Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr in Afghanistan:Die Masche Zuversicht

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Von Daniel Brössler, Berlin

Immer kurz vor Weihnachten kommt Besuch aus Berlin. Das ist so, seit es dieses Feldlager gibt, das größte der Bundeswehr außerhalb Deutschlands, also schon ziemlich lange. Thomas de Maizière war da, Karl-Theodor zu Guttenberg, Ursula von der Leyen und neulich nun auch Annegret Kramp-Karrenbauer. Totengedenken am Ehrenhain, Besichtigung einer kleinen Waffenschau, Gespräch mit den Soldatinnen und Soldaten rund um den Weihnachtsbaum - das alles gehört zum festen Programm neuer Verteidigungsminister. Es gehe nun darum, sagte Kramp-Karrenbauer in einer Ansprache, wie die "Fortschritte nach vorne abgesichert werden können". Optimistische Tonlage, aber nicht zu sehr. Auch das hat Tradition. De Maizière war 2011 "gedämpft zuversichtlich". Von der Leyen sah 2013 "noch große Aufgaben". Seit der Bundestag am 22. Dezember 2001 das Mandat für den Afghanistan-Einsatz erteilte, scheint es unaufhörlich voranzugehen. Bleibt die Frage, warum das Ziel nie näher rückt.

Schröders Berater sagt: "Wir sind nicht wegen Afghanistan nach Afghanistan gegangen."

Die Washington Post hat mit den "Afghanistan Papers" versucht, in den USA eine Antwort zu geben. Sie dokumentieren, dass die US-Regierungen von George W. Bush über Barack Obama bis Donald Trump in Afghanistan planlos agiert und die wahre Lage verschleiert haben. Das ist ein Urteil, das der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour (Grüne) in Teilen auch über die wechselnden Bundesregierungen fällt. Als Verteidigungs- und Außenpolitiker war er häufig dort. "Die Zahl der Fehler, die Deutschland in Afghanistan seit Beginn des Einsatzes gemacht hat, ist groß", sagt Nouripour. Zu wenig habe man sich um den Staatsaufbau gekümmert, zu wenig wirklich getan gegen die "Drogen-Ökonomie", zu sehr "aufs Militärische gesetzt". Und immer sei schöngefärbt worden. "Die Bundesregierung war Teil einer Kommunikation, welche die Probleme negiert hat", kritisiert er. "Das hat zum Scheitern beigetragen. Wir scheitern ja nicht, weil die Luftwaffe der Taliban so furchteinflößend ist. Wir scheitern, weil unsere Öffentlichkeit die Geduld verloren hat. Die Menschen fühlen sich hinters Licht geführt."

Den Anfang machte vor 18 Jahren der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder. "Wir entscheiden in einer Situation, in der der Frieden in Afghanistan wirklich näher gerückt ist", sagte er im Bundestag. So begann ein Weg, der über zwei Jahrzehnte hinweg Tausende deutsche Soldaten an den Hindukusch führen sollte, mit einem Versprechen, das nicht einzulösen gewesen ist - schon gar nicht von der deutschen Politik. "Man muss sich daran erinnern, worum es damals ging", sagt der Diplomat Michael Steiner, zu jener Zeit außenpolitischer Berater von Schröder und später Afghanistan-Beauftragter. "Deutschland wollte den USA zeigen: Wir sind bei euch." Das sei "ein gleichsam kultisches Solidaropfer an die ins Mark getroffene westliche Führungsmacht" gewesen. "Wir wollten ja nicht wirklich kämpfen. Deshalb haben wir uns etwas ausgesucht, wovon wir dachten, dass nichts passieren kann. Wir sind nicht wegen Afghanistan nach Afghanistan gegangen. Sondern wegen den USA."

