Unter Verdacht:Dem Rest der AfD zur Warnung

AfD Verfassungsschutz

"Verdachtsfall": Der Schulterschluss zwischen AfD-Leuten und gewaltbereiten Rechten in Chemnitz hat den Argwohn des Verfassungsschutzes erregt.

(Foto: Ralf Hirschberger/dpa)
  • Mit der "Jungen Alternative" und dem "Flügel" stuft der Verfassungsschutz zwei Gruppen innerhalb der AfD als "Verdachtsfälle" ein.
  • Das bedeutet: Der Verfassungsschutz beginnt tatsächlich mit der Überwachung.
  • Die Partei als Ganzes wird als "Prüffall" behandelt.
  • Die Entscheidung des BfV dürfte auch in den Ländern eine Dynamik auslösen.

Von Ronen Steinke, Berlin

Es ist ein erster Schritt. Der Verfassungsschutz geht nicht gleich in die Vollen, sondern lässt sich noch Steigerungsmöglichkeiten offen. Seit Jahren wird das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gedrängt, die AfD zu beobachten. Nun pickt sich der Inlandsgeheimdienst erst einmal nur zwei Gruppen der AfD heraus.

Es sind zwei Gruppen, in denen nur ein Teil der Parteimitglieder organisiert ist, die aber trotzdem einiges Gewicht haben; zwei Gruppen, die auch selbst wenig dagegen haben dürften, als radikale Speerspitze der sogenannten Neuen Rechten in Deutschland verstanden zu werden. Also zunächst einmal "nur" ein erster, vorsichtiger Vorstoß der Verfassungsschützer. Dem Rest der AfD zur Warnung.

Der Verfassungsschutz behandelt die AfD nun als "Prüffall", sagt BfV-Präsident Thomas Haldenwang am Dienstag. Das bedeutet nur: Der Verfassungsschutz prüft, ob die Voraussetzungen für eine künftige Beobachtung der gesamten AfD vorliegen. Ergebnisoffen. Das ist eigentlich nichts Neues: "So etwas verkündet man nur, wenn man sonst nichts zu verkünden hat", spottet ein Landesverfassungsschützer.

Der Prozess des BfV zur Prüfung der AfD gemeinsam mit den 16 Landesämtern für Verfassungsschutz läuft schon seit Oktober. Das war nie geheim. Zu einer Entscheidung will sich das BfV nicht durchringen in dem 450-Seiten-Gutachten, das es am Dienstag an die Landesämter verteilt hat.

Das offizielle Parteiprogramm der Bundes-AfD ist nicht verfassungsfeindlich, urteilt das BfV. Aber auch wenn man den Blick auf Aussagen von Funktionären richte, die nicht für die große Öffentlichkeit bestimmt seien - "weil man sich nicht durch Wohlverhalten vor den Mikrofonen dem Interesse des Verfassungsschutzes entziehen kann", wie ein BfV-Mann sagt -, dann finde man aus Sicht der Verfassungsschützer nur einzelne "Verlautbarungen, die mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbar sind"; etwa weil sie die Verbrechen des Nationalsozialismus relativierten oder Menschen rassistisch abwerten würden.

Der Nachwuchsverband JA hat 1655 Mitglieder - und ist nun ein "Verdachtsfall"

Das BfV gesteht der AfD zu, dass sie eine große Partei sei - viele Hundert Mandatsträger, mehr als 30 000 Parteimitglieder, mehrere Millionen Wähler. Es gebe da intern noch viel Bewegung. Solange wolle man nicht alle über einen Kamm scheren, sondern noch ein wenig abwarten. Eine Partei "am Scheideweg" sei das, heißt es.

Viel entschlossener ist das Vorgehen gegen den Nachwuchsverband "Junge Alternative" (JA), der laut Partei 1655 Mitglieder zählt, und das parteiinterne Netzwerk "Flügel", das keine Mitgliederlisten führt. Diese beiden Gruppen wurden am Dienstag zum "Verdachtsfall" erklärt. Das bedeutet: Der Verfassungsschutz beginnt tatsächlich mit der Überwachung.

