AfD:Zu radikal

Der rechtsnationale "Flügel" der AfD ist nun offiziell ein Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz. Diese Einstufung hat gravierende Folgen, etliche Anhänger müssen um ihren Beamtenstatus fürchten.

Von Markus Balser und Jens SchneideR, Berlin

Nach Landtagswahl in Thüringen - AfD

Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke (Mitte) ist das Gesicht der parteiinternen Gruppe „Flügel“, die der Verfassungsschutz nun als rechtsextrem einstuft. Alexander Gauland (links), der Chef der Bundestagsfraktion, und der Parteivorsitzende Jörg Meuthen sahen bisher keinen Grund, Abstand zu halten.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Am Wochenende wurde noch ausgelassen über rechte Parolen gefeixt, als sich der rechtsnationale "Flügel" in Schnellroda in Sachsen-Anhalt traf. Der Saal war geschmückt mit preußischen Fahnen. Das Publikum johlte, als der Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider abschätzig über Migranten sprach und den Flügel als die "Preußen in der AfD" bezeichnete. Das Treffen unter Ausschluss der Öffentlichkeit demonstrierte die zunehmende Stärke der Strömung in der AfD, die nun vom Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextremistisch" eingestuft wurde.

Am Donnerstagvormittag nahm sich Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang viel Zeit, um in Berlin zu erklären, warum er im wachsenden Einfluss des rechtsnationalen Netzwerks "Flügel" in der AfD eine ernste Gefahr für die Gesellschaft sieht. "Wir wissen aus der deutschen Geschichte, dass der Rechtsextremismus nicht nur Menschenleben, sondern auch eine Demokratie zerstört hat", sagte Haldenwang. "Wir sehen heute in aller Klarheit, dass Rechtsextremisten Menschen ermorden und unsere freiheitlich demokratische Grundordnung attackieren." Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus seien die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland. Aus Sicht des Inlandsgeheimdienstes sei es wichtig, rassistische Agitation, Hass und Hetze auch durch Parteien zu benennen, die im Parlament vertreten seien. Höcke warne etwa vor der kulturellen Kernschmelze, so Haldenwang. Den Islam bezeichne er als Besatzungsmacht, dem man den Zugang nach Europa und Deutschland verwehren müsse. "Die Gewaltverbrechen von Kassel, Halle, Hanau sind die blutenden Wunden in einer historischen Spur des Rechtsextremismus, der in letzten 30 Jahren mehr als 200 Tote gefordert hat", sagte Haldenwang. Hinter den Zahlen steckten Täter und Unterstützer. Haldenwang erklärte: "Dies ist eine Warnung an die Feinde der Demokratie. Wir stehen zusammen und handeln." In der AfD hat der von Björn Höcke gegründete "Flügel" sich immer mehr zu einem Machtfaktor entwickelt. Höcke hat zwar in der Bundespartei nie für ein führendes Amt kandidiert, aber gegen die Stimmen der gut vernetzten Gruppierung können gemäßigtere Kandidaten sich schwer durchsetzen. Als Strippenzieher gilt der Brandenburger Landesvorsitzende Andreas Kalbitz, den parteiinterne Gegner als für noch einflussreicher halten als Höcke. Die AfD hat juristsche Schritte gegen den Verfassungsschutz angekündigt und bezeichnet die Entscheidung als "sachlich unbegründet und rein politisch motiviert", so das Bundesvorstandsmitglied Kalbitz.

Für die Partei hat die Einstufung gravierende Folgen. Schon bei einem Verdachtsfall, der bisherigen Vorstufe, ist den Behörden der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln erlaubt. Mit der jetzt erfolgten Einstufung als Beobachtungsobjekt kann die nach Schätzungen rund 7000 Anhänger starke Gruppe mit dem kompletten Instrumentarium nachrichtendienstlicher Mittel permanent durchleuchtet werden. Dazu zählen die Observation und das Anwerben von Informanten. Wer als "Flügel"-Anhänger im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, "wird zukünftig ein Problem mit seiner Dienststelle bekommen", sagte Haldenwang. Rechtsextremisten könnten nicht als Beamte arbeiten. Es müsse aber Einzelfallprüfungen geben. Im "Flügel" sind nach internen Einschätzungen tragende Kräfte beim Staat angestellt oder Beamte. Höcke selbst ist Geschichtslehrer.

Zuletzt war von Teilen der Parteispitze zu hören, dass sie mittelfristig einen Exodus von Beamten fürchten, falls der Verfassungsschutz, wie jetzt geschehen, Teile der AfD zum Beobachtungsfall erklärt. Einzelne Fälle gab es wegen der Radikalisierung der Partei bereits. So verließ im vergangenen Dezember der Polizist und Bundestagsabgeordnete Lars Herrmann aus Sachsen die Partei und verwies darauf, dass der stärker werdende "Flügel" als verfassungsrechtlich problematisch gelte.

Dabei ist selbst in der Partei unklar, wer zum "Flügel" zählt. Die Gruppierung hat keine öffentlich bekannten Strukturen, unklar ist, wie groß ihr Anteil unter den 89 Bundestagsabgeordneten der AfD ist. Ihre Aktivisten in der Partei gelten aber als straff organisiert. Für die Parteispitze ist der "Flügel" ein unumstrittener Machtfaktor. Der Ko-Vorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, stimmte sich vor seiner Wahl 2019 Jahr mit Höcke ab. Eine Minderheit in der Führung würde Höcke gern aus der AfD ausschließen. Ein erstes Ausschlussverfahren scheiterte 2017. Zumeist scheuen Höckes Gegner Konflikte mit dessen Lager.

Außerhalb der AfD stieß die Verfassungsschutz-Entscheidung auf breite Zustimmung. So sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster: "Es ist höchste Zeit, diese extremistische Gruppierung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu beobachten."

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