Landtagswahlen im Osten:Die AfD inszeniert sich als Erbin der Wende

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"Der Osten steht auf", lautet in Brandenburg und Sachsen der AfD-Slogan. (Foto: Getty Images)
  • Die AfD gibt vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen vor, an die Revolution von 1989 anknüpfen zu wollen.
  • Viele Führungspersonen der AfD kommen aus dem Westen. Die Ostdeutschen unter ihnen sind einst nicht als Bürgerrechtler aufgefallen.
  • SPD und Linke kämpfen in den neuen Ländern gegen den Vertrauensverlust aus den vergangenen Jahren.

Von Antonie Rietzschel, Dresden, und Jens Schneider, Potsdam, Dresden/Potsdam

Sie waren die Stimme des Protests und sie verstanden sich darauf, das zu nutzen. Wo immer die PDS in den Neunzigerjahren im Osten in den Wahlkampf zog, gewann sie mit Botschaften, die sich gegen den Lauf der Dinge stellten. "Der Osten wählt rot", lautete ihr Slogan, bis zu einem Viertel der Wähler folgte der Botschaft. Die gereckten Fäuste, aber vor allem die ausgestreckten Mittelfinger auf den Wahlplakaten, entsprachen ihrer Stimmung. Die PDS, hervorgegangen aus der DDR-Staatspartei SED, profitierte von ihrem Image des im Westen verhassten Underdogs. Heute sitzt der Spitzenkandidat des größten Landesverbands der Partei, die mal die PDS war, in Dresden und stellt fest, dass es damit vorbei ist.

Der sächsische Oppositionsführer Rico Gebhardt, 56, sagt: "Wir haben die ostdeutsche Mentalität und die damit verbundenen Themen aus den Augen verloren." Für diesen Verlust könnten die Linken bei den Landtagswahlen am 1. September in Brandenburg und Sachsen einen hohen Preis zahlen. Fragt man Gebhardt, so begann es im Jahr 2007. Damals fusionierte die PDS mit Oskar Lafontaines WASG zur Linkspartei. "Wir wollten eine westdeutsche Partei sein", sagt er. Auf Bundesparteitagen ging es nicht mehr um den Strukturwandel in den neuen Bundesländern, um Ungerechtigkeiten bei Gehältern und Renten. Stattdessen wurde über den Irakkrieg diskutiert, das Verhältnis der Linken zu Europa und der Nato. Die Partei schien die Probleme im Osten, wo sie sich etabliert hatte und in einigen Ländern regierte, zu ignorieren. "Das war ein Fehler", sagt Gebhardt.

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Von diesem Fehler will 30 Jahre nach der friedlichen Revolution nun die AfD profitieren. In beiden Ländern könnten die rechten Populisten stärkste Partei werden. Ihre Kampagne setzt auf den Faktor Ost-Wut - die Devise: Hauptsache gegen das Establishment, zu dem sie auch die Linke zählen. "Der Osten steht auf", lautet in Brandenburg wie in Sachsen der AfD-Slogan, auch in Thüringen setzt ihr Spitzenkandidat Björn Höcke darauf. Diese von den Landesverbänden auf den Osten zugeschnittene Kampagne offenbart aber auch, dass die AfD eine geteilte Partei ist, geeint vornehmlich von Fremdenfeindlichkeit: Im Osten setzt sie auf sozialpolitische Forderungen nach Angleichung und staatlicher Versorgung, die sie im Westen nicht teilt.

Dabei gibt sie vor, an die friedliche Revolution von 1989 anknüpfen zu wollen. "Vollende die Wende" lautet einer ihrer Slogans. "Werde Bürgerrechtler", ein anderer. Bizarr daran ist, wie wenig die Partei mit diesem Erbe zu tun hat, schon rein biografisch. Ihre dominanten Politiker kommen aus dem Westen, und die Ostdeutschen unter ihnen sind einst nicht als Bürgerrechtler aufgefallen. "Wo kommt denn der Herr K. her?", fragt mit einiger Schärfe Dietmar Woidke, Brandenburgs Ministerpräsident, beim Wahlkampfauftakt der SPD in Potsdam. "Aus München", antwortete er selbst.

Woidkes Zuhörer wissen, wer gemeint ist. Der AfD-Spitzenkandidat Andreas Kalbitz stammt aus Bayern. Er hatte mit dem Umbruch im Osten so wenig zu tun wie Björn Höcke vom Rechtsaußen-Flügel der AfD. Höcke wuchs in Neuwied am Rhein auf. Beide reklamieren das Erbe, als wären sie dabei gewesen. "Es fühlt sich schon wieder so an wie 1989", sagte Höcke beim Wahlkampfauftakt in Cottbus, dafür "haben wir nicht die friedliche Revolution gemacht". Er erntete Applaus. Beim Wahlkampfauftakt der AfD in Sachsen schwadronierte Karsten Hilse von den mutigen Sachsen, die 1989 auf die Straße gingen. "Gegen den roten Sozialismus", wie er sagte. Hilse kommt aus Hoyerswerda, er sitzt für die AfD im Bundestag. Zu DDR-Zeiten war er Volkspolizist. Man möchte gern wissen, wo er 1989 war. Eine Anfrage bleibt unbeantwortet.

