Neues Verfassungsschutz-GutachtenWarum die gesamte AfD als  „gesichert rechtsextremistisch“ gilt

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Seit Freitag gilt die AfD offiziell als verfassungsfeindlich.
Seit Freitag gilt die AfD offiziell als verfassungsfeindlich. (Foto: Michael Probst/AP)

Pläne für Remigration, Begriffe wie „Messer-Migranten“ und „Umvolkung“: Nach monatelanger Arbeit verschärft der Inlandsgeheimdienst seine Gangart gegen die Alternative für Deutschland. Für die AfD könnte es nun sogar um ihre Existenz gehen.

Von Markus Balser und Roland Preuß, Berlin

Die zweitgrößte Fraktion im Bundestag gilt laut Verfassungsschutz nun als gesichert rechtsextremistisch. Gut zwei Monate nach der Bundestagswahl stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als Gesamtpartei am Freitag offiziell als verfassungsfeindlich ein. Bisher galt sie lediglich als extremistischer Verdachtsfall. Dieser Verdacht habe sich jedoch „bestätigt und in wesentlichen Teilen zur Gewissheit verdichtet“, erklärte die Kölner Behörde.

Die Entscheidung kurz vor dem Antritt der neuen Bundesregierung gilt als Paukenschlag. Schon seit Monaten arbeitete der Verfassungsschutz nach SZ-Informationen an den Details des neuen Gutachtens. Die Entscheidung sei aufgrund einer „die Menschenwürde missachtenden, extremistischen Prägung der Gesamtpartei“ gefallen, erklärt die Behörde. Die AfD betrachte deutsche Staatsangehörige mit Zuwanderungsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern nicht als gleichwertig, weil sie das deutsche Volk ethnisch definiere. Bürger mit Migrationsgeschichte würden von ihr als Deutsche zweiter Klasse behandelt, hieß es in Sicherheitskreisen weiter. Dies sei mit der Menschenwürdegarantie nicht vereinbar. Die AfD verfolge damit „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“.

Die AfD gilt demnach als gefährlich, weil sie gegen die Basis des Zusammenlebens im Land arbeitet, eine strikte Gleichberechtigung der Staatsbürger. Sie würden gespalten und aufgeteilt, anhand fremdenfeindlicher Maßstäbe. Als weiteres Gefahrenpotenzial gilt das Agieren der Partei in Parlamenten, wo sie Gepflogenheiten und Vorschriften missachtet, wie dies bei der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags vergangenen September offenbar wurde. Dort musste der Alterspräsident von der AfD per Gerichtsurteil dazu gezwungen werden, die Rechte der Abgeordneten zu achten.

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Die AfD-Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla stellten die Partei am Freitag als Opfer einer politisch motivierten Entscheidung gegen eine wachsende politische Kraft dar. Die Entscheidung des Verfassungsschutzes sei „ein schwerer Schlag gegen die bundesdeutsche Demokratie“, erklärten sie und verwiesen auf aktuelle Umfragen, in denen die AfD etwa gleichauf mit der Union liegt. Die AfD werde sich gegen diese „Diffamierungen“ weiter juristisch zur Wehr setzen. Am Freitagabend forderte die Partei mit einem Anwaltsschreiben das Bundesamt für Verfassungsschutz auf, seine Einstufung bis Montagmorgen öffentlich zu korrigieren.

Die hochbrisante Entscheidung des Verfassungsschutzes hatte trotz der langen Arbeit am Gutachten einen äußerst kurzen Vorlauf. Der Verfassungsschutz habe die Partei noch bis zum 25. April – also bis weit nach der Bundestagswahl – für das neue Gutachten beobachtet. Erst am Montag soll der Geheimdienst Nancy Faeser (SPD) das 1100 Seiten starke Papier vorgelegt haben. Am Mittwoch habe die Innenministerin entschieden, die Hochstufung des Verfassungsschutzes veröffentlichen zu lassen. Darüber seien auch der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der künftige Kanzler Friedrich Merz (CDU) sowie der künftige Vizekanzler und SPD-Chef Lars Klingbeil und der künftige Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) informiert worden. Faeser übernehme so in ihren letzten Amtstagen die Verantwortung für das Vorgehen, hieß es.

