Süddeutsche Zeitung

AfD:Fließende Grenze zum Völkischen

  • Nach Informationen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung wird das Bundesamt für Verfassungsschutz sehr bald entscheiden, zumindest den nationalen, völkischen Flügel der AfD offiziell zum Beobachtungsobjekt zu erklären.
  • Die Gesamtpartei AfD rangiert noch eine Stufe darunter, sie ist ein sogenannter Prüffall.
  • Schon längst ist der Flügel keine klar abgrenzbare Truppe mehr, nicht einmal seine genaue Zahl der Mitglieder oder Unterstützer ist bekannt.

Von Georg Mascolo, Sebastian Pittelkow und Katja Riedel, Berlin

Wann immer in diesen Monaten der Vorstand der AfD zusammentritt, steht ein Thema ganz oben auf der Tagesordnung: der Verfassungsschutz. Die Partei befürchtet, schon bald offiziell zum Beobachtungsobjekt der Staatsschützer zu werden. Deshalb genehmigte die Partei gerade 250 000 Euro für eine Werbekampagne - mögliches Motto: "Wir sind das Grundgesetz". Und für Beamte, die aufgrund ihrer AfD-Mitgliedschaft in Schwierigkeiten kommen könnten, suchen Bundes- und Landesvorstände beruhigende Worte - es gibt Rundbriefe mit juristischem Rat. Sogar ein "Hilfsfonds" für Rechtsstreitigkeiten von AfD-Mitgliedern im Staatsdienst wurde erwogen.

Die Vorbereitungen scheinen dringend notwendig zu sein. Nach Informationen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung wird das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sehr bald entscheiden, zumindest den nationalen, völkischen Flügel offiziell zum Beobachtungsobjekt zu erklären. Das BfV wollte sich auf Anfrage hierzu nicht äußern. Seit vergangenem Januar wird der Flügel bereits als Verdachtsfall geführt, eine Art Vorstufe zu einer offiziellen Beobachtung. Die Gesamtpartei AfD rangiert noch eine Stufe darunter, sie ist ein sogenannter Prüffall. Beamte vergleichen solche Einstufungen mit einer Bewährungszeit. Aber der vom Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke und Bundesvorstand Andreas Kalbitz geführte Flügel habe diese nicht bestanden, heißt es in Verfassungsschutzkreisen. Auch die Gesamtpartei habe den radikalen Kurs des Flügels nicht beendet.

Manchen Verfassungsschutzbehörden reicht der Flügel nicht, sie wollen die gesamte Partei ins Visier nehmen. Auch aus der Politik ist der Druck groß. Aber konsensfähig scheint ein so weitreichender Schritt nicht zu sein. Zu unterschiedlich ist die Lage: In Sachsen oder Thüringen etwa dominiert der Flügel auch die Gesamtpartei, in vielen westlichen Landesverbänden ist dies nicht der Fall. Insgesamt dürften dem Flügel ein knappes Drittel der Parteimitglieder angehören - doch die Gruppe ist mächtig, weil sie stets geschlossen auftritt und Mehrheiten organisieren kann.

Schon längst ist der Flügel also keine klar abgrenzbare Truppe mehr, nicht einmal seine genaue Zahl der Mitglieder oder Unterstützer ist bekannt, auch deshalb, weil es keine wirkliche Mitgliederliste gibt. Nimmt man also den Flügel in den Blick, schaut man auf die gesamte Partei. So sieht es auch die AfD. Mit eben diesem Argument wehrt sich die Partei etwa vor dem Verwaltungsgericht in Köln. In immer schnellerer Folge reicht die Kölner Anwaltskanzlei Höcker, in der auch der frühere Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen arbeitet, Klagen ein. So will die Partei per Unterlassung verhindern, dass der Flügel und die Jugendorganisation in den bald erscheinenden Verfassungsschutzberichten als Verdachtsfälle genannt werden dürfen und ihre Mitglieder damit als Rechtsextremisten in die Statistik eingehen. Die AfD argumentiert in den Klagen, sie wisse selbst nicht, wer genau dem Flügel zuzurechnen sei. Köln gilt als strenges Gericht: Als Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang im Januar 2019 die ersten Schritte gegen die AfD auf einer Pressekonferenz bekannt gab, rügten die Richter dies und untersagten jede weitere Erklärung. Schließlich sei ein Prüffall nichts, was man öffentlich mache.

