Afghanistan:Gegen die Taliban hilft nur eine politische Lösung

Afghanistan: Der Rückzug westlicher Truppen aus Afghanistan stärkt die Schlagkraft der Taliban.

Der Rückzug westlicher Truppen aus Afghanistan stärkt die Schlagkraft der Taliban.

(Foto: AP)

Ein Überfall im Norden des Landes mit 140 toten Armeesoldaten zeigt: Der afghanische Staat wird schwächer, weil der Westen sich zurückzieht.

Kommentar von Tomas Avenarius

Nach fast vierzig Jahren ununterbrochenen Tötens gehört es fast schon zum Allgemeinwissen, dass die Kämpfe in Afghanistan im Winter abebben, nur um im Frühjahr aufs Neue aufzuflammen. Das hat seinen Grund darin, dass der Winter in diesem Land so harsch ist, dass selbst ein hart gesottener Gotteskrieger lieber an den Ofen zurückkehrt, als auf dem Marsch zum Märtyrertod wenig heldenhaft zu erfrieren.

Wenn nun bei einem Überfall auf eine Kaserne im Norden des Landes gleich 140 Armeesoldaten von nur zwei Handvoll Taliban abgeschlachtet werden können, dann erklärt sich dies aber keinesfalls mit dem klimatischen Kreislauf des Kriegs. Das Massaker zeigt, dass die Schlagkraft der Taliban steigt und der Rückzug der westlichen Truppen einer der wichtigsten Gründe dafür ist: Afghanistans Armee ist nicht in der Lage, dieses Feindes Herr zu werden. Schlimmer noch: Die Armee scheint von ihrem Feind unterwandert zu sein. Einige der Taliban-Kämpfer, die beim Überfall auf die Kaserne (immerhin ein regionales Armee-Hauptquartier) beteiligt waren, dienten früher als Regierungssoldaten.

Offenbar waren sie gezielt abgeworben worden. Das dürfte nicht besonders schwierig sein in einer Truppe, in der viele nur einen ungeliebten, aber immerhin bezahlenden Arbeitgeber sehen in einem Land ohne andere Jobmöglichkeiten: Wer in Afghanistan als einfacher Soldat zur Arbeit geht, tut dies selten aus politscher Überzeugung oder nationalem Verantwortungsgefühl heraus.

Die Staatengemeinschaft hatte sich nach dem 11. September und dem Sturz des Taliban-Regimes mit einem von Übereifer geprägtem Idealismus auf Afghanistan eingelassen. Versucht wurde, in einer rückständigen und von drei Jahrzehnten Krieg, Besatzung und Zerstörung zusätzlich schwer deformierten Gesellschaft Demokratie und Rechtsstaat einzuführen. Das hat nicht geklappt. Also hat man den Kampfeinsatz gegen die Taliban einfach in eine Ausbildungsmission umetikettiert und das Ganze als Hilfe zur Selbsthilfe mit militärischen Mitteln erklärt.

Militärische Ausbildung reicht nicht, Afghanistan benötigt Truppen

Auf diese Weise wollte man sich halbwegs sauber - und kostengünstig - aus einem nicht zu gewinnenden Abnutzungskrieg herausziehen. Militärische Ausbildung, an der auch die Bundeswehr beteiligt ist, reicht in Afghanistan aber nicht aus. Die Taliban sind Terroristen und rückständige Islamisten, ja. Aber sie sind eben auch afghanische Nationalisten. Und bleiben so im Mehrheitsvolk der Paschtunen fest verwurzelt. Dagegen helfen keine modernen Panzer, und dagegen hilft kein Schießtraining für wenig motivierte Soldaten. Dagegen hilft nur eine politsche Lösung.

Afghanistans Armee braucht also neben Ausbildern weiter schlagkräftige Truppen an ihrer Seite. Vor allem aber muss die Staatengemeinschaft Kabul und die Taliban ebenso wie die sich ewig einmischenden Regionalmächte zum Verhandlungsfrieden drängen. Sonst könnte die Taliban-Flagge bald wieder über Kabul wehen.

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