"Wir wollten '89 Demokratie, offene Grenzen, Freiheiten - die AfD will genau das Gegenteil", sagt Petra Köpping dazu. Mit der Stimmung der Wendezeit habe es nichts zu tun, wie diese Partei die ostdeutsche Sozialisierung der Menschen mit Nationalismus verbinde. Köpping ist aus doppelter Erfahrung eine kundige Gesprächspartnerin mit Blick auf die Stimmung im Osten. Sie hat die Brüche miterlebt und von Berufs wegen viel über seelische Verwundungen und Sorgen derer erfahren, die seit 1990 das Gefühl hatten, auf der Seite der Verlierer gelandet zu sein.

Die 61-Jährige sitzt für die SPD im sächsischen Landtag und ist Ministerin für Integration und Gleichstellung. "Wer '89 auf die Straße ging, dachte, er stehe auf der Seite der Gewinner", sagt sie. Am Ende sei es bei vielen anders gekommen. Köpping war in den Neunzigerjahren Bürgermeisterin von Großpösna, einer Kleinstadt im Südosten Leipzigs. Sie war dabei, als am Störmthaler See der Tagebau geschlossen wurde. Bei der "feierlichen Sprengung" der Förderbrücke, so erinnert sich Köpping, hatten die Bergbauleute Tränen in den Augen. Seit Jahren sammelt sie solche Geschichten, besucht Menschen, die erleben mussten, wie die Treuhand ihre Betriebe abwickelte oder an Westdeutsche verscheuerte. Sie hat eine Streitschrift für den Osten geschrieben: "Integriert doch erst mal uns". Köpping setzte sich erfolgreich für eine Arbeitsgruppe im Bundessozialministerium ein, die sich mit Rentenansprüchen früherer Reichsbahner und Bergbauarbeiter auseinandersetzt.

Eigene Kongresse, Programme und Parolen - alle Mühe scheint SPD und Linken nichts zu bringen

Es ist nicht so, dass sich die anderen Parteien nicht um den Osten scheren. Seit der Bundestagswahl 2017 hat die Bundes-SPD einen Ostbeauftragten: Martin Dulig, Landesparteichef in Sachsen. Er lud im Frühjahr zum Ostkonvent nach Erfurt, stellte ein Zukunftsprogramm für den Osten vor. Die damalige SPD-Chefin Andrea Nahles warnte davor, Ostdeutsche wegen ihrer Enttäuschung Jammer-Ossis zu schimpfen. Es sollte ein Signal sein.

Gebracht hat es nichts. In Brandenburg liegt die SPD Umfragen zufolge bei 19 Prozent, das wäre ein dramatischer Einbruch in ihrem ostdeutschen Stammland, wo sie seit 1990 durchgehend den Regierungschef stellt. 2014 erreichte sie noch 31 Prozent. Ministerpräsident Dietmar Woidke will sich mit dem Slogan "Ein Brandenburg" gegen den Machtverlust stemmen und den Wählern erklären, dass es keine abgehängten Regionen geben solle. Er verspricht mehr Ärzte auch für entlegene Regionen, das Land will dafür selbst Mediziner ausbilden. Niemand werde zurückgelassen, lautet die Botschaft. Woidke empört sich über die "Renten-Mauer", die fallen müsse. Es müsse endlich eine Angleichung der Ost-Renten geben. Seine Partei regiert freilich seit Jahren im Land und im Bund.

In Sachsen liegt sie nur bei neun Prozent, auch dort regiert sie mit. "Das Vertrauen, das die Menschen in den letzten 30 Jahren in die Parteien verloren haben, lässt sich nicht so schnell wieder herstellen", sagt Köpping mit Blick auf all die Ost-Kongresse und Programme: "Die Leute wollen nicht nur reden, sondern Ergebnisse." Die Einführung der Grundrente hätte so ein Ergebnis sein können. Groß war die Hoffnung bei Sozialdemokraten in Brandenburg und Sachsen, dass sich die Bundesregierung des Themas noch vor den Landtagswahlen annehmen werde. Dulig schickte einen Brandbrief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und forderte sie auf, die Blockadehaltung der Union aufzulösen. "Ich erwarte bis September einen Durchbruch", schrieb er. Merkel ist derzeit im Urlaub.

Wie die SPD hat auch die Linke an Zustimmung verloren. In Sachsen liegt sie laut Umfragen bei 15 Prozent, in Brandenburg bei 16 Prozent. Allein in Thüringen, wo sie den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow stellt, liegt sie vorn. Im Wahlkampf besinnt sie sich nun auf ihre ostdeutschen Wurzeln. Einfach "Osten" steht in Potsdam auf Plakaten, oder: "Wut", aber mit dem kleinen Zusatz: "... allein bringt das Land nicht weiter". Auch in Sachsen wirbt die Partei mit Ein-Wort-Plakaten: "Tradition", "Weltfrieden" - und "Sozialismus". Letzteres provozierte vor allem die sächsische CDU. Und Deutschlehrer. Die störten sich an der falschen Trennung einzelner Worte: "Sozi-ali-smus". Das war es aber auch mit der Aufregung.

© SZ vom 06.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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