AfDVorerst nicht mehr sicher extremistisch

Lesezeit: 3 Min.

Unter Verdacht rechtsextremer Umtriebe hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD schon lange. Ob es sich darin bestätigt fühlen darf, entscheiden nun Gerichte.
Unter Verdacht rechtsextremer Umtriebe hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD schon lange. Ob es sich darin bestätigt fühlen darf, entscheiden nun Gerichte. (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/picture alliance/dpa)

Vor nicht mal einer Woche hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Jetzt setzt es diese Hochstufung aus. Fürs Erste.

Von Christoph Koopmann

Keine Woche ist vorbei, und schon macht der Verfassungsschutz einen Rückzieher. So konnte es jedenfalls beim ersten Hinschauen wirken: Der Inlandsnachrichtendienst bezeichnet die AfD vorerst nicht mehr als „gesichert rechtsextremistisch“. Das hat das Bundesamt für Verfassungsschutz am Donnerstag erklärt. Noch am vergangenen Freitag hatte die Behörde eine Entscheidung getroffen, die eine Zäsur für den Umgang der Bundesrepublik mit der AfD bedeuten sollte. Nämlich, dass man die Partei nicht mehr nur als Verdachtsfall für Extremismus sieht, dass der Verdacht sich bestätigt habe. Das ist die maximale Eskalationsstufe, die der Verfassungsschutz zu bieten hat.

Was eine „Stillhaltezusage“ bedeutet

Aber die entsprechende Pressemitteilung blieb nicht mal eine Woche lang online. Am Donnerstagmittag war sie auf der Website des Bundesamts nicht mehr zu finden. Hintergrund ist, dass die AfD gegen die Einstufung als gesicherter Extremismusfall schon am Montag geklagt und außerdem einen entsprechenden Eilantrag beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht hat. Das Ziel: Der Verfassungsschutz, der seinen Hauptsitz in Köln hat, sollte seine Einstufung so schnell wie möglich zurücknehmen. Nun hat er sie tatsächlich ausgesetzt, nicht zum ersten Mal.

Das Bundesamt habe am Donnerstag eine „Stillhaltezusage“ hinsichtlich der Hochstufung der AfD abgegeben, teilte das Verwaltungsgericht mit. Es behandelt die AfD also vorerst nicht mehr als gesichert extremistisch. Das heißt aber nicht, dass der Verfassungsschutz der AfD recht gibt und inhaltlich von seiner Einschätzung abweichen, sie sogar wieder einkassieren würde. Er verpflichtet sich damit erst mal nur, die Hochstufung bis zu einer Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag der AfD auszusetzen. Damit dürfte wohl in den nächsten Wochen zu rechnen sein.

Knapp vier Jahre lang haben die Verfassungsschützer Belege gesammelt für Verstöße der AfD gegen zentrale Säulen des Grundgesetzes, gegen die Garantie der Menschenwürde, das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip. Vergangene Woche war das Gutachten fertig. Und die da noch amtierende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) entschied, die Hochstufung ohne fachliche Prüfung durch ihr Ministerium und noch vor der Amtsübergabe an ihren Nachfolger Alexander Dobrindt (CSU) zu verkünden. 1108 Seiten lang ist das als Geheimsache eingestufte Dossier, der Süddeutschen Zeitung liegen Auszüge daraus vor.

Mehr als 300 AfD-Politiker zitieren die Beamten darin, vom Kreisvorsitzenden bis zu den Bundeschefs. Aufgeführt ist, dass die Parteivorsitzende Alice Weidel die Ursache von „Messerkriminalität“ in der Zuwanderung von Menschen „aus einem kulturfremden Kontext, aus gewaltbereiten Kulturen“ sieht. Oder wie Bundesvorstandsmitglied Dennis Hohloch sagte: „Multikulti bedeutet Traditionsverlust, Identitätsverlust, Verlust der Heimat, Mord, Totschlag, Raub und Gruppenvergewaltigungen.“ Der Verfassungsschutz sieht darin Belege dafür, dass die AfD fremdenfeindlich sei und Deutsche mit Migrationshintergrund als Staatsbürger zweiter Klasse betrachte.

Schon einmal klagte die Partei – und scheiterte

Die AfD wehrt sich heftig. Als bekannt wurde, dass sie hochgestuft ist, ließ der Bundesvorstand verbreiten, damit sollten „zulässige Meinungsäußerungen und berechtigte Kritik an der Einwanderungspolitik der letzten zehn Jahre kriminalisiert werden“. Nicht die AfD verstoße gegen die Verfassung, sondern der Inlandsgeheimdienst. Deshalb auch die Klage und der Eilantrag.

Schon gegen die Einstufung als Verdachtsfall im Januar 2021 war die AfD auf diese Weise vorgegangen – und erkämpfte sich zumindest einen Aufschub. Auch damals sagte der Verfassungsschutz zu, die Hochstufung vorerst auszusetzen. Doch nach Feststellung des damals wie heute zuständigen Verwaltungsgerichts Köln hielt er sich nicht daran. Das Gericht verpflichtete den Verfassungsschutz also zum Stillhalten. 2022 entschieden die Richter dann im regulären Verfahren, dass der Nachrichtendienst recht hatte und mit der Beobachtung der AfD als Verdachtsfall loslegen könne. So sah es in der nächsten Instanz auch das Oberverwaltungsgericht in Münster.

Jetzt beginnt also der nächste juristische Kampf zwischen AfD und Verfassungsschutz. Offiziell wollte sich die Pressestelle des Bundesamts am Donnerstag nicht äußern, „mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht“. Inoffiziell heißt es, die „Stillhaltezusage“ sei kein Eingeständnis, dass man sich bei der Einschätzung der Partei inhaltlich geirrt habe. Innenminister Dobrindt versicherte der SZ auf Anfrage: „Das ist die Normalität im Verfahren.“

Dabei haben selbst manche hohe Beamte aus den Verfassungsschutz-Landesämtern, die es neben dem Bundesamt ja auch noch gibt, Zweifel, dass das neue AfD-Gutachten wirklich vor Gericht hält. Einige von ihnen äußern sich in vertraulichen Gesprächen skeptisch, ob sich anhand der gesammelten Zitate die Verfassungsfeindlichkeit der gesamten Bundes-AfD nachweisen lässt.

So oder so dürfen die Agenten des Verfassungsschutzes die AfD aber mit den Mitteln eines Geheimdienstes beobachten. Sie dürfen also Informanten in der Partei anwerben, verdeckte Mitarbeiter einschleusen, in Ausnahmefällen auch Handys oder Mails überwachen. All das geht schon bei einem Verdachtsfall.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

80 Jahre Kriegsende
:„Wenn die AfD Teil der Bundesregierung wird, müssten wir uns fragen, ob wir jüdische Menschen zur Auswanderung auffordern müssen“

Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes blickt Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden, mit Sorge auf das Erstarken der AfD im Bund. Sollte die rechtsextreme Partei einmal in Regierungsverantwortung kommen, wäre dies seiner Meinung nach unvereinbar mit jüdischem Leben in Deutschland.

SZ PlusInterview von Thomas Radlmaier und Helmut Zeller

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: