spricht von einem "Neuanfang" für das geschundene Land, von "innerer Aussöhnung", von "jungen Männern ohne Perspektive" in den Reihen der Taliban, die für "ein paar Dollar bereit sind" an der Seite hartgesottener Islamisten zu kämpfen. Er erläutert das deutsche Engagement, den Bau von Krankenhäusern, von Schulen, der Ausbildung von Lehrern und Polizisten.

Immer wieder bekommt Westerwelle Applaus aus den Reihen von CDU, CSU und seiner FDP, sogar von der Opposition. Selbst bei Frank-Walter Steinmeier und Renate Künast rühren sich die Hände, als der FDP-Chef von zivilen Helfern, den Polizeibeamten, den "tapferen Männern und Frauen der Bundeswehr" spricht, die dabei helfen, Afghanistan aufzubauen.

Guido Westerwelle hält eine solide Regierungserklärung. Er betont dies und jenes, sonst liest er flüssig vom Blatt ab. Etwas hölzern wirkt das, so wie seine Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, aber, nun ja: So klingen nun mal die meisten Regierungserklärungen.

Für einen Neuigkeitswert sorgt Westerwelle auch: Er verkündet vom Pult herab, dass die Bundesregierung eine Neubewertung der Lage in Afghanistan vorgenommen habe. Der Außenminister spricht erstmals von einem "bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts" und fügt hinzu: "Ob uns das gefällt oder nicht, so ist die Lage."

Lob für Guttenberg

Und weiter: "Diese rechtliche Qualifizierung der objektiven Einsatzsituation von Isaf hat Konsequenzen für die Handlungsbefugnisse der Soldaten, der Befehlsgebung und für die Beurteilung des Verhaltens von Soldaten in strafrechtlicher Hinsicht."

Das ist neu, das ist ein bisschen Tacheles. Bislang hatte die Regierung - sowohl die alte, als auch die neue - solche klaren Worte gemieden. Berlin drückte sich um eine genaue Qualifizierung herum. Immerhin hatte sich Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach Amtsantritt dazu durchgerungen, von "kriegsähnlichen Zuständen" zu sprechen.

Westerwelles christsozialer Rivale auf dem Feld der Sicherheits- und Außenpolitik wird vom Vizekanzler in seiner Regierungserklärung mit warmen Worten bedacht. Sowohl ihm, als auch den Kabinettskollegen Thomas de Maizière und Dirk Niebel dankt Westerwelle namentlich. Das sorgt für Gemurmel, teilweise Belustigung auf den Oppositionsbänken.

Westerwelle verzieht keine Miene, er spricht konzentriert. Mal hat er die Hände gefaltet, mal hält er das Pult fest.

Nette Worte, auch für die Opposition

Natürlich kommt bei Westerwelle auch Westerwelle nicht zu kurz. Er erwähnt die Londoner Afghanistankonferenz und deren Beschlüsse, er sagt: "Deutschland hat ...", "wir werden" und "wir haben" - und meint damit sich selbst.

Am Ende seiner Rede sagt der selbstbewusste FDP-Chef nette Worte in Richtung der Parlamentarier, die er eigentlich ganz und gar nicht mag: In das deutsche Konzept für die Londoner Konferenz seien die Anregungen der Fraktionen mit eingeflossen. Und deshalb wäre dies "nicht nur ein Erfolg für die Bundesregierung, sondern auch ein Erfolg des Parlaments und aller Fraktionen."

Dann bittet Guido Westerwelle freundlich um "Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung". Er setzt sich auf die Regierungsbank und erwartet mit starrem Gesicht die Rede seines Amtsvorgängers Steinmeier.

Im Video: Bundesaußenminister Westerwelle wirbt im Parlament für das neue Afghanistan-Mandat, mit dem mehr Bundeswehrsoldaten an den Hindukusch geschickt werden können.

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Steinmeier staatsmännisch und stichelnd

Der Oppositionsführer und Fraktionschef der SPD hebt mit der Feststellung an: "Auslandseinsätze waren nie Selbstläufer hier im Parlament."

SPd-Fraktionschef Steinmeier Westerwelle Afghanistan Bundestag dpa

Stiche gegen Westerwelle, Bestätigung eigener Politik: SPD-Fraktionschef Frak-Walter Steinmeier während seiner Rede

(Foto: Foto: dpa)

Was folgt ist eine staatsmännische Rede: Nach dem Außenminister i. A. schickt sich der Außenminister a. D. an, eine zweite Regierungserklärung abzugeben.

