Süddeutsche Zeitung

Junge AfD-Wähler:Die Wütenden und die Enttäuschten

  • Bei der Landtagswahl in Thüringen wählten vor allem viele junge Menschen die Alternative für Deutschland.
  • Doch die AfD profitiert auch von einem starken Stadt-Land-Gefälle.
  • Soziologisch betrachtet gibt es vor allem zwei Gruppen, die der Partei ihre Stimme geben.

Von Christian Endt

Die jungen Thüringer unter 30 Jahren wählen keine Partei häufiger als die AfD. Diese Erkenntnis ergibt sich aus den Nachwahlbefragungen der Forschungsgruppe Wahlen für die Landtagswahl am vergangenen Sonntag. Ein Befund, der viele überraschte Reaktionen hervorrief (obwohl es bei der Sachsen-Wahl im September genauso war) - sind die jungen Leute nicht die, die freitags für den Klimaschutz auf die Straße gehen, weltoffene, liberale Grünen-Wähler? Und ist die AfD nicht vielmehr die Partei der alten, unzufriedenen, engherzigen Männer?

Ein Blick in die Wahlforschung zeigt, dass all dies nicht ganz richtig und nicht ganz falsch ist. Ältere Menschen wählen in der Tat vergleichsweise selten AfD. Die verlässlichste Anhängerschaft der Rechtsaußen-Partei ist im mittleren und gesetzteren Alter: In den Altersgruppen zwischen 35 und 70 Jahren erreicht sie den größten Stimmanteil. Bei den Jungen schneidet die AfD unterdurchschnittlich ab; durch die Schwäche von Union und SPD bei dieser Altersgruppe ist die Hürde für den ersten Platz aber auch besonders niedrig. Mancherorts profitieren davon die Grünen, etwa in Baden-Württemberg und Brandenburg, anderswo eben die AfD.

Das lässt sich aus der repräsentativen Wahlstatistik ablesen, die der Bundeswahlleiter herausgibt. Sie gibt Aufschluss über das Wahlverhalten nach Geschlecht und Alter. Anders als die Daten der Meinungsforscher beruht die Wahlstatistik nicht auf Befragungen am Wahltag, sondern aus einer anonymen Auswertung von repräsentativ ausgewählten Stimmzetteln. Die Wahlstatistik ist daher zuverlässiger und ermöglicht präzisere Auswertungen als die Nachwahlbefragungen. Ihre Erstellung dauert einige Zeit, darum sind die neuesten Zahlen jene für die Europawahl vom Mai dieses Jahres. Vorteilhaft ist, dass der Europawahlkampf weniger von starken Persönlichkeiten geprägt war, was die Daten verzerren würde.

In den Städten wählten 19 Prozent die Höcke-Partei, auf dem Land waren es 25 Prozent

Zusätzlich zur Altersverteilung lohnt es sich, Geschlecht und Wohnort genauer anzusehen. Aus der Kombination aller drei Merkmale ergibt sich eine dramatische Spanne: Mit 2,9 Prozent der Stimmen hat die AfD bei Frauen zwischen 18 und 24 Jahren in Westdeutschland den geringsten Erfolg; bei ostdeutschen Männern zwischen 45 und 59 Jahren erreicht sie mit 32,4 Prozent mehr als den zehnfachen Anteil.

Zur multiplen Spaltung zwischen Männern und Frauen, Ost und West, Jungen und nicht ganz so Jungen kommt ein großes Stadt-Land-Gefälle: Bei der Landtagswahl wählten in den sechs kreisfreien Städten Thüringens 19 Prozent die AfD, in den Landkreisen dagegen 25 Prozent.

Insbesondere in Ostdeutschland spielt die regionale Entwicklung außerdem eine große Rolle: In Landkreisen mit schrumpfender Bevölkerung ist der Anteil der rechten Wähler deutlich höher als dort, wo Menschen zuziehen. In Westdeutschland lässt sich ein solcher Effekt nicht festmachen.

Parallel zu den Erfolgen der AfD werden bei vielen Wahlen steigende Beteiligungen festgestellt. Tatsächlich deuten Nachwahlbefragungen darauf hin, dass die AfD viele Nichtwähler für sich gewinnen kann. Eine Studie der Politikwissenschaftler Stefan Haußner und Arndt Leininger kann jedoch keinen klaren Zusammenhang feststellen.

Einen anderen Blick auf die AfD-Wählerschaft und die Gesellschaft insgesamt ermöglicht eine aktuelle Studie unter dem Titel "Die andere deutsche Teilung". Die Autoren von der Organisation More in Common glauben, dass soziodemografische Indikatoren wie Alter, Geschlecht, Wohnort und Einkommen als Erklärungsmuster für Populismus und andere Entwicklungen zu kurz greifen. In ihrer repräsentativen Studie, für die sie mit dem Institut Kantar Public mehr als 4000 Menschen befragt haben, verwenden sie stattdessen einen sozialpsychologischen Ansatz, der die Menschen gemäß ihren Überzeugungen und ihrer Selbsteinschätzung in sechs Gruppen einteilt.

Zwei dieser Gruppen wählen besonders häufig die AfD, und diese beiden Gruppen sind grundverschieden. "Die Gruppe der Wütendenden zeichnet ein geschlossen nationales Weltbild aus", sagt Laura-Kristine Krause, eine der Autorinnen der Studie. "Sie lehnen Migration rundheraus ab und misstrauen dem demokratischen System in Deutschland grundsätzlich." Die Wütenden sind politisch stark engagiert, vor allem in den sozialen Medien.

Die Gruppe der Enttäuschten sei ebenfalls migrationskritisch eingestellt, vor allem wünsche sie sich aber eine gerechtere Gesellschaft. "Das sind häufig Menschen, die hart arbeiten müssen, etwa in der Pflege, und sich von der Gesellschaft nicht wertgeschätzt fühlen", sagt Krause. Zu dieser Gruppe gehören der Studie zufolge viele junge Menschen und mehrheitlich Frauen. Neben AfD-Anhängern sind besonders häufig Nichtwähler bei den Enttäuschten zu finden, von der Politik haben sich viele entfernt.

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SZ vom 30.10.2019/bix
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