AfD:Verpuffungen in der Fraktion

Wieder verlässt ein Abgeordneter die AfD in Baden-Württemberg. Der Mediziner aus Stuttgart kritisiert einen mangelnden Abstand der Partei zu Antisemitismus und Extremismus.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Heinrich Fiechtner, baden-württembergischer Landtagsabgeordneter, bescheinigt der AfD eine unklare Haltung zu Antisemitismus und Extremismus. Dem Fraktionsvorsitzenden Jörg Meuthen wirft er vor, er habe die Sitten verwahrlosen lassen. Deshalb ist Fiechtner nun aus Partei und Fraktion ausgetreten. Das ist bemerkenswert: Hatte nicht derselbe Fiechtner sich noch vor einer Woche um das Amt des Fraktionsvorsitzenden beworben, als Nachfolger von Jörg Meuthen, der ins Europaparlament wechseln wird?

Nun macht er sich davon, der wortgewaltige Arzt aus Stuttgart, dessen Markenzeichen die bunte Fliege und die scharfe Rede sind. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise verglich Heinrich Fiechtner den Koran mit Hitlers "Mein Kampf" und nannte den Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn, einen Grünen, einen "miesen, faschistoid-populistischen Scharfmacher". Das folgende Parteiausschlussverfahren gegen Heinrich Fiechtner stoppte seinerzeit: der Vorsitzende Jörg Meuthen. Fiechtner sei eigentlich "ein ganz lieber Mensch", sagte Meuthen damals.

Mit einer Aneinanderreihung von Explosionen und Verpuffungen macht die Südwest-AfD auf sich aufmerksam, seitdem sie im März 2016 bei der Landtagswahl 15,1 Prozent der Stimmen gewann. Würde man die politischen und menschlichen Unverträglichkeiten nicht kennen, könnte man glatt vermuten, es stecke eine Strategie dahinter, um das Publikum bei Laune zu halten. Mit 23 Abgeordneten übernahm die AfD nach der grün-schwarzen Regierungsbildung die Rolle der stärksten Oppositionsfraktion. Sie spaltete sich im Streit um den offenkundig antisemitischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon auf, vereinigte sich wieder nach Gedeons freiwilligem Austritt. Die Abgeordnete Claudia Martin verließ im Dezember 2016 Fraktion und Partei mit der Begründung, sie wolle den rechtspopulistischen Kurs nicht mittragen. Inzwischen gehört sie der CDU an.

Nun also Austritt Nummer drei: Heinrich Fiechtner, 57. Die Verwerfungen um seine Person zogen sich über Monate hin. Gegen den Willen der Fraktion hatte er im Parlament die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge gutgeheißen, deshalb erteilte ihm die Fraktionsführung Redeverbot und zog ihn aus zwei Ausschüssen ab. Fiechtner wehrte sich juristisch und hatte Ende Oktober mit einer Organklage Erfolg. Der Verfassungsgerichtshof in Stuttgart befand, die AfD verletze das freie Mandat Fiechtners. Als Anlass für seinen Abschied aus der Partei nennt er nun den Beschluss der Fraktion, ihre Arbeitskreise für "Gäste" zu öffnen - offenbar ein Schritt, um den Abgeordneten Wolfgang Gedeon, einen Verfasser antisemitischer Schriften, wieder näher an sich zu binden.

Jörg Meuthen erklärte Fiechtners Schritt für überfällig, sein Nachfolger im Fraktionsvorsitz, der Spediteur Bernd Gögel, äußerte dagegen Bedauern. Er will die AfD in ruhigere Fahrwasser führen und sogar koalitionsfähig machen. Derzeit wirkt die AfD allerdings wie eine einzige Fluchtbewegung. Bald könnte der Status als stärkste Oppositionsfraktion vor der SPD (19 Sitze) verloren gehen, denn mindestens ein weiterer Abgeordneter hat offenbar mit Austritt gedroht. Weil er sich schlecht behandelt fühlt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: