Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:Die Rettungsmission endet, zurück bleibt die Angst

Kurz bevor in Kabul die letzte Bundeswehr-Maschine startet, explodieren vor den Flughafentoren zwei Bomben. Viele Menschen sterben, darunter auch 13 US-Soldaten. Kanzlerin Merkel verspricht, sich um die in Afghanistan Verbliebenen zu kümmern, doch wie soll das gehen?

Von Daniel Brössler, Berlin, und Stefan Kornelius

Die Evakuierungsmission am Flughafen von Kabul endet in Tod und Terrorangst. Mindestens zwei Selbstmordattentäter sprengten sich laut US-Pentagon nahe des Flughafens in die Luft. Mehrere Attentäter sollen das Feuer auf Zivilisten und Soldaten eröffnet haben. Eine der Explosionen ereignete sich an einem der Flughafentore, eine weitere in unmittelbarer Nähe vor einem Hotel, das als Abfertigungsgebäude genutzt wurde.

Bei den Anschlägen wurden mindestens 13 US-Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, wie das US-Verteidigungsministerium am späten Abend bestätigte. Die BBC zitierte einen hochrangigen Mitarbeiter des afghanischen Gesundheitssystems, es seien mindestens 60 weitere Menschen getötet und 140 verletzt worden.

Das Pentagon sprach von einem "komplexen Angriff", der freilich nach einem bekannten Muster ablief: Eine Explosion inmitten einer dicht gedrängten Menschenmenge richtet ein Blutbad an und löst Panik aus, ein Schütze und eine zweite Explosion treffen die Menschen auf der Flucht. Die Extremisten-Miliz Islamischer Staat (IS) bekannte sich am Abend über den Internet-Dienst Telegram zu dem Angriff.

Die US-Regierung hatte seit Tagen bereits davor gewarnt, dass der IS die Machtübernahme der Taliban und die Situation am Flughafen für Attacken nutzen könnte. Ein Sprecher der radikalislamistischen Taliban verurteilte den Anschlag.

Letzte Maschine der Bundeswehr verlässt Kabul

Unterdessen verließ die letzte Maschine der Bundeswehr mit Schutzsuchenden und Soldaten an Bord Kabul. Damit sind die deutschen Rettungsflüge beendet und auch die Streitkräfte abgezogen. Eine medizinische Evakuierungsmaschine, die zum Schutz des deutschen Abzugs bereitgehalten wurde, ist nach dem Anschlag in Kabul gelandet. Sie trug zur Notversorgung Verletzter bei und startete anschließend mit den letzten beiden deutschen Soldaten an Bord. Nachdem auch andere europäische Nationen wie Belgien, Dänemark oder Polen weitgehend abgerückt sind, konzentrieren sich die USA auf den Abzug ihrer Einheiten.

Der mutmaßlich letzte Rettungstag war überschattet von massiven Terrordrohungen. Geheimdienste hatten vor Selbstmordattentätern im oder am Flughafen gewarnt. Die an der Rettung beteiligten Nationen riefen die Menschen dazu auf, nicht mehr zum Flughafen zu kommen, was den Andrang an den Zugängen aber nicht verringerte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem "absolut niederträchtigen Anschlag in einer sehr, sehr angespannten Situation". Sie versprach, man werde diejenigen "nicht vergessen, die nicht in Sicherheit gebracht werden konnten. Wir werden uns weiterhin um ihre Ausreise bemühen". Bis zum Donnerstagmorgen hatte die Bundeswehr 5200 Menschen in Sicherheit gebracht, unter ihnen 4200 Afghanen und 505 Deutsche. Merkel verschob wegen der angespannten Lage eine für das Wochenende geplante Reise nach Israel. Sie soll später nachgeholt werden.

Die USA versicherten, dass ihre Rettungsaktion "nicht in 36 Stunden" zu Ende gehe, so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. In der US-Militärführung herrscht die Sorge vor, dass die Nennung eines konkreten Endpunkts der Mission zu Panik und einem neuerlichen Sturm auf den Flughafen führen könnte. Ob das Kalkül nach dem Anschlag aufgehen kann, ist nun fraglich. Es wird nun mit einem raschen Abzug der USA gerechnet.

Britische und amerikanische Geheimdienste hatten Hinweise erhalten, dass sich bis zu zwölf Selbstmordattentäter am oder sogar im Flughafen aufhielten. Befürchtet wurde, dass Attentäter über Tunnel an Bord einer Maschine gelangen und sich nach dem Start in die Luft sprengen könnten.

Die US-Streitkräfte hatten den Zugang zu dem Gelände wegen der Terrorbedrohung noch einmal deutlich erschwert. Das schränke die "operativen Möglichkeiten, die wir haben, um Menschen in den Flughafen hineinzuholen und auf unsere Flieger zu bringen", weiter ein, betonte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Nicht nur aus diesem Grund starteten zunehmend nicht mehr voll besetzte Maschinen vom Flughafen.

Fast 100 000 Menschen ausgeflogen

Nach US-Angaben wurden seit dem 14. August, dem Beginn der Rettungsflüge, fast 100 000 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen. 14 500 der von den USA geretteten Menschen befinden sich momentan auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein in der Pfalz. Angeblich mussten bis zu drei Charterflüge privater Rettungsinitiativen Kabul weitgehend leer wieder verlassen. Die USA gehen davon aus, dass sich noch mehr als eintausend ihrer Staatsbürger im Land befinden könnten.

Die Taliban halten sich unterdessen weiter bedeckt, wie sie die Regierungsarbeit organisieren wollen. Ein Sprecher sagte in einem Interview mit der New York Times, dass es verboten werde, Musik in der Öffentlichkeit zu spielen. Berichten zufolge wurde auch der ehemalige Präsident Hamid Karsai und der Vorsitzende des Rats der Nationalen Versöhnung, Abdullah Abdullah, faktisch unter Hausarrest gestellt, nachdem Taliban-Kämpfer deren Sicherheitsbegleitung entwaffnet und Fahrzeuge konfisziert hatten.

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