Es ist die nächste Niederlage für die AfD gegen den Verfassungsschutz. Der Inlandsnachrichtendienst darf die Rechtsaußenpartei als Verdachtsfall einer rechtsextremistischen Bestrebung beobachten, das hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster am Montag entschieden. Es war bereits die zweite Runde in diesem Rechtsstreit zwischen Behörde und Partei - 2022 hatte schon das Verwaltungsgericht Köln in erster Instanz entschieden, dass die Einstufung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) rechtens sei. Es gebe ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die AfD gegen Grundsätze der Verfassung gerichtet sei, begründeten die Richter in Münster ihre Entscheidung.
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sagte am Mittag, seine Behörde habe "auf ganzer Linie obsiegt". Er nannte die Entscheidung einen "Erfolg für den gesamten Rechtsstaat, für die Demokratie und für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung". Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: "Das heutige Urteil zeigt, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind."
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel dagegen beklagte einen unfairen Prozess, in dem die Partei keine ausreichende Gelegenheit bekommen habe, ihre Argumente vorzubringen. Weidel sagte, das "Establishment" - dazu zählt sie den Verfassungsschutz, Gerichte und Medien - versuche, die AfD vom Parteienwettbewerb auszuschließen. Weidels Co-Vorsitzender Tino Chrupalla fügte an, man müsse auch den Zeitpunkt des Verfahrens und der Urteilsbekanntgabe berücksichtigen - mitten im Europawahlkampf. "Auch das zeigt, dass hier eine politische Motivation dahintersteckt, ganz klar."
Das Gericht in Münster ließ eine Revision nicht zu. Roman Reusch, Beisitzer im Bundesvorstand, kündigte an, die AfD werde gegen diese Entscheidung vorgehen. Die nächste Instanz ist das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Dort dürfte der Rechtsstreit in die nächste Runde gehen.
Der Umgang des Inlandsnachrichtendienstes mit der AfD ist schon seit 2019 eine juristische Hängepartie. Damals hatte das BfV kurz nach Amtsantritt von Thomas Haldenwang die Partei zum "Prüffall" erklärt, die erste von drei internen Kategorien des Verfassungsschutzes zur Einstufung einer Bewegung. Schon damals klagte die AfD - und bekam zumindest insofern recht, als der Verfassungsschutz diese erste Einstufung nicht hätte öffentlich machen dürfen. Und die Partei startete eine Kampagne gegen den Nachrichtendienst, der sei ein "Regierungsschutz", angeblich beauftragt damit, die Opposition kleinzuhalten.
Anfang 2021 dann waren Haldenwangs Beamte der Ansicht, genügend Anhaltspunkte gesammelt zu haben, um die AfD zum Verdachtsfall zu erklären, die Vorstufe zur "gesichert extremistischen Bestrebung". Schon bei einem Verdachtsfall dürfen die Verfassungsschützer sogenannte nachrichtendienstliche Mittel einsetzen - also beispielsweise V-Leute in einer Organisation anwerben oder eigene verdeckte Mitarbeiter einschleusen. Nachdem die AfD gegen die Einstufung geklagt hatte, setzte der Verfassungsschutz diese Beobachtung zunächst aus. Nach der erstinstanzlichen Entscheidung in Köln 2022 konnte die Beobachtung beginnen.

Es dauerte noch einmal zwei Jahre bis zum erneuten Showdown in Münster. Das Oberverwaltungsgericht hatte zunächst nur zwei Verhandlungstage für Mitte März angesetzt, aber von Beginn an überzogen die Anwälte der AfD den Senat mit Ablehnungs-, Befangenheits- und Beweisanträgen. Es gehe hier schließlich um gründliche Aufklärung in der Sache, und zwar in einer eminent wichtigen für die Demokratie, sagte AfD-Anwalt Christian Conrad vor Gericht immer wieder. Verfassungsschutz-Anwalt Wolfgang Roth hielt der Gegenseite vor, das Verfahren nur verschleppen zu wollen. Es mussten weitere Verhandlungstage angesetzt werden.
In der Sache argumentiert der Inlandsnachrichtendienst, die AfD vertrete ein "ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis" - unterscheide also zwischen deutschen Staatsangehörigen, die auch einen Migrationshintergrund haben können, und deutschen "Volksangehörigen", zu denen sie nur Deutsche ohne Migrationshintergrund zähle. Diese Unterscheidung laufe darauf hinaus, dass man zwischen "Deutschen erster und zweiter Klasse" differenziere. Das widerspricht nach Einschätzung der Nachrichtendienstler der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik.
Aussagen von Björn Höcke und Maximilian Krah tauchen häufig in den Schriftsätzen auf
Um den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit zu belegen, haben die Beamten des BfV über Jahre Tausende Aussagen von AfD-Vertretern gesammelt, vom Kreisvorsitzenden bis hoch in den Bundesvorstand. Die AfD hält entgegen, all das seien Einzelfälle und Entgleisungen, die nicht für die Gesamtpartei stünden. Besonders häufig tauchen in den Schriftsätzen des Verfassungsschutzes Zitate des Thüringer AfD-Landeschefs Björn Höcke auf. Dieser, so argumentierten Vertreter des Bundesamtes vor Gericht, sei eben nicht nur ein einfacher Landesvorsitzender, wie die AfD zu erklären versuchte, sondern prägende Figur der Gesamtpartei. Auch radikale Aussagen des Europa-Spitzenkandidaten Maximilian Krah spielen in der Argumentation des Verfassungsschutzes eine wichtige Rolle.
Krah trat Mitte April selbst in Münster auf und versuchte, die Vorwürfe gegen seine Person und seine Partei zu entkräften. Seine Botschaft: Er, der zwei Kinder mit einer Slowakin hat und einen Mitarbeiter mit chinesischen Wurzeln in seinem Brüsseler Abgeordnetenbüro beschäftigt, könne gar kein Rassist oder Ausländerfeind sein. Genau dieses Büro wurde vergangene Woche von Ermittlern durchsucht - sein chinastämmiger Mitarbeiter Jian G. war zwei Wochen nach Krahs Auftritt in Münster festgenommen worden. Er soll für chinesische Nachrichtendienste spioniert haben. Das spielte in Münster keine entscheidende Rolle mehr. Vor einer Woche war die AfD noch mit 470 Beweisanträgen gescheitert, die der Senat allesamt zurückwies.
Mit der Entscheidung aus Münster dürfte sich Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang in seiner Linie in Sachen AfD bestätigt sehen. Er hatte schon mehrfach angedeutet, dass man ja irgendwann auch mal entscheiden müsse, ob sich der Extremismusverdacht bei der AfD erhärtet hat. Haldenwangs Beamte arbeiten bereits an einem neuen Gutachten zur Partei. Dies könnte ergeben, dass die Anhaltspunkte sich "verdichtet" haben. Damit könnte der Verfassungsschutz die AfD zur "gesichert extremistischen Bestrebung" erklären. Das dürfte auch der Debatte um ein mögliches Parteiverbotsverfahren wieder Auftrieb geben.