Bundeswehr am Hindukusch:Warum Deutschland beim Abzug aus Afghanistan so versagt hat

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Im August 2021 sitzen deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte in einem Flugzeug der Bundeswehr in Usbekistan, um ausgeflogen zu werden. Doch nicht alle Berechtigten schafften es nach Deutschland. (Foto: Marc Tessensohn/dpa)

Dieser Frage geht nun im Bundestag ein Untersuchungsausschuss nach. "Unser Hauptziel ist, daraus zu lernen", sagt Ausschuss-Chef Ralf Stegner - und kündigt prominente Zeugen an.

Von Mike Szymanski, Berlin

Fast 20 Jahre Einsatz in Afghanistan haben im vergangenen Sommer ihr Ende in einem Debakel gefunden: In einer dramatischen Rettungsaktion musste die Bundeswehr Tausende ihrer früheren afghanischen Helfer, Angehörige und weitere Schutzbedürftige aus Kabul ausfliegen, nachdem der Westen überhastet abgezogen war. In diesen chaotischen Tagen gab es Tote und Verletzte. Mehr als 10 000 Menschen warten immer noch darauf, in Sicherheit gebracht werden zu können. Die Taliban hatten damals das Land in atemberaubender Geschwindigkeit wieder unter ihre Kontrolle gebracht.

Am Freitag nun hat im Bundestag die parlamentarische Aufarbeitung dieses Scheiterns begonnen. Ein Untersuchungsausschuss soll in dieser Legislaturperiode klären, wie es dazu kommen konnte, dass Deutschland im Bündnis mit den westlichen Partnern von den Entwicklungen in Afghanistan offenkundig so überrascht worden war. Lageeinschätzungen hatten sich als komplett falsch erwiesen, viel zu spät wurde mit der Rettung Schutzbedürftiger begonnen.

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Die Bundesregierung räumt ein, dass ein Drittel der Menschen, die eine Aufnahmezusage in Deutschland haben, noch immer nicht aus dem Land gebracht worden sind - fast ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban.

Erst in der Nacht zu Freitag setzte das Plenum den Ausschuss ein. Frühere Tagesordnungspunkte hatten das Thema immer weiter in die späte Stunde gedrängt. So bekam auch das Eingeständnis des CDU-Abgeordneten Thomas Röwekamp nur wenig Aufmerksamkeit: Nach Mitternacht erklärte er im Plenum, dass die "Beendigung dieses Einsatzes für die Menschen in Afghanistan ein Fehler" gewesen sei. Ihnen würde es heute besser gehen, wenn die internationalen Truppen noch im Land wären.

Zur konstituierenden Sitzung kam der Untersuchungsausschuss dann am frühen Freitagnachmittag zusammen. Ihm gehören zwölf Parlamentarierinnen und Parlamentarier an. Zum Vorsitzenden wurde ohne Gegenstimmen der SPD-Politiker Ralf Stegner gewählt. Das Vorschlagsrecht lag bei den Sozialdemokraten.

Als Zeugen werden Minister der vorigen Regierung vorgeladen

Laut Stegner stehe im Mittelpunkt, die Ursachen für das Scheitern auszuarbeiten. "Unser Hauptziel ist, daraus zu lernen." Er begrüßte, dass die Ampelfraktionen das Gremium zusammen mit CDU/CSU, der größten Oppositionsfraktion, auf den Weg gebracht habe. Das zeige, dass es nicht in erster Linie um mögliche Schuldzuweisungen gehe. Auch FDP und Grüne sehen die Ausgangslage günstig: "Die Tatsache, dass alle Ministerien seit der Wahl neu besetzt sind, ist eine Chance für den Untersuchungsausschuss", sagte die FDP-Politikerin Ann-Veruschka Jurisch der Süddeutschen Zeitung. "Es geht um eine gründliche, sachliche Aufarbeitung des Geschehens und darum, für die Zukunft zu lernen und Deutschland krisenfester zu machen."

Ausschusschef Stegner erklärte, dass mit Sicherheit die damals verantwortlichen Regierungsmitglieder als Zeugen vorgeladen werden, beispielsweise der damalige Außenminister Heiko Maas (SPD), die frühere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Horst Seehofer (CSU), der bis zum Regierungswechsel Innenminister war.

Auf die Parlamentarier kommt viel Arbeit zu. Sie sollen untersuchen, wer in der Bundesregierung und den zuständigen Behörden für die Beurteilung der Sicherheitslage sowie den Abzug deutscher Streitkräfte und afghanischer Ortskräfte zuständig war. Außerdem ist zu klären, ob Notfallpläne für Evakuierungen existierten und Deutschland Einfluss auf die Abzugspläne der internationalen Partner genommen hat. Insgesamt 38 Themenkomplexe stehen zur Aufarbeitung an.

Bereits in der Sitzung am Freitag ging es darum, erste Beweisanträge einzuleiten, damit die betroffenen Ministerien und Behörden über den Sommer die angeforderten Dokumente vorlegen können. Im September soll dann die eigentliche Arbeit mit einer Sachverständigenanhörung und der Vernehmung erster Zeugen beginnen.

Während sich der Untersuchungsausschuss lediglich mit der Phase des Abzugs aus Afghanistan befasst, einem Zeitraum von anderthalb Jahren also, soll eine Enquete-Kommission sehr grundsätzlichen Fragen nachgehen: Welche Lehren Deutschland insgesamt aus dem fast 20-jährigen Einsatz am Hindukusch für andere und künftige Auslandseinsätze ziehen kann.

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