Afghanische Helfer der Bundeswehr:Komplizen der Ungläubigen

Afghanische Helfer der Bundeswehr: Es sind Einheimische, auf die die Nato in Afghanistan oft vor Ort angewiesen ist und die mit dieser Zusammenarbeit ihr Leben riskieren. Auf dem Bild schaut ein afghanischer Imam zu einem Landsmann, der ihm im Gespräch mit den US-Soldaten übersetzt - und dabei unfotografiert bleibt.

Es sind Einheimische, auf die die Nato in Afghanistan oft vor Ort angewiesen ist und die mit dieser Zusammenarbeit ihr Leben riskieren. Auf dem Bild schaut ein afghanischer Imam zu einem Landsmann, der ihm im Gespräch mit den US-Soldaten übersetzt - und dabei unfotografiert bleibt.

(Foto: AFP)

Bis Ende 2014 werden die letzten Bundeswehrsoldaten Afghanistan verlassen haben. Zurück bleiben die meisten ihrer einheimischen Mitarbeiter, die in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten müssen. Drei Fälle - mit und ohne Hoffnung.

Von Joachim Käppner, Masar-i-Sharif

Vielleicht wird er irgendwann dem falschen Mann begegnen, irgendwo, zur falschen Zeit am falschen Ort. Vielleicht, wenn er mit seiner Familie in den Gärten der Blauen Moschee spazieren geht und jemand sieht ihn, der ihn besser nicht sehen sollte. Vielleicht steht er längst auf einer Todesliste, vielleicht interessiert sich niemand für ihn. Youssuf Ahmads (Name geändert; SZ) Leben könnte davon abhängen. Ahmads Arbeitgebern genügt das nicht, um ihn als bedroht einzustufen. Das Problem ist nur: Sie werden bald gehen, und womöglich wird er zurückbleiben.

Ahmad ist Dolmetscher bei der Bundeswehr in Afghanistan. Er hat neulich Streit mit einem Soldaten der Regierungsarmee gehabt, im Stützpunkt in Masar-i-Sharif, wo er arbeitet. Der Mann, sagt er, habe ihn beschimpft: "Du Hurensohn hältst zu den Ungläubigen." Als er Ahmad das nächste Mal sah, warf der Mann einen Stein nach ihm, er bedrohte ihn körperlich und verbal. Vielleicht ist da eine Rechnung offen.

"Niemand sonst hat mich bisher bedroht," sagt Ahmad, "trotzdem habe ich Angst um meine Familie. Wir werden hier nicht bleiben können." Nicht über 2014 hinaus. Bis Ende des Jahres werden die letzten Nato-Kampftruppen aus Afghanistan abgezogen sein. Ob sich das Land dann so alleine behaupten kann, wie westliche Politiker und Generäle behaupten, steht in den Sternen. Die Zukunft ist ein offenes Buch, und Ahmad ist sicher, dass nichts Gutes darin stehen wird; nicht für seine Heimat und gewiss nicht für ihn.

Ein Übersetzer, ermordet aufgefunden in einem Auto in Kundus

Zunächst einmal könnte er seinen Job verlieren, wie wohl die meisten der noch etwa 900 von einst 1500 "Ortskräften"; so nennt die Bundeswehr ihre einheimischen Angestellten. Manche sollen bei der kleinen Nato-Nachfolgemission für Beratung und Ausbildung unterkommen, falls sie denn beschlossen wird. Ahmad arbeitet seit acht Jahren für die Nato-Truppe Isaf. Die von den UN mandatierte Mission war für ihn wie für viele westlich gesonnene Afghanen eine Hoffnung auf Frieden nach der Terrorherrschaft der Taliban. Doch der Frieden kam nicht. Ahmad hat die Soldaten auf Kampfeinsätze begleitet, als einziger Mann ohne Gewehr. Er hat im Gefängnis von Masar-i-Sharif übersetzt. Er hat in kalte, feindselige Augen geblickt: "Jeder, der dort saß, kennt mich", sagt Ahmad, "Taliban, Kriminelle, Drogenhändler."

Ende 2013 wurde eine Leiche auf dem Rücksitz eines Autos in Kundus gefunden, jenem Stützpunkt, den die Bundeswehr wenige Wochen zuvor geräumt hatte. Der Mann hatte für die Nato übersetzt. Die Mörder wurden nie gefunden, niemand weiß, wer sie waren. Die Bundeswehr geht von einem Verbrechen ohne politische Hintergründe aus; möglicherweise habe es persönliche Motive, so die Polizei in Kundus.

Oder auch nicht. Die Angaben der afghanischen Ermittler müssen nicht stimmen, ein politischer Mord wäre peinlich für die Regierung in Kabul. Der Dolmetscher war als latent gefährdet eingestuft. Ende Oktober entschied das Bundesinnenministerium innerhalb eines Tages, der Mann solle aufgenommen werden. Das geht aber erst, wenn sich die vielen Stellen in Deutschland geeinigt haben, ein Bundesland und eine Wohnung gefunden sind, die Kostenfrage geklärt ist. Dieser Prozess, hieß es später, sei im "konkreten Fall noch nicht abgeschlossen" gewesen. Der Dolmetscher starb, das sichere Ufer vor Augen.

