Süddeutsche Zeitung

AfD vor Spaltung:Lucke und der Auszug der Gemäßigten

  • Nach der Niederlage von Parteigründer Bernd Lucke gegen die nationalkonservative Frauke Petry steht die Alternative für Deutschland (AfD) vor der Spaltung.
  • Vier Europa-Abgeordnete aus dem Unterstützerkreis Luckes kündigten ihren Rückzug aus der AfD an. Eine Internetumfrage wurde initiiert, von deren Ergebnis es wohl auch abhängt, ob Lucke eine neue Partei gründet.
  • Die nun alleinige AfD-Vorsitzende Frauke Petry widersprach Einschätzungen, wonach die AfD nach rechts gerückt sei.

Von Jens Schneider, Berlin

Die Alternative für Deutschland (AfD) steht nach dem Parteitag in Essen vor einem Exodus von gemäßigt konservativen Mitgliedern. Bis zum Montagnachmittag kündigten vier Europa-Abgeordnete aus dem Unterstützerkreis des Parteigründers Bernd Lucke ihren Rückzug aus der AfD an.

Lucke selbst bezeichnete nach seiner Niederlage im Machtkampf mit Frauke Petry auf dem Parteitag in Essen seinen Rücktritt als wahrscheinlich, ließ den Zeitpunkt aber offen.

Aufstieg und Streit

Am 6. Februar 2013 gründet Bernd Lucke gemeinsam mit Gleichgesinnten die Alternative für Deutschland (AfD). Die Partei nimmt erstmals im Jahr 2013 bei der Bundestagswahl und der Landtagswahl in Hessen teil, bleibt aber unter der Fünf-Prozent-Hürde. Erste Erfolge verzeichnet sie bei den Kommunalwahlen in Bayern im Jahr 2014 und zieht in einige Stadt- und Gemeinderäte ein. Bei den Landtagswahlen erhält sie im selben Jahr Mandate in den Landesparlamenten Sachsen (9,7 Prozent der Listenstimmen), Brandenburg (12,9 Prozent) und Thüringen (10,6 Prozent). Nach der Europawahl 2014 stellt sie erstmals auch überregionale Mandatsträger: Die AfD erreicht dort 7,1 Prozent der Stimmen und zieht mit sieben Abgeordneten in das Europäische Parlament ein. Nach diesem Erfolg wird sie mit 29 zu 26 Stimmen in die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im Europaparlament aufgenommen. Elena Adam

Gemäßigte Mitglieder verlassen die AfD

Definitiv die Partei verlassen wollten die beiden Europa-Abgeordneten und Landesvorsitzenden von Baden-Württemberg, Bernd Kölmel, und Schleswig-Holstein, Ulrike Trebesius, sowie der Abgeordnete Joachim Starbatty. Kölmel erklärte am Montag seinen Rücktritt, Trebesius will Ende der Woche aus der AfD ausscheiden. Dies sei nicht mehr ihre Partei, sagte sie.

Ähnlich äußerte sich Starbatty. "Ich bin mit Enthusiasmus eingetreten, ich wollte eine wirklich andere Politik machen", sagte der emeritierte Wirtschaftsprofessor. "Das ist jetzt nicht mehr möglich." Alle Europa-Abgeordneten wollen laut Trebesius nach dem Austritt ihr Mandat behalten. "Wir sind 2014 mit einem Programm zur Wahl angetreten, für das ich weiter stehe. Dieses Programm werde ich im Parlament vertreten", sagte Kölmel.

Laut Starbatty wollen die Abgeordneten in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer bleiben. Nach Angaben von Trebesius, der Vorsitzenden des sogenannten Weckrufs 2015, verlassen auch viele einfache Mitglieder und Funktionäre auf regionaler Ebene die AfD. Bereits auf dem Parteitag in Essen hatten Lucke-Anhänger ihren sofortigen Austritt erklärt.

Noch offen war am Montag, ob Lucke und seine Unterstützer eine neue Partei gründen werden. Dazu beginne bei den Unterstützern des "Weckrufs" jetzt eine Internet-Umfrage, sagte Trebesius. Ein Ergebnis werde Mitte der Woche erwartet.

Es heißt, für viele Mitglieder sei ausschlaggebend, ob Lucke bei einer Neugründung mitmacht. In dessen Umfeld wird seit Längerem über eine neue Partei diskutiert.

Auf dem Parteitag in Essen hatte sich der rechte Flügel auf ganzer Linie durchgesetzt. Zudem wurde Lucke immer wieder ausgepfiffen und während seiner Reden lautstark beschimpft. Viele bürgerliche Mitglieder seien "erschüttert" über die Ereignisse, sagte Ulrike Trebesius.

Petry spricht von einer "Befreiung"

Bereits am Sonntag hatte sich der Europa-Abgeordnete Hans-Olaf Henkel aus der AfD zurückgezogen. Er war bis vor Kurzem noch stellvertretender Parteichef. Die AfD werde nun eine "NPD im Schafspelz", sagte Henkel.

Die neue alleinige AfD-Vorsitzende Frauke Petry widersprach am Montag Einschätzungen, wonach die AfD in Essen nach rechts gerückt sei. Sie nannte es "eine Befreiung, dass der Streit jetzt vorbei ist". Die AfD werde nun erwachsen, sagte Petry dem Radiosender MDR-Info. "Junge Parteien haben generell das Phänomen, dass sie eine recht dynamische Mitgliederentwicklung haben", sagte Petry weiter.

Die AfD habe in den vergangenen zweieinhalb Jahren 5000 Mitglieder verloren und trotzdem einen Netto-Zuwachs verbucht. Man habe bereits zahlreiche neue Eintritts-Ankündigungen vorliegen.

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SZ vom 07.07.2015/odg
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