Süddeutsche Zeitung

AfD:"Wir haben genug eigene Putins"

Das schwache Wahlergebnis im Saarland und der Schlingerkurs im Ukraine-Krieg löst heftigen Streit in der AfD-Spitze aus. Vorstände diskutieren offen, ob Tino Chrupalla noch der richtige Chef ist. Droht der Partei eine Revolte?

Von Markus Balser, Berlin

Es sollte nach Normalität aussehen, was die AfD am Dienstag öffentlich machte. Da kritisierte der Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier per Pressemeldung, dass es "beim digitalen Hotel-Check-In" gewaltig hakt. Stephan Brandner beschwerte sich über die Gehaltserhöhung für Minister und den Bundeskanzler und Alice Weidel wetterte über Corona-Maßnahmen. Doch in den Bundestagsbüros der AfD und in internen Chats war etwas ganz anderes das Thema Nummer eins.

Denn nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ist in der AfD-Spitze massiver Streit über den Kurs von Parteichef Tino Chrupalla entbrannt. Auslöser ist die relativierende Haltung des 46-Jährigen in der Ukraine-Krise und der immer tiefere Graben zwischen Ost- und Westverbänden in der AfD. Der Ärger sei riesig, heißt es in der Parteispitze. Offen diskutiert werde in der AfD-Führung bereits, ob Chrupalla noch der richtige Parteichef ist.

Klartext spricht in den Chats etwa das Bundesvorstandsmitglied Joana Cotar: "Mit jemandem an der Spitze, der sich nicht als Sprecher des Ostens UND des Westens versteht, werden wir keinen Blumentopf mehr gewinnen", warnte die Bundestagsabgeordnete eindringlich. Dabei werde dort die Bundestagswahl entschieden.

Das Fass zum Überlaufen brachte laut Insidern eine Sitzung des höchsten Parteigremiums am Freitag. Teilnehmern zufolge hatte Chrupalla sich dort über schwache Wahlergebnisse westdeutscher Landesverbände beklagt. Er könne auch nichts dafür, wenn "der Westen" es nicht hinbekomme, wetterte Chrupalla den Angaben zufolge. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich bereits ab, dass die AfD auch bei der Wahl im Saarland unter den Erwartungen bleiben würde. Sie schaffte mit 5,7 Prozent der Stimmen zwar den Wiedereinzug in den Landtag, blieb aber hinter Umfragen und den zweistelligen Ergebnissen der AfD bei ostdeutschen Landtagswahlen zurück.

Eine klare Distanzierung vom Kreml bleibt aus

Auf einer weiteren Bundesvorstandssitzung an diesem Mittwoch will die AfD-Spitze nun über Auswege beraten. Denn der heftige Streit gilt als brisant. Chrupalla hat eigentlich das Ziel, sich auf einem Parteitag im Juni als Parteichef wiederwählen zu lassen. Dafür ist er jedoch auf die Stimmen aus dem Westen angewiesen. Derzeit sei völlig offen, wie der Machtkampf ausgehe, heißt es weiter. Eine Wiederwahl Chrupallas sei derzeit nicht sicher.

Dem nach dem Ausstieg von Jörg Meuthen verbliebenen Parteichef wird intern seit Beginn des Kriegs in der Ukraine angelastet, dass die AfD keine klare Distanzierung vom Kreml und Präsident Wladimir Putin vorgenommen hat. Keine 72 Stunden nachdem Russland den Überfall auf die Ukraine begonnen hatte, erklärte Chrupalla Ende Februar im Bundestag: "Wir dürfen gerade in diesen Tagen Russlands Beitrag für Deutschland und Europa nicht vergessen." Eine klare Schuldzuweisung vermied er. Zwar verurteilte die AfD den Krieg zwei Wochen später klarer. Russlands Führung, zu der die AfD-Spitze in der Vergangenheit immer wieder Kontakt suchte, blieb aber als Drahtzieher unerwähnt.

"Wir verurteilen den Angriff auf die Ukraine scharf", sagte Chrupalla der SZ. "Diese Linie verfolgen alle geschlossen, denen am Erfolg unserer Partei gelegen ist." Er sehe sich als Parteichef der AfD für ganz Deutschland. Nachdem Jörg Meuthen die Partei verlassen habe, biete sich nun die Chance, gemeinsam Gräben zuzuschütten und Einheit herzustellen". Er rufe jeden dazu auf, diese Chance jetzt zu nutzen.

Der Chef des saarländischen Landesverbands, Christian Wirth, versuchte die Wogen zu glätten. Interne Querelen in seinem Verband hätten das schwache Ergebnis ausgelöst. Die Motivation zum Wahlkampf sei am Boden gewesen. "In Saarbrücken hingen 0 (null) Plakate", schreibt Wirth in einem weiteren Chat über die eigenen Probleme und nahm Chrupalla in Schutz. Der Ost-West-Konflikt oder die Russland-Debatte seien nicht Schuld gewesen. Wirth stellt klar: "Wir haben genug eigene Putins."

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