In getragenem Ton verteidigt Steinmeier den Einsatz der Bundeswehr: Wenn die Deutschen "kopflos und sofort" abziehen würden, versänke "dieses schwierige Land in kurzer Zeit wieder im Bürgerkrieg", mahnt er. Das wäre "eine Katastrophe für die Menschen in Afghanistan." Selbstkritisch sagt Steinmeier: "Ich weiß, dass viele an dem Sinn dieses Einsatzes zweifeln."

"Ja", dringt es durch das Plenum "Ja, genau!"

Steinmeier spricht über Steinmeier

Gewiss, räumt der gescheiterte Kanzlerkandidat ein, "wir müssen begreifen und ernst nehmen, dass sich die öffentliche Diskussion zugespitzt hat, dass die Fragen ernster werden". Die Politik müsse antworten. "Wenn wir Leute in Einsatz schicken, müssen wir uns rechtfertigen."

Man habe Afghanistan zu einer Demokratie nach "Westminster-Muster" entwickeln wollen, das sei ein Fehler gewesen, sagt Steinmeier und meint damit nicht die Merkel/Westerwelle-Regierung. Frank-Walter Steinmeier spricht über sich, zieht Bilanz der Afghanistan-Politik der Regierungs-SPD, genauer: der Politik des Frank-Walter Steinmeier.

Ohne sich beim Namen zu nennen: Der Oppositionspolitiker Steinmeier erinnert an den Kanzleramtsminister Steinmeier, wenn er sagt: "Wir haben mit der Entscheidung 2001 Verantwortung übernommen." Und er meint den Außenminister und Vizekanzler Steinmeier, wenn er erklärt, "was wir geschafft haben" und als "Hauptziel" nennt: Afghanistan sei nicht länger ein "sicherer Hafen für Terrorismus".

Dann wendet er sich dem Regierungskonzept zu: verstärkter ziviler Aufbau, forcierte Polizeiausbildung, keine Kampftruppen - "das ist gut", sagt Steinmeier jedes Mal, das habe schließlich die SPD zuvor der Koalition vorgeschlagen. Es klingt nach Rhetorik aus dem Baumarkt. Steinmeier staatsmännisch: Die Sozialdemokraten hätten diesen Einsatz einst beschlossen, sie stünden auch heute zu ihm.

Spitzen gegen den Amtsnachfolger

Der SPD-Führer Steinmeier, der in der Haushaltsdebatte mit galligem Humor und scharfen Worten die schwarz-gelbe Regierung attackierte, ist diesmal nicht zu sehen. Einige Spitzen setzt er trotzdem.

"Herr Westerwelle", sagt Steinmeier mehrfach keck, einmal sogar: "Aber Herr Westerwelle, ich warne auch vor Tricks" - und warnt vor einer dauerhaften Erhöhung des Bundeswehr-Kontingents. "Das Thema Reserve ist noch nicht durch", sagt Steinmeier. In der ersten Reihe seiner Fraktion sitzt SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und schmunzelt.

Steinmeier kritisiert auch Westerwelles Bewertung der Lage in Afghanistan. Ob es sich dabei um einen "nicht-internationalen bewaffneten Konflikt" handele, sei nicht von der Bundesregierung zu entscheiden, schimpft der Sozialdemokrat Richtung Westerwelle. "Wir müssen uns gegenseitig nicht darüber belehren, wie die Lage in Afghanistan ist. Die unterschätzt hier im Hause niemand".

Steinmeier kommt nun zu Positivem: Der Genosse lobt den früheren Bundesaußenminister in sich - und erinnert an "mein Zehn-Punkte-Papier" von Mitte 2009, das Früchte trage. Der "Herr Westerwelle" aber habe sich früher über eine Abzugsperspektive des Afghanistan-Kontingents kritisch geäußert.

Zum Schluss seiner Rede stichelt Steinmeier noch ein bisschen gegen Verteidigungsminister Guttenberg: Nicht die einfachen Soldaten hätten die Glaubwürdigkeit des Einsatzes beschädigt, sondern die Kommandos zum Luftschlag am Kundus-Fluss - und die Umstände der Entlassung von Führungspersonal.

Kubickis Befund

Zurück am Platz wird Steinmeier von seinen Parteifreunden begrüßt. SPD-Chef Sigmar Gabriel, der bei seiner letzten Afghanistan-Rede so kräftig danebenhaute, ist nicht zu sehen.

Angela Merkel verlässt den Saal, Guido Westerwelle bleibt sitzen. Sein Gesicht ist immer noch starr, obwohl er eine passable Rede gehalten hat.

Vielleicht hat er gerade die neueste Meldung zum Zustand seiner FDP erhalten. Der Parteifreund Wolfgang Kubicki hat sich im Stern ausgelassen, berichten die Agenturen. Der Liberale aus Kiel sieht "Auflösung" in der Partei - die sich in Umfragen der Fünfprozenthürde nähert.

Von oben.

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