Süddeutsche Zeitung

Interner Bericht:Warum die Verfassungsschützer die AfD zum Prüffall erklären

  • Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat ein 436 Seiten starkes Dossier über die AfD zusammengestellt.
  • Die AfD habe sich "von einer wirtschaftsliberalen, EU-kritischen Partei" zu einer "national orientierten, islam- und zuwanderungskritischen Partei entwickelt".
  • Die Aussagen von Führungsfunktionären und Mitgliedern der AfD lasse "erste deutliche Anhaltspunkte für eine Ausrichtung der Partei gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung erkennen".

Von Georg Mascolo und Nicolas Richter

Die Alternative für Deutschland (AfD) hat sich nach Ansicht des Bundesamtes für Verfassungsschutz "von einer wirtschaftsliberalen, EU-kritischen Partei, deren Motor in der Anfangszeit vor allem die Euro- und Griechenlandkrise war, zu einer national orientierten, islam- und zuwanderungskritischen Partei entwickelt". Beunruhigend ist nach Ansicht der Verfassungsschützer nicht so sehr die Programmatik der Partei. Die Programmschriften allein enthielten "keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung".

Aber die Aussagen von Führungsfunktionären und Mitgliedern der AfD lasse "erste deutliche Anhaltspunkte für eine Ausrichtung der Partei gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung erkennen". So verträten Führungsfunktionäre "ein mit der Menschenwürdegarantie unvereinbares, stark ethnisch konnotiertes Volksverständnis; andere Funktionäre bzw. Mitglieder äußern teils eine streng völkisch-nationalistische Grundhaltung und stellen eine Reihe von Einzelforderungen auf, die in ihrer Gesamtschau eine demütigende Ungleichbehandlung von Nichtdeutschen bedeuten".

Das Bundesamt für Verfassungsschutz kommt zu dem Ergebnis, dass die Partei zwar noch nicht beobachtet werden müsse, aber als Prüffall einzustufen sei - was eine der Vorstufen zu einer möglichen Beobachtung ist. Dafür hat das Bundesamt ein 436 Seiten starkes Dossier zusammengestellt, um seine Entscheidung zu untermauern.

Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR stellen darin die Staatsschützer fest, dass die AfD "bestimmte Themen wie Migration, Kriminalität oder 'Genderpolitik' nicht nur in überproportionaler Form anspricht, sondern auch Probleme, die mit diesen Themen in keinem inhaltlichen Zusammenhang stehen, damit verknüpft und dadurch Feindbildkonstruktionen im politischen Diskurs etabliert". Sichtbar werde dies zum Beispiel dort, "wo sozialpolitische Missstände oder vermeintliche Verschlechterungen der öffentlichen Sicherheit einzig mit der Zuwanderung von Ausländern begründet werden".

Führungskräfte nutzten ständig Begriffe, die "eine Parallele zum rechtsextremistischen Diskurs erkennen lassen". Beispiele dafür seien Worte wie "Überfremdung", "Bevölkerungsaustausch" oder "Zersetzung der Gesellschaft". Die Agitation gegen Flüchtlinge und Migranten nehme eine zentrale Rolle in den Verlautbarungen zahlreicher Funktionäre ein; so würden Flüchtlinge etwa als "krimineller Dreck" bezeichnet.

Schlimmer verhält es sich laut Verfassungsschutz mit der Jugendorganisation der Partei, der "Jungen Alternative" (JA). Diese sei als Verdachtsfall einzustufen, was einer ernsteren Bedrohung entspricht als ein Prüffall. Viele Positionen der JA verletzten "eindeutig" die Menschenwürdegarantie. Auch das an ethnischen Kategorien orientierte Verständnis des Staatsvolkes der JA sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Die JA mache die Bevölkerungsgruppe der Muslime systematisch herunter. Ähnliches gilt laut Verfassungsschutz für die AfD-Teilorganisation "Der Flügel".

Eigens weist das Dossier auf einen besonders brisanten Punkt hin: dass der Verfassungsschutz die Einstufung der Partei als Prüffall öffentlich machte. Solche Prüffälle werden üblicherweise vertraulich behandelt, man will vermeiden, dass eine Partei oder Organisation stigmatisiert wird, bevor überhaupt klar, ob sie wegen Verfassungsfeindlichkeit beobachtet werden kann. Eine Information der Öffentlichkeit, schreiben die Verfassungsschützer, sei deshalb auch jetzt nur mit "äußerster Zurückhaltung möglich". Allerdings sei schon vorab "öffentlich massiv über eine mögliche Einstufung der AfD als Beobachtungsobjekt spekuliert" worden. Das jetzige öffentlich verkündete Ergebnis "führt eher zu einer Entlastung der Partei".

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