Afghanistan-Einsatz:Aufarbeitung mit Hindernissen

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer in Kundus

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) möchte eine "ehrliche, offene und auch schmerzliche Debatte" über den Einsatz in Afghanistan - doch der Termin ist schlecht gewählt.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer will die Debatte über die Bilanz des Einsatzes anstoßen. Wegen der Sondierungen bleiben aber Abgeordnete und Außenminister Maas fern.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

An Rufen nach einer Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes hat es nicht gemangelt, auch während die Bundeswehr noch mit dem Abzug oder dem chaotischen Ausfliegen von deutschen Staatsangehörigen und afghanischen Ortskräften beschäftigt war. Am Mittwoch nun hatte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in Berlin zur ganztägigen Veranstaltung "Zwanzig Jahre Afghanistan - Startschuss für eine Bilanzdebatte" geladen, bei der Angehörige der Bundeswehr bis hin zum Generalinspekteur mit Diplomaten, Bundestagsabgeordneten, Experten und Vertretern der Zivilgesellschaft mit ebendieser Aufarbeitung beginnen sollten.

Doch überschnitt sich diese Planung mit den Sondierungsgesprächen für eine neue Bundesregierung, lag vor der Konstituierung des neuen Bundestags - und führte zum Eklat. Fraktionsübergreifend kritisierten Verteidigungspolitiker aus dem Parlament von SPD, Grünen und FDP, aber auch der Union, zunächst den Termin und sagten in der Folge ihre Teilnahme ab - sie dürften sich durch die Weichenstellungen am Mittwoch für Gespräche über eine Ampel-Koalition bestätigt sehen. Andererseits sind sie es letztlich, die der Parlamentsarmee Bundeswehr das Mandat und den Auftrag für einen Einsatz erteilen.

"In der Tat, wir brauchen eine Evaluation", sagte die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Marie-Agnes Strack-Zimmermann dem MDR. Bedauerlicherweise komme die Initiative erst jetzt - geplant war die Debatte eigentlich im August, wurde dann aber wegen der Evakuierungsmission nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban verschoben. Auch reiche "ein Nachmittag nicht, um 20 Jahre Einsatz aufzuarbeiten".

Im Gespräch sind eine Enquetekommission und ein Untersuchungsausschuss

Tobias Lindner, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, forderte, es müsse sichergestellt sein, dass diejenigen, die den Einsatz evaluieren sollten, auch Zugang zu eingestuften Dokumenten hätten. Ein solcher Prozess werde Monate dauern, der neue Bundestag müsse dafür einen geeigneten Mechanismus finden.

Im Gespräch sind sowohl eine Enquetekommission, die sich mit dem gesamten Einsatz über seine Dauer von 20 Jahren befassen würde, als auch ein Untersuchungsausschuss. Dieser würde die Versäumnisse der Bundesregierung vor der Evakuierung ins Auge nehmen - vor allem die des Bundesinnenministeriums, das die Aufnahme von Ortskräften verzögerte, des Verteidigungsministeriums, aber auch des Auswärtigen Amtes. Dessen Chef Heiko Maas (SPD) sollte eigentlich neben Kramp-Karrenbauer und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg einführende Worte sprechen, hatte sich nach der Absage der Abgeordneten am Montag aber ebenfalls ausgeklinkt.

Kramp-Karrenbauer entgegnete der Kritik, es gehe nicht darum "eine besonders glanzvolle Decke über den Einsatz zu legen", verwies aber darauf, dass die Aufarbeitung in der Nato bereits begonnen habe. Die Verteidigungsminister der Allianz treffen sich in zwei Wochen in Brüssel, um Lehren aus dem Einsatz zu beraten. Anfang Dezember soll der Prozess abgeschlossen werden. Zudem habe sie den Soldaten zugesagt, dass die Aufarbeitung vor dem feierlichen Abschluss des Einsatzes beginne. Geplant ist ein Großer Zapfenstreich am 13. Oktober vor dem Reichstagsgebäude. Ihnen sei man "eine ehrliche, offene und auch schmerzliche Debatte schuldig".

Die Debatte dürfte die nächste Bundesregierung schnell einholen

In der öffentlichen Wahrnehmung aber bleibt vor allem der politische Knall, weniger die durchaus kritischen Beiträge auf der Konferenz. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, sagte, ihm sei "wichtig, dass wir aus den Schlussbildern der letzten Monate nicht den Schluss ziehen, dass internationales - auch militärisches - Krisenmanagement mit dem Ziel der Stabilisierung einer Region nicht erfolgversprechend sein kann und daher besser erst gar nicht versucht werden sollte". Diese Debatte dürfte die nächste Bundesregierung sehr schnell einholen, vor allem mit Blick auf den nun größten Bundeswehreinsatz in Mali und der Sahel-Zone, aber auch das Engagement in Kosovo.

Deutlich wurde auch, dass es nach Ansicht vor allem beteiligter Soldaten im Laufe des Einsatzes zu einer zunehmenden Abkopplung zwischen der - oft erfolgreichen - Erfüllung taktischer militärischer Aufgaben in Afghanistan und den politischen Zielen des Einsatzes gekommen ist.

Das Militär habe einen Sicherheitsrahmen geschaffen, sagte Zorn. Dieser sei aber nicht für eine politische Stabilisierung genutzt worden - was wegen Maas' Absage ohne Replik blieb. André Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbands, konstatierte, die Einsatzberichte der Bundeswehr hätten ein realistisches Bild von der Lage gezeichnet. Die politische Führung habe diese aber teils deutlich anders kommuniziert. Unterschiedliche Wahrnehmungen von Defiziten des Einsatzes und Diskussionsbedarf, das wurde jedenfalls deutlich, gibt es genug.

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