"Du arbeitest für die Ungläubigen"

"Der Mord war für uns alle ein Schock", sagt Iqbal Bagir, ein Kollege. Er kannte den Mann persönlich: "In Kundus geschah genau das, was wir alle fürchten", sagt er. Die meisten Dolmetscher sind überzeugt, dass die Gotteskrieger hinter dem Mord stecken. Das Opfer habe noch Geld in den Taschen gehabt, sagen sie, die Leiche sei in dem Auto regelrecht zur Schau gestellt worden als Warnung an all die anderen.

Masar-i-Sharif liegt im vergleichsweise ruhigen Norden des Landes. Die Stadt war stets ein Hort der Opposition gegen die Taliban, die Nato hat hier das Regionalkommando Nord errichtet. Und dennoch: Iqbal Bagir kennt das Gefühl, einer unsichtbaren und doch sehr realen Gefahr ausgesetzt zu sein. "Die Probleme begannen, als der Abzug der Nato beschlossen wurde", sagt er.

Fünf Jahre lang dolmetschte Bagir für sie und versuchte, seinen Job vor den Nachbarn geheim zu halten. Dann, nicht weit von seiner Wohnung, stellte sich ihm ein Mann in den Weg und drückte ihm einen Brief in die Hand. Ein Motorradfahrer fuhr heran, der Unbekannte stieg auf den Beifahrersitz, fort waren sie. Der Mann hatte kein Wort gesagt, aber der Brief sagte genug: Du arbeitest für die Ungläubigen, sei ein guter Moslem, denk an deine Familie.

Ein deutsches Aufnahmesystem, fern von Menschen, die wirklich in Gefahr sind

Dann kamen die nächtlichen Anrufe. Die Drohungen. Eines Tages, als er zur Arbeit fahren wollte, folgten ihm zwei Motorräder mit je zwei Männern. Er nahm die Seitenstraßen, die Verfolger blieben dran. Bagir flüchtete zu einem Checkpoint der afghanischen Polizei, die Motorradfahrer bogen ab.

Der Dolmetscher tat das, was Nato-Offiziellen vorschwebt, wenn sie sagen, die Afghanen müssten lernen, ihre Sicherheitsprobleme selbst zu lösen: Er ging zur Polizei. Die Polizei sagte: Sie hören von uns. Doch die einzigen, von denen er hörte, waren die Unbekannten. Sie riefen wieder an. "Ich habe nie erfahren, wer sie waren", sagt Bagir. Der Polizei trauen die Ortskräfte nicht. Sie gilt als korrupt, viele ihrer Männer sind übergelaufene Taliban, mancher kann noch für sie arbeiten.

Bagir lebt seiner Familie seit einigen Wochen in Deutschland. Alles ist fremd. Ein Wohnblock, wenig Platz, kein Job, Heimweh, die langsam dämmernde Erkenntnis, dass es ein Weg ohne Wiederkehr gewesen sein könnte. Möglicherweise werden weder Iqbal noch seine Frau je ihre Eltern wiedersehen. Deutsche Behörden akzeptieren die Schreibweise von Namen in den Pässen nicht, endlose Amtsgänge, die nahende Einschulung der Kinder, für die sich kein Deutschkurs finden lässt. Aber die Familie ist in Sicherheit, das ist die Hauptsache.

Nato-Angestellte verdienen gut, sie sind ein leichtes Ziel

Er kam eigentlich schnell aus dem Land. Sein deutscher Vorgesetzter stufte ihn als "Kategorie eins"-Fall ein, unmittelbar bedroht. Als nächstes folgte ein Expertenhearing in der Bundeswehr im Feldlager, es stimmte zu. Im deutschen Konsulat erhielt er einen Stoß Papiere, verlangt werden Nachweise aller Art wie die Geburtsurkunde.

Es dürfte Millionen Afghanen geben, die keine solche besitzen, aber Bagir hatte sie. Bei der Bundeswehr versucht man, rasch zu handeln. "Wir haben die moralische Verpflichtung, unseren örtlichen Mitarbeitern zu helfen", sagt ein hoher deutscher Offizier, "sie haben jahrelang an unserer Seite gearbeitet, ohne sie hätten wir den Auftrag gar nicht richtig erledigen können."

Deutsche Sicherheitskreise gehen davon aus, dass die Drohungen keine präzis gesteuerte Kampagne islamistischer Terroristen sind. Masar-i-Sharif mag für afghanische Verhältnisse eine Boomstadt sein, es gibt neue Bürogebäude, eine aufblühende Universität und eine Fußball-Akademie. Viele alte Gassen werden überragt von modernen Wohnhäusern, errichtet im Stile eines spektakulären Orientkitsches. Doch blüht auch der Drogenhandel, die Kriminalität ist hoch. Nato-Angestellte verdienen gut, sie sind ein leichtes Ziel. Oftmals verschwimmen die Grenzen zwischen Kriminalität und Untergrundkampf.