Die zahlreichen von ihr angestrengten Verfahren und internen Gutachten will die AfD nun zu ihrer Werbekampagne eindampfen - man stehe auf dem Boden des Grundgesetzes. Dass dies so ist, bezweifeln nicht nur immer mehr Politiker, sondern auch ein über 400-seitiges Gutachten des BfV aus dem Frühjahr 2019. In ihm lässt sich nachlesen, was in dieser Partei an abstoßender und gefährlicher Rede längst möglich ist.

Im Verfassungsschutz gibt man sich angesichts der laufenden Auseinandersetzungen mit der Partei ohnehin gelassen. Dies stützt sich ausgerechnet auf eine der schwersten Niederlagen, die der Staat bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus je erlitt. Im Januar 2017 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die NPD nicht verboten werden müsse, sie sei zwar radikal, aber faktisch unbedeutend. Es war ein in Teilen bizarres Verfahren, die NPD wollte Edward Snowden als Zeugen hören, um zu beweisen, dass deutsche und ausländische Geheimdienste bei der Ausspähung des Parteivorstandes kooperierten. Dann behaupteten sie, der Verfassungsschutz habe den Wagen der Mutter eines ihrer Rechtsanwälte gerammt.

In der AfD gibt es seit Langem ein Ringen um das Ausmaß der eigenen Radikalität

Das Urteil gilt bis heute als entscheidend. Karlsruhe definierte so klar wie nie zuvor, was in diesem Staat zu schützen ist. Die Missachtung der Menschenwürde, Rassismus, die Ausgrenzung von Ausländern, Migranten, Muslimen, wurde als verfassungsfeindlich erklärt. Ebenso wie das gezielte Verächtlichmachen der parlamentarischen Demokratie. Es ist eine moderne, zeitgemäße Interpretation dessen, was heute den Staat bedroht. Ebenso argumentiert der Verfassungsschutz nun, wenn es um den AfD-Flügel geht. Tatsächlich werden die AfD-Entscheidungen von eben jenen Beamten vorbereitet, die sich bereits um das NPD-Verbot bemühten und dem Prozess in Karlsruhe beiwohnten.

Auch die AfD weiß, dass die Aussichten auf einen gerichtlichen Stopp der Verfassungsschutzaktivitäten nicht überragend sind. In Sachen NPD ging es um ein Verbot, die Ultima Ratio in einer Demokratie. Die Beobachtung einer Partei ist im Vergleich ein weit milderes Mittel. Als BfV-Präsident Haldenwang im Herbst erklärte, "der Flügel wird immer extremistischer", versuchte Höcke ihm dies mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Köln zu untersagen. Höcke unterlag.

Innerhalb der Partei gibt es seit Langem ein Ringen um das Ausmaß der eigenen Radikalität. Während sie für die einen den Markenkern und die Erfolgsgarantie bildet, befürchten andere, spätestens durch eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz Zustimmung bei den Wählern zu verlieren. Einige prominente Mitglieder, die im Gutachten des BfV mit radikalen Äußerungen auftauchen, wurden von der Partei um Stellungnahmen gebeten. Das Ergebnis zeigt die innere Zerrissenheit: Während etwa Björn Höcke schnell antwortete, lässt sein Flügel-Co-Chef Kalbitz bis heute auf sich warten. Geradezu provokativ nahm der Anwalt Dubravko Mandic aus Baden-Württemberg Stellung. Er wurde gebeten, seine Aussagen zu einer inhaltlichen Nähe zwischen AfD und NPD sowie zur vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung zu relativieren. In einer Mail an den Bundesvorstand der AfD schrieb er jedoch: "Diese 'Abgrenzeritis' hilft nicht weiter. Man sollte doch akzeptieren, dass es immer fließende ideologische/politische Übergänge gibt."

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SZ vom 04.03.2020
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