Aktionsbündnis Luftbrücke Kabul:"Multi-Organversagen der Regierung"

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"Das Innenministerium ist die Mutter aller Probleme", sagen Vertreter des Aktionsbündnisses Luftbrücke Kabul: am Mittwoch in Berlin (v. li.) Mattea Weihe, Thomas Hoffmann, Theresa Breuer (aus Doha zugeschaltet) und Ruben Neugebauer. (Foto: MICHELE TANTUSSI/REUTERS)

Die Initiative wirft besonders Bundesinnenministerium vor, bürokratische Hürden vor die Rettung afghanischer Helfer gestellt zu haben. Sie fordert, weiter Menschen nach Deutschland zu holen.

Von Jonah Wermter, Berlin

Die Wut auf die Deutsche Bundesregierung ist den Aktivistinnen und Aktivisten des Aktionsbündnisses "Luftbrücke Kabul" in jedem Satz anzuhören. Die Wut über den zunächst gescheiterten Versuch, 170 afghanische Mitarbeiter deutscher Medien mit einem Charterflugzeug zu auszufliegen. Die Wut auf das Auswärtige Amt und die Bundeswehr, denen sie vorwerfen, mit mangelnden Absprachen maßgeblich zu diesem Scheitern beigetragen zu haben. Am Mittwochmorgen stehen sie aber vor dem Gebäude des Bundesinnenministeriums, denn: "Wir beobachten hier ein Multiorganversagen der Bundesregierung, aber das Innenministerium ist die Mutter aller Probleme", sagt Ruben Neugebauer, einer der Organisatoren des Rettungsfluges.

Die Aktivistin Mattea Weihe erzählt: "Was wir hinter den Kulissen mitbekommen haben, war ein ständiges Feilschen um die Evakuierungslisten. Alles stand unter der Prämisse, bloß nicht einen Afghanen zu viel nach Deutschland zu holen." Sie habe den Eindruck gewonnen, dass das Innenministerium eine Fluchtdebatte vor der Bundestagswahl um jeden Preis vermeiden wollte und bürokratische Hürden den Kreis der Schutzbedürftigen möglichst klein halten sollten.

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Die Bundesregierung verteidigte sich bereits Anfang der Woche gegen Vorwürfe des Bündnisses. Der Charterflug habe die volle Unterstützung von Außenminister Heiko Maas (SPD) gehabt, eine erfolgreiche Evakuierung sei an der chaotischen Lage rund um den Flughafen gescheitert. Ohnehin habe die Bundeswehr über genügend eigene Flugkapazitäten verfügt, problematisch sei der Weg zum Flughafen gewesen. Diese Argumentation wollten die Aktivistinnen so nicht stehen lassen. Sie meinen: Es hätte gelingen können, die Menschen in den Flughafen zu bringen, wenn Listen und notwendige Dokumente rechtzeitig übermittelt worden wären, so Weihe. Dafür habe aber der politische Wille gefehlt.

"Man hat sich über uns lustig gemacht"

Theresa Breuer, die Initiatorin der "Luftbrücke Kabul", berichtete zudem über eine Behandlung durch deutsche Diplomaten und die Bundeswehr am Kabuler Flughafen, die sie als herablassend empfand: "Man hat sich über uns lustig gemacht, uns vermittelt, dass wir ohnehin scheitern würden." Nach Abzug der Deutschen gelang es Breuer und ihren Mitstreitenden, mithilfe des britischen und US-Militärs 189 Menschen auszufliegen. Die meisten von ihnen befänden sich nun auf der Militärbasis in Ramstein.

Unter ihnen sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher Medien, aber auch Menschenrechts- und Klimaaktivistinnen. Luisa Neubauer und Ali Khademolhosseini von Fridays for Future hatten mit der "Luftbrücke Kabul" zusammengearbeitet. Sie kritisierten, dass afghanische Aktivistinnen kaum eine Chance gehabt hätten, auf Evakuierungslisten zu kommen, wenn ihnen ein klarer "Deutschlandbezug" fehlte. Viele seien daher noch immer in Afghanistan.

Das Luftbrücken-Bündnis rief das Bundesinnenministerium auf, die Evakuierungslisten unverzüglich zu öffnen, damit weiterhin Schutzbedürftige nach Deutschland fliehen könnten. Sie selbst seien ständig in Kontakt mit Menschen vor Ort und versuchten, diese bei der Flucht über den Landweg zu unterstützen. "Wenn die Bundesregierung Tipps braucht, wie das geht, darf sie gerne anrufen", bot Mattea Weihe an.

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