Vorerst schöpft er nicht sein ganzes Überwachungsinstrumentarium aus. Deshalb ist noch nicht von einer "Beobachtung" die Rede. Sondern nur von der Vorstufe. Im Stadium des "Verdachtsfalls" muss besonders strikt auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel geachtet werden, dazu hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Wochenzeitung Junge Freiheit 2005 die Nachrichtendienstler ermahnt. Das BfV darf abhören und ausspähen; aber zurückhaltend.

Auch Parlamentarier dürfen abgehört werden - unter Bedingungen

Im Zentrum sieht das BfV dabei Björn Höcke, den Thüringer Landeschef, der auch im "Flügel" den Ton angibt. Seine Rolle wird als "überragend" beschrieben. Neben ihm nimmt das BfV Andreas Kalbitz aus Brandenburg und Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt als "Flügel"-Wortführer wahr. Auch sie sind Landtagsabgeordnete, Kalbitz sogar Brandenburger Spitzenkandidat.

Das Landtagsmandat schützt sie ein wenig vor Überwachung. Aber nicht viel: Parlamentarier, so hat das Bundesverfassungsgericht 2013 erklärt, dürfen abgehört werden, wenn ihr Wirken "auf die Anwendung von Gewalt gerichtet" ist; angesichts etwa des AfD-Schulterschlusses mit Gewaltbereiten in Chemnitz im September sowie angesichts von Höckes Umsturzfantasien, die er in einem kürzlich erschienenen Buch äußerte, dürfte diese Hürde für das BfV überwindbar sein.

Zur Jungen Alternative findet der Verfassungsschutz auch deutliche Worte. Sie respektiere die Menschenwürde als obersten Wert des Grundgesetzes nicht. Stattdessen ziele sie auf einen ethnisch-homogenen Volksbegriff ab und setze Fremde herab. Schon durch ihre Programmatik richte die JA sich gegen rechtsstaatliche Prinzipien. Auch hier können nun - im Rahmen der Verhältnismäßigkeit - bundesweit Leitungen angezapft und V-Leute angeworben werden.

Die Entscheidung des BfV dürfte auch in den Ländern eine Dynamik auslösen. Zuvorderst in Thüringen, der Heimat von Björn Höcke. Der dortige Landesverfassungsschutz, geleitet vom ehemaligen Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, hatte bereits im vergangenen September signalisiert, dass man nur darauf warte, ausreichend Material gegen Höckes Landespartei beisammen zu haben, um eine offizielle Beobachtung beginnen zu können. Die Thüringer AfD wurde damals bereits offiziell zum "Prüffall".

In manchen Ländern hatten Verfassungsschützer schon ungeduldig gewartet

In diesem Oktober nun wird in Thüringen gewählt. Auch in anderen Ländern hatten Verfassungsschützer in den vergangenen Monaten darauf gewartet, dass der Bund endlich eine angebliche "Blockade" löse: Zu den Ungeduldigen zählten nicht nur links oder SPD-regierte Länder, die mit der Amtsführung des damaligen BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen unzufrieden waren, sondern beispielsweise auch das grün-schwarze Baden-Württemberg.

Aus dem rechtsextremen Spektrum ist bislang die NPD seit 1975 dauerhaft Objekt der Beobachtung durch den Verfassungsschutz gewesen. Lange war sie dabei als Partei alleine, von Anfang der 1980er-Jahre an rückten daneben verschiedene Kleinstparteien in den Fokus: 1983 die Nationalistische Front (NF), 1984 die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP), 1987 die Deutsche Volksunion (DVU). Zeitweise sehr erfolgreich waren die Republikaner, 1993 begann auch bei ihnen eine Beobachtung. Seit 2012 wird die Partei ProNRW beobachtet, seit 2014 auch Der III. Weg.

Auf der politischen Linken hat das BfV, neben Kleinstparteien, vor allem die Linkspartei im Visier. Aber nicht als Gesamtpartei, sondern beschränkt auf einzelne Gliederungen. So wie nun auch bei der AfD.

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