Zum Hochfest der Rechtsaußen in der AfD lädt Björn Höcke einmal im Jahr. Rund tausend Anhänger kamen im Sommer 2018 zum "Kyffhäusertreffen", der Jahrestagung des "Flügels", einer parteiinternen Gruppe. Der Verfassungsschutz hat sich die Reden angehört. Sie fanden öffentlich statt, man findet sie im Internet. Gastgeber Höcke eröffnete das Treffen und zeichnete Untergangsszenarien. Es sei "nicht auszuschließen, dass in 50 Jahren fremde Völkerschaften durch unsere verlassenen Bibliotheken, Konzertsäle, Universitäten und Parlamentsgebäude streifen werden und sich die Frage stellen, wie sich eine so hoch stehende Kultur einfach aus ihnen hat hinwegfegen lassen", sagte er.
Auch AfD-Chef Alexander Gauland sprach und sein Nachfolger an der Parteispitze in Brandenburg, Andreas Kalbitz. Der ist heute der einflussreichste der rechten AfD-Politiker, mächtiger als Höcke und auch ein maßgebliches Gesicht des "Flügels".
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Bei zwei Teilgruppierungen der Partei sieht der Verfassungsschützer sogar "extremistische" Tendenzen. Die AfD spricht von "politischem Druck" und verweist auf die Absetzung des früheren BfV-Präsidenten Maaßen.
Kalbitz rief vom Rednerpult, vor einer schwarz-rot-goldenen Fahne stehend: "Wir sind nicht bereit, auch nur auf einen Quadratzentimeter dieses Landes zu verzichten." Das Publikum antwortete mit Sprechchören: "Widerstand! Widerstand!" Die Rede war geprägt von Schmähungen der Kanzlerin und der politischen Konkurrenz. Er zitierte Höcke, der die Partei als "die letzte evolutionäre Chance für dieses Land" bezeichnet hat. Das Jahrestreffen, das vierte des "Flügels", erfuhr große Aufmerksamkeit von der Parteiführung.
Wenn der Verfassungsschutz diese Gruppierung in den Fokus nimmt, trifft das die AfD im Kern und vor allem in Ostdeutschland das Herz der Partei. Kalbitz ist Mitglied im AfD-Bundesvorstand und Spitzenkandidat für die Wahl in Brandenburg im Herbst, die AfD hat Aussichten stärkste Partei zu werden. Er wirft dem Verfassungsschutz politische Motive vor: "Ich denke, es handelt sich um eine sehr durchschaubare Maßnahme, die völlig politisch motiviert ist, im Vorlauf der Wahlen."
Zweifelhafte Zitate gibt es aus beiden Gruppen viele
Mit Kalbitz und Höcke, dem Spitzenkandidaten in Thüringen, sind zwei der wichtigsten AfD-Wahlkämpfer in diesem Jahr im Blick des Verfassungsschutzes. Der "Flügel" ist für die Partei wichtiger als die Jugendorganisation "Junge Alternative". In ihrem Fall erwartete die AfD bereits intern, dass der Geheimdienst Teile genauer unter die Lupe nimmt. Zweifelhafte Zitate gibt es aus beiden Gruppen viele. Deren Einstufung als Verdachtsfall könnte wohl auch für Beamte, die sich zu ihnen bekennen, auf lange Sicht Folgen haben.
Wie groß und mächtig der "Flügel" ist, lässt sich schwer einschätzen. Der "Flügel" führe keine Mitgliederlisten, heißt es. Auf ein Drittel der Mitgliedschaft der AfD schätzen Vorstandsmitglieder die Zahl der Unterstützer des "Flügels", der Schwerpunkt liegt im Osten. Gegründet wurde er im Sommer 2015 von Höcke, maßgeblich beteiligt war André Poggenburg, der die Partei gerade verlassen hat, um noch ein Stück weiter rechts eine Neugründung zu starten.
Beide riefen zur Unterzeichnung der sogenannten Erfurter Resolution auf, die einen Gegenpol zum damaligen Parteichef Bernd Lucke setzen sollte. Die Resolution nennen sie die "Gründungsurkunde des Flügels", auch Gauland unterschrieb. Lucke verlor den Machtkampf, auch weil der "Flügel" seine Gegenspielerin Frauke Petry unterstützte. Später wollte sie Höcke aus der Partei werfen. Ein Ausschlussverfahren scheiterte. Am Ende ging nach Lucke auch Petry, Höcke blieb. Auch in der Bundestagsfraktion sitzen "Flügel"-Leute, sind aber in der Minderheit.
Die AfD will juristisch gegen den Verfassungsschutz vorgehen
Die AfD kündigt nun juristische Schritte an. Sie hat sich seit dem Sommer akribisch vorbereitet, eine "Arbeitsgruppe Verfassungsschutz" mit Juristen eingesetzt und externe Gutachten in Auftrag gegeben, um die Partei möglichst unangreifbar für den Verfassungsschutz zu machen. Der bisher unveröffentlichte Projektbericht dazu liegt WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung vor. Es geht vor allem um Kommunikation - nach innen und nach außen. Die Partei will die mitunter skandalträchtigen Meinungsäußerungen einzelner Mitglieder eindämmen. Spontane Interviews sollen unterbleiben, Pressesprecher und ein Mehraugenprinzip verbale Eskalationen verhindern und zur "Reputationsverbesserung" beitragen. Chatgruppen, aus denen in der Vergangenheit immer wieder Anstößiges aufploppte, sollen entfallen.
Und Themen, die sensible Felder wie die Jahre zwischen 1933 und 1945 betreffen, sollen vermieden werden, heißt es in der 30 Seiten umfassenden Präsentation, die der Leiter der Projektgruppe, Roland Hartwig, führenden Funktionären Ende Oktober vorstellte. Zu rechten Gruppierungen, rät der Arbeitskreis, sollten AfD-Mitglieder einen "Sicherheitsabstand" halten. Nur rechnete da niemand damit, dass eine Gruppierung wie der "Flügel" so bald in den Blick der Verfassungsschützer geraten könnte.