Kritik am Umgang mit Ortskräften:"Unfassbar undankbar und zutiefst beschämend"

Kritik am Umgang mit Ortskräften: Auf der Flucht: Eine afghanische Familie verlässt mit all ihren Habseligkeiten ihren Wohnort in der Provinz Kandahar, nachdem dieser von den radikalen Taliban eingenommen wurde.

Auf der Flucht: Eine afghanische Familie verlässt mit all ihren Habseligkeiten ihren Wohnort in der Provinz Kandahar, nachdem dieser von den radikalen Taliban eingenommen wurde.

(Foto: Javed Tanveer/AFP)

Die Grüne Agnieszka Brugger kritisiert die Bundesregierung wegen des Umgangs mit afghanischen Ortskräften, die jahrelang die Bundeswehr unterstützt haben. Diese sind seit dem Abzug der Deutschen in Lebensgefahr. Die Bundesregierung weist die Vorwürfe zurück.

Von Daniel Brössler und Tobias Matern, Berlin, München

Nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan steht die Bundesregierung wegen des Umgangs mit zurückgebliebenen Ortskräften massiv in der Kritik. "Es ist unfassbar undankbar und zutiefst beschämend, wie die Bundesregierung die Ortskräfte im Stich lässt, die um ihr Leben fürchten und ohne die das ganze deutsche Engagement nicht möglich gewesen wäre", sagte die Vizechefin der Grünen im Bundestag, Agnieszka Brugger, am Sonntag der Süddeutschen Zeitung. "Wenn Menschen aus Afghanistan, die für die deutsche Bundeswehr gearbeitet haben, aufgrund dieser Tätigkeit jetzt um ihr Leben fürchten müssen, haben wir die Verantwortung, sie zu schützen", appellierte der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck. "Es geht jetzt darum, Leben zu schützen", mahnte das "Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte". Helfer der ausländischen Truppen stehen besonders im Visier der Taliban.

Die Bundesregierung weist Kritik zurück und verweist auf ein Verfahren zum Schutz gefährdeter Ortskräfte. So können Afghanen, die für die Bundeswehr oder andere staatliche deutsche Stellen gearbeitet haben, eine Aufnahme in Deutschland beantragen. Sie müssen aber glaubhaft machen, dass sie wegen ihrer Tätigkeit für Deutschland gefährdet sind. Das Auswärtige Amt hat seit der Ankündigung des Abzugs nach eigenen Angaben etwa 2400 Visa für Ortskräfte und deren Kernfamilien ausgestellt. Unklar ist, wie viele davon tatsächlich schon nach Deutschland gelangt sind.

Betroffene klagen über hohe administrative Hürden. So gibt es am früheren Einsatzort der Bundeswehr, in Masar-i-Scharif, seit dem Abzug keine Ansprechpartner mehr für die Schutzsuchenden. Ein dafür geplantes Büro der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wurde aus Sicherheitsgründen bisher nicht eröffnet. "Die Menschen müssen sofort an einen sicheren Ort ausgeflogen werden. Dort kann das Visumsverfahren dann abgeschlossen werden", verlangte der Leiter des "Patenschaftsnetzwerks Afghanische Ortskräfte", Marcus Grotian.

Die Grünen-Politikerin Brugger warf dem Innenministerium vor, es habe "blockiert und verschleppt, wo es nur konnte". Verbesserungen kämen nun zu spät und könnten nur schwer in die Praxis umgesetzt werden. "Es ist höchst fahrlässig, wie die Bundesregierung mit ihrer ignoranten Hartherzigkeit wertvolle Zeit verspielt hat", klagte sie. Wenn sich herumspreche, "dass die Bundeswehr Hilfe braucht, aber selber keine Hilfe gibt, werden wir keine entsprechende Unterstützung erhalten", warnte die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Es sei eine "pure Selbstverständlichkeit, dass Deutschland an dieser Stelle großherzig sein muss".

Er könne zur Gefahrenlage der Ortskräfte keine gesicherten Aussagen machen, sagte Munir Farhad, Sprecher des Gouverneurs der Nordprovinz Balch, aus der Deutschland am Dienstag seine letzten Soldaten abgezogen hatte, der SZ. Offenbar seien auch bereits viele der afghanischen Mitarbeiter ausgereist. Aber für die verbliebenen Ortskräfte, "die kritische und wichtige Jobs für die Deutschen übernommen haben, wäre es gut, wenn ihr Fall noch einmal überdacht wird".

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Ich bedauere sehr, dass ich für die Bundeswehr gearbeitet habe. Wenn die Taliban an meine Tür klopfen, hoffe ich, dass sie mich gleich erschießen.

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