Afghanistan und China:Das Turteln der Taliban

Mullah Abdul Ghani Baradar, Taliban-Führer, war auf Einladung Chinas zu Gast in Tianjin und sprach mit Außenminister Wang Yi.

Seite an Seite: Chinas Außenminister Wang Yi (rechts) und der Taliban-Anführer Mullah Abdul Ghani Baradar.

(Foto: Li Ran/dpa)

Die neuen Machthaber in Kabul wollen im Westen anerkannt werden und brauchen Geld zum Regieren. Dabei hoffen sie auf Peking.

Von Lea Sahay, Peking

Es klang wie ein weiterer kleiner Sieg, als ein Sprecher der Taliban vor ein paar Tagen über ein Telefonat zwischen einem Vertreter der militanten Islamisten, Abdul Salam Hanafi, und dem Vize-Außenminister Chinas, Wu Jianghao, informierte. Das Land habe zugesichert, seine Botschaft in Kabul offen zu halten, im Kampf gegen das Coronavirus zu unterstützen und vor allem - mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

Peking hat die Regierung der radikalen Islamisten zwar noch nicht offiziell anerkannt. Doch während andere Staaten ihre Hilfsprogramme aussetzen und auch in Deutschland über Entwicklungshilfe unter der Herrschaft der Taliban gestritten wird, schlägt China einen deutlich pragmatischeren Kurs gegenüber der islamischen Miliz ein.

Die chinesische Regierung hofft laut einem Außenamtssprecher zwar auf die Bildung einer "integrativen und offenen Regierung mit einer breiten Basis", die den Willen der internationalen Gemeinschaft und der Bevölkerung widerspiegele. Der ungewöhnlich versöhnliche Ton, den die Kämpfer bisher anschlagen, hilft China, zu Hause seinen Kuschelkurs gegenüber den Islamisten zu rechtfertigen. Doch auch ohne die Erfüllung seiner Forderungen dürfte Peking in den nächsten Jahren zu einem der wichtigsten Unterstützer des neuen Regimes werden.

Der überstürzte Abzug der Amerikaner und ihrer Partner sowie die Bilder vom Flughafen in Kabul sind zweifelsohne ein Geschenk für Pekings Propagandamaschine. Für Chinas Staatsmedien ist die Niederlage der USA die "letzte Dämmerung vor dem Untergang". In Berichten belustigen sich die Kommentatoren mal mehr und mal weniger geschmackvoll über das Chaos der letzten Wochen.

China will nicht mit den Problemen allein dastehen

Politisch dürfte Peking jedoch besorgt sein. Unbestritten ist, dass das Versagen der USA und anderer Nato-Staaten ihrer Glaubwürdigkeit schwer geschadet hat. Mittelfristig setzt der amerikanische Rückzug jedoch auch Ressourcen frei, welche Washington zukünftig in andere Konflikte investieren könnte - zum Beispiel in die wachsende Rivalität mit China.

Anstatt das entstandene Machtvakuum in Afghanistan für sich zu nutzen, hat Peking wiederholt versucht, die USA an ihre Pflichten in dem von Krieg und Bürgerkrieg gebeutelten Land zu erinnern. Ein Sprecher des Außenministeriums beschuldigte Washington Ende August, "Hauptverursacher" der Krise zu sein. Das Land könne nun nicht einfach verschwinden. Zusagen müssten gehalten, Wiederaufbau geleistet werden.

In der vergangenen Woche appellierte ein chinesischer Vertreter im UN-Sicherheitsrat auch an die internationale Gemeinschaft, dringend benötigte humanitäre Hilfe bereitzustellen. Die neuen Machthaber müssten unterstützt werden, um die öffentliche Ordnung und Stabilität im Land zu gewährleisten und mit dem Wiederaufbau zu beginnen.

Peking hat die USA in seinem Hinterhof nie geschätzt. Nun fürchtet das Land jedoch, allein mit dem Problem dazustehen. "Spätestens seit der Invasion Afghanistans durch die Sowjetunion betrachtet China das Land durch eine Linse der Bedrohung", sagt Andrew Small vom European Council on Foreign Relations. Deshalb sei das Land in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt bereit gewesen, "sehr aktiv" zu werden, um die geopolitischen Gefahren und die Bedrohung durch Terrorismus in Afghanistan besser kontrollieren zu können. China gehört zu den wenigen Akteuren, die auch während der US-Besatzung neben offiziellen Beziehungen zur afghanischen Regierung auch den Kontakt zu den Taliban aufrechterhielten, diese sogar mit Geld und Waffen unterstützten.

Gleichzeitig kennt China seine Grenzen. Die Nato-Truppen konnten mit ihren Militärmaschinen davonfliegen. Peking kann das nicht. Das Land teilt sich mit Afghanistan eine rund 76 Kilometer lange Grenze. Auf chinesischer Seite hat die Regierung in den vergangenen Jahren ein Lagersystem aufgebaut, in dem es Hunderttausende Muslime inhaftierte. Die Angst ist groß, dass religiöse Extremisten im Nachbarland Zuflucht finden, indem auch viele geflüchtete Uiguren leben. Ziel könnte dann nicht nur China sein, sondern auch ungeschützte chinesische Ziele in der Region. Taliban-Vizechef Mullah Abdul Ghani Baradar hat Peking zwar versichert, niemals Kräfte im Land zuzulassen, die gegen Chinas Interessen handelten. Beruhigen dürfte das Peking kaum.

Die Taliban hoffen auf die Seidenstraße

Laut Experte Andrew Small ist die Frage für die nächsten Jahre weniger, was Peking in Afghanistan will, als vielmehr, wie es verhindert, was es nicht will: ein Rückzugsgebiet für Extremisten, neue Sicherheitsrisiken und die Destabilisierung der Region. Außerdem zu viel politischen Einfluss, der auch mehr Verantwortung für die Stabilisierung bedeuten würde - oder gar einen militärischen Einsatz erzwingen könnte. "Peking wird Afghanistan weiter als eine Art Wilder Westen betrachten", glaubt Small.

Dementsprechend unsinnig wirkt die Erzählung, der "Mythos", wie es die japanische Wirtschaftszeitung Nikkei vor Kurzem kommentierte, Peking könnte das Land kurzfristig zu einem verlängerten Teil der Neuen Seidenstraße machen. Aufseiten der Taliban scheinen die Hoffnungen zwar groß zu sein. Erst am Montag äußerte ein Sprecher der Gruppe den Wunsch, am chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor beteiligt zu werden, mit dem sich China in Pakistan einen Zugang zum Indischen Ozean verschafft. Doch gerade das 60-Milliarden-Dollar-Projekt im Nachbarland hat gezeigt, wie groß das Sicherheitsrisiko für China in der Region ist.

Ähnlich wie die Vorstellung, chinesische Firmen könnten über Nacht die Rohstoffe des Landes plündern, die während der 20-jährigen Besatzung der Amerikaner nie gehoben wurden, dürfte die Realität chinesischer Wirtschaftsversprechen deutlich nüchterner ausfallen.

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Auch nachdem die Taliban in Afghanistan die Kontrolle übernommen haben, gibt es bewaffneten Widerstand im Land, wie hier in der Provinz Pandschir.

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