Die Entscheidung könnte zur ernsten Gefahr für die Zukunft der AfD werden. Sie entfachte auch die Diskussion um ein Verbotsverfahren neu. Die frühere Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen forderte, dies zu prüfen. In jedem Fall dürfte sich das Vorgehen gegen die AfD weiter verschärfen. „Für mich bestätigt sich einmal mehr, dass Vertreter der AfD im Bundestag für Ämter nicht wählbar sind und Demokratinnen und Demokraten nicht repräsentieren können“, sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast. „Für Feinde der Demokratie kann es null Toleranz geben“, sagte auch CSU-Chef Markus Söder.

Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich zurückhaltend zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren. „Ich bin gegen einen Schnellschuss“, sagte er. Kritik an der neuen Einstufung der AfD kam aus Washington. US-Außenminister Marco Rubio warf Deutschland „Tyrannei“ vor. Wirklich extremistisch sei nicht die AfD, sondern die tödliche Politik der offenen Grenzen, die die Partei ablehne, schrieb Rubio auf der Plattform X.

Bereits in der kommenden Woche könnte die Einstufung erste Folgen haben. Denn immer fraglicher wird so, ob die anderen Parteien der AfD die Übernahme von Vorsitzendenposten in Bundestagsausschüssen zugestehen, die zur Wahl anstehen.

Die Migration sei mit invasiven Arten im Tierreich verglichen worden

Schon bisher sind Teile der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft, die Landesverbände in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, das Gleiche galt für die Jugendorganisation „Junge Alternative“, die sich Ende März offiziell auflöste und durch eine neue Organisation ersetzt werden soll. Nun gilt das auch für die Gesamtpartei. Das neue Gutachten soll Anhaltspunkte dafür durch „Äußerungen hochrangiger Parteivertreterinnen und -vertreter aus dem gesamten Bundesgebiet“ liefern, heißt es in Sicherheitskreisen. Auch den Bundesvorstand hat der Geheimdienst in die Prüfung einbezogen. Zu dem belastenden Material sollen etwa Forderungen nach Remigration gehören oder auch die „Verwendung von Tiermetaphern“, durch die Migration mit invasiven Arten im Tierreich verglichen werde.

Die AfD war mit einer Doppelstrategie gegen ihre Beobachtung und Einstufung durch die Verfassungsschutzbehörden vorgegangen. Zum einen klagte sie dagegen, sowohl auf Landesebene als auch auf Bundesebene, scheiterte damit allerdings weitestgehend. Im Fall der Gesamtpartei unterlag die AfD dem Bundesamt für Verfassungsschutz in wesentlichen Punkten 2022 vor dem Verwaltungsgericht Köln. Auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster billigte in seinem Urteil vom Mai 2024 die Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall und die Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln, etwa durch Anwerbung von Informanten. Schon bei der Verhandlung in Münster spielte ein ethnisches Verständnis des deutschen Volkes eine zentrale Rolle. Die Verfassungsschützer führten zahlreiche Äußerungen an, die dies belegen sollten, darunter vom Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Beide Urteile sind nicht rechtskräftig, weil die AfD Rechtsmittel dagegen eingelegt hat.

Führende Funktionäre der Partei versuchten, dies zu widerlegen, etwa der damalige EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah mit einem Verweis auf seine Mitarbeiter, von denen mehrere ausländische Wurzeln hatten. Auch Hessens AfD-Vorsitzender Robert Lambrou trat auf, er hat einen griechischen Vater.

Zum anderen versucht die AfD, den Verfassungsschutz als unglaubwürdig darzustellen. Die Behörden würden von den politischen Gegnern instrumentalisiert und gegen die Partei eingesetzt, so lautete immer wieder der Vorwurf. So auch am Freitag. „Die Entscheidung unmittelbar vor Amtsantritt der neuen Bundesregierung zeigt die politische Agenda des Verfassungsschutzes“, sagte Krah der Süddeutschen Zeitung. Nachdem mehrere Gerichtsurteile die Entscheidungen der Behörden bestätigt hatten, stellte Parteichefin Alice Weidel dann auch die Justiz als politisch beeinflusst dar.

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