Afghanistan:Bewaffnet mit viel Zeit

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Sie fühlen sich so mächtig, dass sie Amerikaner angreifen, während sie mit den USA verhandeln: Taliban in einer afghanischen Provinz. (Foto: Parwiz/Reuters)

Anders als die USA haben es die Taliban bei den Afghanistan-Gesprächen gar nicht eilig. Sie wissen, dass die Kriegsmüdigkeit der anderen ihnen hilft.

Von Tobias Matern, München

Es war bereits die sechste Runde der Friedensgesprächen zwischen Taliban und den USA. Der Ton nach dem Treffen in Doha war auf beiden Seiten zwar freundlich, aber in der Sache gibt es kaum Fortschritte für Afghanistan zu vermelden. Das spielt einer Seite in die Hände: den Taliban. Die haben Zeit - anders als die USA. Wie mächtig sie sich in diesen Verhandlungen fühlen, haben die Taliban erneut demonstriert: Während sie mit den US-Diplomaten am Tisch saßen, überzogen sie Afghanistan mit Anschlägen - wie am Mittwoch, als sie den Sitz einer US-Hilfsorganisation in Kabul angriffen und neun Menschen töteten.

Dass solche Attacken nicht zum sofortigen Abbruch der Gespräche in Doha führen, zeigt: Die Amerikaner wollen mit aller Macht einen Erfolg dieser Gespräche. Der US-Sondergesandte für Afghanistan, Zalmay Khalilzad, steht unter Zeitdruck. Präsident Donald Trump will, dass dieser Konflikt nach fast 18 Jahren westlicher Truppenpräsenz am Hindukusch endlich endet. Die Taliban hingegen senden ihre eigene Botschaft: Solange unsere Bedingungen nicht akzeptiert werden, setzen wir den bewaffneten Kampf fort. Von einem Waffenstillstand, wie ihn Khalilzad und die afghanische Regierung sich wünschen, ist das Land noch immer weit entfernt. Auch fehlen nach wie vor Vertreter aus Kabul am Verhandlungstisch in Doha. Die Amerikaner unter Führung von Khalilzad, einem US-Karriere-Diplomaten mit afghanischen Wurzeln, betonten, sie seien ein ehrlicher Makler für die Zukunft Afghanistans. Aber in der Kabuler Regierung von Präsident Ashraf Ghani betrachtet man die Treffen von Doha mit wachsendem Argwohn. Schließlich hat Trumps Vertreter ein ums andere Mal betont, der Friedensprozess müsse irgendwann in afghanische Hände übergeben werden. Nur wann?

Die Islamisten haben wenig Neigung, sich künftig dem Wählerwillen zu beugen

Er könne zwar Fortschritte ausmachen, diese gingen aber zu langsam, räumte auch Khalilzad ein. "Wir gelangen jetzt zum Wesentlichen. Der Teufel steckt immer im Detail", gab er über Twitter bekannt. Zwar ist bemerkenswert, dass sich die USA und die Taliban nun seit Juli immer wieder an einen Tisch setzen und der Prozess nicht kollabiert ist. Aber zentrale Fragen sind noch immer nicht gelöst: Wie lassen sich die Islamisten knapp 18 Jahre nach ihrem Sturz und einem gescheiterten westlichen Militäreinsatz wieder ins politische System des Landes einbetten? Vor allem in ein System, das - mehr oder weniger - demokratische Wahlen beinhaltet?

Wie in Kabul Kenner der Gespräche betonen, besteht bei den Taliban wenig Neigung, sich künftig an der Urne dem Willen der Bevölkerung beugen zu müssen. Denn die Aufständischen wissen, dass ihre militärische Macht deutlich größer ist als ihre Popularität und sie keine starken Wahlergebnisse erzielen werden. Angedacht worden ist für Afghanistan offenbar ein System wie in Iran - mit den Taliban als obersten religiösen Hütern. Aber wie weit diese Gedankenspiele gediehen sind, ist auch nach der sechsten Verhandlungsrunde von Doha unklar.

Die Islamisten haben Einfluss auf etwa die Hälfte Afghanistans, ein guter Teil davon steht unter ihrer Herrschaft, auch können sie die westliche Kriegsmüdigkeit sicher gut einschätzen.

Die Regierung in Kabul sitzt nicht mit am Tisch. Sie sieht die Runde skeptisch

"Der Doha-Prozess hat sich in dieser Gesprächsrunde eher verschlechtert", sagte der Taliban-Kenner Ahmed Rashid am Freitag der Süddeutschen Zeitung. Beide Seiten seien nicht über bereits bestehende Positionen hinausgekommen. Schon beim vorletzten Doha-Treffen hatten sich beide Seiten auf zwei Punkte verständigt: Einerseits soll dem Wunsch der Taliban entsprochen werden, einen Zeitplan zu erarbeiten für einen schrittweisen Abzug der US-Truppen - woraufhin sofort auch alle andere westlichen Soldaten wie die Bundeswehr abziehen müssten, weil sie ohne Unterstützung der Amerikaner ihre Einsätze nicht aufrechterhalten können. Im Gegenzug sollen die Taliban, darauf drängt Washington, eine Garantie abgeben, dass von afghanischem Boden keine terroristische Bedrohung mehr ausgeht. Problematisch daran ist, dass damit die Macht der afghanischen Regierung weiter geschwächt wird. Schließlich sind ihr die Streitkräfte unterstellt, die eine solche Garantie im Zweifel auch mit Waffengewalt sicherstellen und gegen ausländische Terroristen vorgehen müsste.

Die Taliban hatten einst Osama bin Laden in Afghanistan Unterschlupf gewährt und ihn auch nach den Anschlägen vom 11. September nicht an die USA ausgeliefert. Daraufhin marschierten die Amerikaner in Afghanistan ein. Inzwischen ist daraus der längste Kriegseinsatz der US-Geschichte geworden. Afghanistan hat Schulen bekommen, Frauen sind nicht mehr vom Alltagsleben ausgeschlossen wie unter den Taliban. Aber Frieden ist bis heute nicht eingekehrt.

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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