Süddeutsche Zeitung

Rechtsextremismus:Was es für die AfD bedeutet, "Verdachtsfall" zu sein

Die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts führt zu einigen konkreten Veränderungen für die Partei. Das reicht von der Anwerbung von V-Leuten durch den Verfassungsschutz bis zum Waffenbesitz.

Von Ronen Steinke, Berlin

Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die AfD offiziell als "Verdachtsfall" auf Rechtsextremismus einstufen und beobachten, das hat am Dienstag das Verwaltungsgericht Köln in erster Instanz bestätigt. Der Fall geht juristisch zwar noch in die nächste Instanz. Aber schon jetzt werden konkrete Änderungen für die AfD spürbar. Denn eine "aufschiebende Wirkung" hat ein Berufungsverfahren nicht. Fünf Punkte sind besonders wichtig.

Erstens: Der Verfassungsschutz darf jetzt sogenannte Vertrauenspersonen (V-Leute) anwerben. Das Geschäft "Insider-Infos gegen Geld" darf der Dienst AfD-Leuten anbieten, so wie er es bisher schon Angehörigen von Neonazi-Kameradschaften oder auch Islamisten anbietet. Weil die AfD aber eine legale Partei ist, gelten Einschränkungen. Parlamente müssen eine spitzelfreie Zone bleiben. Abgeordnete der Landtage, des Bundestags und des Europaparlaments sowie deren Mitarbeiter dürfen nicht als V-Leute angeworben werden.

Und: Auch Personen, die keine Parlamentarier sind, aber "steuernden Einfluss" auf die Partei haben, dürfen nicht als V-Leute angeworben oder geführt werden. Das betrifft graue Eminenzen, Ehrenvorsitzende, prominente Parteiideologen. Hintergrund ist die Erfahrung mit der NPD. Das Bundesverfassungsgericht lehnte es 2003 ab, die Partei zu verbieten. Denn: Einige Funktionäre mit "steuerndem Einfluss" seien insgeheim V-Leute gewesen; die Radikalisierung habe sich der Staat womöglich auch selbst zuzuschreiben.

Die bloße Angst vor der Unterwanderung durch Verräter "kann eine Szene verunsichern", so räumt ein Verfassungsschützer ein. Dies sei zwar nicht ein Ziel, das man verfolge. Aber es sei ein Nebeneffekt. So ist es auch beim zweiten Punkt, der für die AfD von nun an relevant werden dürfte: den dienstrechtlichen Schwierigkeiten für Beamte oder Soldaten. Anders als in den 1970er-Jahren, der Zeit des Radikalenerlasses, genügt heute die bloße Mitgliedschaft in einer für problematisch erklärten Gruppe nicht mehr für den Rauswurf. Die Disziplinargerichte verlangen Belege für individuelles Fehlverhalten. Wer bloß zahlendes Mitglied ist, sich ansonsten aber still verhält, dem wird man letztlich oft wenig anhaben können.

Aber allein schon der Ärger, den es bedeutet, sich über solche Fragen mit dem Dienstherrn auseinandersetzen zu müssen, könnte Beamte oder Soldaten verunsichern oder künftig davon abhalten, sich in der AfD sichtbar zu engagieren. Dieser Effekt könnte sich auch einstellen, wenn AfD-Mitglieder künftig einem in Deutschland beliebten Hobby nachgehen wollen: dem Schießen - als Jäger oder im Schützenverein. Denn das ist die dritte konkrete Änderung, die jetzt auf die AfD zukommt: Es kann für ihre Aktiven künftig schwieriger werden, eine behördliche Waffenerlaubnis zu erhalten. Nach dem jüngst reformierten Waffengesetz muss vor der Erteilung einer solchen Erlaubnis stets beim Verfassungsschutz nachgefragt werden, ob gegen die Person etwas vorliegt.

Viertens wird sich beim jährlichen Verfassungsschutzbericht viel ändern. Nachdem die AfD nun als Verdachtsfall auf Extremismus gilt, taucht sie künftig ganz offiziell dort auf, als gesamte Partei mit ihren 30 000 Mitgliedern. Das ist eine große Zahl. Die Mitglieder werden nicht alle namentlich registriert. Der Verfassungsschutz verfügt wahrscheinlich nicht über vollständige Listen. Dennoch gilt für die Statistik: Die offizielle Zahl für das "rechtsextremistische Personenpotenzial" in Deutschland laut Verfassungsschutzbericht wird sich demnächst auf einen Schlag fast verdoppeln.

Und schließlich fünftens - es steht eine Änderung im Geheimdienst-Kontrollgremium des Bundestags bevor. Hier ist die AfD bislang genauso vertreten wie die anderen Fraktionen. Sie bekommt hinter verschlossenen Türen also Geheimes erzählt. Damit waren die übrigen Fraktionen schon in der vergangenen Legislatur unglücklich; besonders heikle Vorgänge besprach man deshalb in einem sogenannten Präsidialverfahren unter Umgehung des AfD-Vertreters Roman Reusch. In Zukunft dürfe man AfD-Leute gar nicht mehr in das Gremium hineinwählen, hat dessen gegenwärtiger Vorsitzender, der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, am Dienstag unter Bezug auf das Kölner Gerichtsurteil gefordert.

Mit Blick auf die demnächst anstehende Neuwahl der Gremiumsmitglieder sagt der derzeitige Vize-Vorsitzende, Konstantin von Notz (Grüne): "Es ist eine weise Regelung, dass diese Position nicht von den Fraktionen selbst, sondern von der Mehrheit des Deutschen Bundestags besetzt werden muss." Sprich: Wenn die AfD jemanden aufstellt, sollten die anderen Fraktionen ihn oder sie durchfallen lassen. Das hätte man freilich auch schon früher tun können. Aber jetzt ist offenbar der Wille da.

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