Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:BGH zu Kundus-Affäre - Schuld in Zeiten des Krieges

  • Ein deutscher Oberst ordnete 2009 einen Bombenangriff auf zwei Tanklaster in der Nähe des afghanischen Kundus an, bei dem zahlreiche Zivilisten getötet wurden.
  • Nun prüft der BGH, ob den zivilen Opfern Schadenersatz zusteht - zwei Angehörige fordern 90 000 Euro.
  • Das Urteil der Karlsruher Richter könnte die prinzipielle Haftung Deutschlands in solchen Fällen festschreiben.

Von Wolfgang Janisch

Es gibt dieser Tagen wieder schlechte Nachrichten aus Kundus, die Taliban haben einen neuen Angriff gestartet. Vor gut sieben Jahren war die umkämpfte Stadt im Nordosten Afghanistans, bei der die Bundeswehr bis 2013 einen großen Stützpunkt betrieben hatte, Schauplatz eines dunklen Kapitels deutscher Präsenz in Afghanistan. Am 4. September 2009 starben Dutzende Zivilisten nach einem Luftschlag, den der deutsche Oberst Georg Klein angeordnet hatte. An diesem Donnerstag wird der Fall vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe verhandelt. Es geht um 90 000 Euro, die zwei Angehörige damaliger Opfer fordern. Vor allem aber geht es um Schuld und Verantwortung in Zeiten des Krieges.

Oberst Klein, als Kommandeur im Rahmen des Nato-geführten Isaf-Einsatzes in Kundus stationiert, hatte an jenem 4. September Luftunterstützung angefordert. Die Taliban hatten zwei Tanklastzüge entführt, sieben Kilometer vom Feldlager Kundus entfernt steckten sie nachts in einer Sandbank fest. Auf den Infrarot-Bildern waren die Menschen nur als Wärmepunkte zu sehen, es herrschte ein stetes Kommen und Gehen. Ob sie Waffen trugen, ob sie alt oder jung waren, klein oder groß - nicht zu sehen. Ein afghanischer Informant, der angeblich "vor Ort" war, sagte: keine Zivilisten. Sieben Mal ließ Klein nachfragen, dann befahl er, zwei 500-Pfund-Bomben abzuwerfen. Wie viele Menschen gestorben sind, weiß man nicht genau, sicher ist nur, dass viele Zivilisten darunter waren, mindestens 80, vielleicht auch weit mehr als hundert. Dazu gehörten auch die beiden Söhne von Abdul Hannan und der Ehemann von Qureisha Rauf, die nun auf Schadenersatz klagen.

Kampfpiloten hatten vorgeschlagen, Menschen mit Überflug zu warnen

Obwohl die Kläger beim Landgericht Bonn und beim Oberlandesgericht Köln verloren haben, konnten sie einen juristischen Erfolg verbuchen, der für künftige Auslandseinsätze von Bedeutung sein wird. Völkerrechtswidrige Angriffe auf Zivilisten begründen einen Schadenersatzanspruch gegen Deutschland - wenn dem verantwortlichen Soldat eine "schuldhafte Verletzung seiner Amtspflichten" vorzuwerfen ist. Von diesem Grundsatz gehen Land- und Oberlandesgericht aus, auch wenn sie Klein kein Verschulden angelastet haben. Das humanitäre Völkerrecht zum Schutz der Zivilbevölkerung steht also nicht nur in Zusatzprotokollen, sondern bietet eine handfeste Grundlage für Klagen der Opferangehörigen.

Wie ernst dieser Klageweg zu nehmen ist, lässt sich an der Causa Klein besichtigen. Für einen Entschädigungsanspruch genügt Fahrlässigkeit - und der fatale Befehl war mindestens hart an der Grenze dazu, so viel lässt sich aus den bisherigen Urteilen ablesen. Erstens die Wärmepunkte. Gewiss, man sah den Punkten nicht an, dass sich dahinter Zivilisten verbargen - aber nach einer Militäraktion der Taliban sah das eher ungeordnete Treiben nicht unbedingt aus. Außerdem hatte das Landgericht festgestellt, dass eine so hohe Zahl von Menschen für eine Taliban-Aktion zumindest ungewöhnlich sei.

Zweitens hätte der Kommandeur womöglich eine sanftere Alternative wählen können. Richtig ist zwar, dass die Tanklastzüge in den Händen der Taliban-Kämpfer - nah am deutschen Feldlager - gefährlich waren; vielleicht hätten sie sogar als rollende Bombe dienen können. Aber die Piloten der Kampfflugzeuge hatten vorgeschlagen, mit einem Überflug in niedriger Höhe die Leute auseinanderzutreiben und erst dann die Lkw zu bombardieren. Die unmittelbare Gefahr wäre gebannt gewesen.

Richter könnten ein klares Wort zur Haftung Deutschlands sprechen

Aber vielleicht ging es eben auch um menschliche Ziele: Die SPD, damals noch in der Opposition, war am Ende des Kundus-Untersuchungsausschusses zum Ergebnis gekommen, mit dem Angriff habe man vier namentlich bekannte Taliban-Führer "liquidieren" wollen und dabei den Tod von Zivilisten in Kauf genommen.

Der BGH - auf die rein juristische Prüfung beschränkt - wird die Sache nicht selbst aufklären können. Ein klares Wort zur prinzipiellen Haftung Deutschlands könnte aber bei künftigen Einsätzen zur Vorsicht mahnen.

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SZ vom 06.10.2016/lalse
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