Das hat Heidemarie Wieczorek-Zeul anders in Erinnerung. "Es gab immer unterschiedliche Motivationen. Für mich war die Motivation die Lage der Frauen, deren Menschenrechte missachtet worden sind und die von jedem demokratischen und zivilgesellschaftlichen Engagement abgehalten wurden", erinnert sich die damalige SPD-Entwicklungsministerin. Ihr Ziel sei gewesen, "dem Einhalt zu gebieten". In Deutschland sei es nötig gewesen, den Einsatz "besonders" zu legitimieren, sagt Steiner. Das habe auch "überzeugende menschenrechtliche Motive" notwendig gemacht. Journalisten und Abgeordnete hätten gefragt: "Sind wir erfolgreich?" Die Antwort sei dann etwa gewesen, "dass immer mehr Mädchen zur Schule gehen".

Die Grünen bedauern, dass es nie eine unabhängige Überprüfung des Einsatzes gab

Im Rückblick glaubt Wieczorek-Zeul nicht, dass in den frühen Jahren beschönigt worden ist. "Wir haben realistisch gesehen, wie schwer die Situation war. Und wir haben auch niemandem etwas vorenthalten", sagt sie. Bis die Dinge beim Namen genannt wurden, hat es allerdings gedauert. "Wir haben nicht nur kriegsähnliche Zustände", sagte Angela Merkel 2010 bei einem Weihnachtsbesuch in Masar-i-Scharif zu den Soldaten, "sondern Sie sind in Kämpfe verwickelt, wie man sie im Krieg hat." 2010 war auch das Jahr, in dem die Bundesregierung erstmals einen Fortschrittsbericht vorlegte. "Der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte kommt nach Jahren der Stagnation und fehlender Gesamtkonzeption jetzt zügig voran", war dort zu lesen. Aber auch, dass es nach anfänglichen Erfolgen "zuweilen auch unrealistische Zielsetzungen" gab.

Bis 2014, als die internationale Schutztruppe ISAF in eine deutlich kleinere Ausbildungstruppe umgewandelt wurde, lieferte die Regierung jährlich solche Berichte beim Bundestag ab. "Es standen keine Lügen drin. Auch keine Falschdarstellungen. Aber wenn es Erfolge gab, dann sind sie auch ausführlich dargestellt worden, etwa im Schulwesen", sagt Steiner heute. "Die Berichte waren in Teilen vielleicht allzu zuversichtlich. Aber eine Praxis wie in den USA?" Steiner spielt auf die Verschleierungen dort an. "Das haben wir nicht gemacht. Das geht so nicht in Deutschland."

Vier deutsche Verteidigungsminister, jeweils zu Besuch im deutschen Camp in Masar-i-Sharif: Karl-Theodor zu Guttenberg (2010) ...

... Thomas de Maizière (2013) ...

... Ursula von der Leyen (2017) ...

... und Annegret Kramp-Karrenbauer (2019).

Es sei "sehr bedauerlich, dass es niemals eine unabhängige Evaluation dieses Einsatzes der Bundeswehr gegeben hat", moniert der Grüne Nouripour. Nicht durchgesetzt haben sich die Grünen bisher mit der Forderung, zu diesem Zweck eine Enquete-Kommission einzusetzen, die etwa auch Mängeln nachgehen könnte, wie sie die nun öffentlich gewordenen US-Berichte der deutschen Polizei-Ausbildung attestieren. "Bisweilen schmerzhaft", hat die Bundesregierung 2018 in einem Bericht immerhin eingeräumt, habe das Afghanistan-Engagement bewiesen, "welche Bedeutung eine realistische Festlegung der Ziele aufgrund einer nüchternen Analyse der Lage, unserer Interessen und Einflussmöglichkeiten und eine hieran orientierte, anpassungsfähige zeitliche Planung für erfolgreiches Handeln haben".

Steiner sagt es so: "Das konnte in dieser Form nicht erfolgreich sein. Das wissen wir heute. Bei einem solchen Einsatz ist deine Veränderungsmacht begrenzt. Da brauchst du Demut."

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Quelle:
SZ vom 23.12.2019
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