Das Aufnahmesystem sei bürokratisch, kritisiert Pro Asyl

In Masar-i-Sharif haben die Gotteskrieger Anhänger genug, um im Untergrund aktiv zu bleiben und alle ihre Gegner wissen zu lassen, was ihnen blüht. Für den deutschen Offizier gilt daher: "Im Zweifel für den Antragsteller. Wer gefährdet ist, der sollte so schnell wie möglich nach Deutschland ausreisen dürfen." Er darf dann Frau und Kinder mitnehmen, aber nicht die Eltern oder Geschwister.

Die Hilfsorganisation Pro Asyl beklagt freilich das bürokratische Verfahren. Inzwischen haben etwa 600 "Ortskräfte" die Ausreise nach Deutschland beantragt, nach jüngsten Zahlen des Innenministeriums sind erst 56 von ihnen hier, dazu ihre Angehörigen. 265 Personen wurde die Aufnahme zugesagt, mehr als die Hälfte abgelehnt.

Beteiligt sind neben der Bundeswehr die Ministerien des Inneren, des Äußeren, die Sicherheitsbehörden, das Bundesamt für Migration und das Bundesland, das den Bewerber aufnehmen soll. Ein Großteil der Verhandlungen dreht sich darum, wer die Kosten übernehmen soll. Bagir mag nicht klagen. Er galt als so gefährdet, dass die deutsche Botschaft auf schnellere Ausreise drängte, als er selbst für möglich gehalten hatte; er wollte noch seinen Hausrat verkaufen, das erledigen jetzt Verwandte.

Viele andere aber scheitern an den Aufnahmekriterien. Das sei, sagt ein weiterer Offizier in Masar, "der schwache Punkt in unserem System: Wie definieren wir Gefährdung?" Schnell geht es, wie bei Bagir, bei Stufe eins: konkreter Gefährdung, inzwischen auch bei Stufe 2, latenter Bedrohung. Und dann sind da die vielen Mitarbeiter der Stufe 3, bei denen keine aktuelle Gefährdung festgestellt wird.

Den Taliban ist egal, ob man in der Wäscherei oder als Fahrer gearbeitet hat

Was aber, wenn die Mörder ohne Vorwarnung zuschlagen, das Opfer völlig ahnungslos ist wie vielleicht in Kundus? "Sollte es einen weiteren Toten geben", sagt der Offizier, "dann sind all diese weltfremden Formalitäten völlig wertlos." Dieses System wurde in deutschen Ministerien erdacht, fern von Menschen, die wirklich in Gefahr sind. Wie womöglich Youssuf Ahmad, der bislang keine Aufnahmeerlaubnis bekam.

Der hohe Offizier geht davon aus, dass die etwa 600 Anträge auf Ausreise nach Deutschland erst der Anfang sind. Er rechne damit, dass "einige tausend Menschen" es versuchen werden, und keineswegs ohne Grund. Denn in der Statistik tauchen nur jene Ortskräfte auf, die bei den Deutschen formell angestellt waren.

Aber da sind ja noch die anderen. Die Kleinunternehmer, die mit ihrem Lastwagen Güter für die Nato transportieren; die Mitarbeiter der Wäscherei, der Entsorgungsfirmen, praktisch jeder, der für die Fremden gearbeitet und von ihnen gelebt hat, ob nun wegen des Geldes oder aus Idealismus. Die Taliban, so heißt es in Sicherheitskreisen, dürften wohl kaum danach fragen, in welcher Rechtsform der "Verräter" im Dienste der "Gottlosen und Kreuzritter" stand.

"Als ob das Wort Nato mit leuchtenden Buchstaben auf meiner Stirn stünde"

Es ist eine schwer überschaubare Zahl von Menschen, die sich in Sicherheit bringen wollen. Zum Beispiel Mohammed Yabil (Name geändert; SZ). Der 43-Jährige arbeitet als angestellte Reinigungskraft für die Bundeswehr; er glaubt: "Wenn die Taliban zurückkommen sollten, werden sie keine Gnade kennen." Er hat ihre Herrschaft erlebt: "Sie haben die Menschen wie Tiere behandelt." Sein Bruder, ein früherer Armeeoffizier, ist damals nachts aus seinem Haus geholt und nie wieder gesehen worden. "Sie werden herausfinden, für wen ich gearbeitet habe; und dann wird mir und meiner Familie dasselbe passieren."

Youssuf Ahmad wartet. Er klagt nicht, er sagt nur: "Ich könnte ja behaupten, ich würde persönlich bedroht. Aber das werde ich nicht tun. Mein Leben soll nicht auf einer Lüge beruhen." Vielleicht muss er deshalb bleiben in diesem Land, in dem es so wenig Hoffnung gibt und so viel Hass und Gewalt: "Wenn ich hier bleiben sollte, ist es so, als ob das Wort Nato mit leuchtenden Buchstaben auf meine Stirn gemalt wäre."

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