Organklage beim Bundesverfassungsgericht:Politische Bildung oder Parteipolitik?

Organklage beim Bundesverfassungsgericht: Millionen zur "Milieupflege": Die AfD pocht auf staatliche Unterstützung der Desiderius-Erasmus-Stiftung.

Millionen zur "Milieupflege": Die AfD pocht auf staatliche Unterstützung der Desiderius-Erasmus-Stiftung.

(Foto: Sebastian Kahnert/DPA)

Parteinahe Stiftungen werden in Deutschland mit Millionen gefördert, nicht jedoch die Desiderius-Erasmus-Stiftung. Dagegen klagt nun die AfD. Doch die Karlsruher Richter äußern Zweifel an der Unabhängigkeit der Stiftung.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Man mag ja über die AfD denken, was man will, aber immerhin zieht sie ehrlich in den Kampf. Das Bundesverfassungsgericht hatte gerade mit der mündlichen Verhandlung über die Organklage begonnen, mit der die AfD der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) den Zugang zu den Fördermillionen aus dem 660 Millionen Euro schweren Topf für die parteinahen Stiftungen verschaffen will. Da wurde ihr juristischer Vertreter Ulrich Vosgerau mit der Frage konfrontiert, wie er denn das zwischen Nähe und Distanz oszillierende Verhältnis von Partei und Stiftung einschätze. Wahlkampfhilfe, sagte Vosgerau, dürfe es natürlich nicht geben. Andererseits dürfe man nicht so tun, als ob die Parteien gar nichts davon hätten. "Die Milieupflege ist ganz ungemein wichtig und macht den langfristigen Erfolg von Parteien aus."

Die AfD pocht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der Parteien, die sie dadurch beeinträchtigt sieht, dass die sechs anderen im Bundestag vertretenen Parteien ihre Milieus mit staatlich geförderten Stiftungen pflegen dürfen. Die Heinrich-Böll-Stiftung würde nach dieser Logik also helfen, dass die Fridays-for-Future-Bewegung den Grünen gewogen bleibt und die Friedrich-Naumann-Stiftung dürfte sich um aufstrebende Jungjuristen kümmern. Nur die DES bekommt kein Staatsgeld für ihre "Milieus", die gern gegen Migration oder "Genderwahn" zu Felde ziehen.

Abklingbecken für verdiente Ex-Politiker

Wobei: Die Vertreter der Stiftungen, die zur Leistungsschau nach Karlsruhe geladen waren, wehrten sich vehement gegen den Eindruck, sie seien eine Unterabteilung "ihrer" Partei - oder gar ein Abklingbecken für verdiente Ex-Politiker. Der Hanns-Seidel-Stiftung gelang das nicht ganz so gut, wegen der überwältigenden CSU-Dichte in ihren Gremien. Aber auch deren Generalsekretär Oliver Jörg versicherte tapfer: "Es gibt keine Personalrochaden zwischen Partei und Stiftung und keine gemeinsamen Projektplanungen."

Das war auch der Sound der anderen Stiftungen. Norbert Lammert, Vorsitzender der mit 223 Millionen Euro geförderten Konrad-Adenauer-Stiftung, kokettierte damit, dass er sich aus CDU-Kreisen immer wieder anhören müsse, die Stiftung tue ja nichts für die Partei. "Wir wissen nicht, ob unsere Arbeit der FDP nützt", sagte denn auch Annett Witte von der Friedrich-Naumann-Stiftung. Ähnlich zurückhaltend klang Sabine Fandrych aus dem Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung (192 Millionen Euro in 2021): "Wir stehen der sozialen Demokratie nahe, aber wir greifen nicht in den politischen Wettbewerb ein."

An diesen rhetorischen Manövern ist letztlich auch das Bundesverfassungsgericht schuld. In einem Grundsatzurteil hatte es 1986 die staatliche Förderung parteinaher Stiftungen für zulässig erklärt. Vizepräsidentin Doris König wiederholte die Grundzüge des Urteils: Es handle sich dabei nicht um verdeckte Parteienfinanzierung - "vorausgesetzt, die Stiftungen sind von den Parteien rechtlich und tatsächlich unabhängige Institutionen, die sich ihrer Aufgabe selbständig, eigenverantwortlich und in geistiger Offenheit annehmen".

Das Gericht strebt wohl ein Grundsatzurteil an

Das Karlsruher Gericht hatte damit freilich ein merkwürdiges Hybridwesen geschaffen. Stiftungen müssen einerseits "parteinah" sein, denn ohne Anerkennung durch "ihre" Partei kommen sie nicht an die staatlichen Zuschüsse. Zugleich aber sollen sie die Parteien auf Abstand halten, und zwar deshalb, weil sie sonst eine Hintertür für verdeckte Parteienfinanzierung öffneten. Die Stiftungen bewegen sich also auf einem schmalen Grat. Politische Bildung ist erlaubt, gern auch mit wahlweise christlichen, liberalen, sozialen oder grünen Inhalten. Mit echter Parteipolitik im engen Sinne verlören sie dagegen ihre Legitimation.

Erika Steinbach, Vorsitzende der Desiderius-Erasmus-Stiftung, zeigte gleichwohl keine Berührungsängste zur AfD: "Wir sind keine politischen Eunuchen und sind in den allermeisten Themen im Einklang mit der AfD". Die Stiftung könne den gesellschaftspolitischen Diskurs im Sinne der AfD beleben. Antidemokratisches, rassistisches oder menschenverachtendes Gedankengut sei aber tabu. Das überraschende Nähebekenntnis provozierte Nachfragen von der Richterbank. "Wenn ich sie richtig verstehe, verstehen sie sich als Hilfstruppe der AfD", merkte Peter Müller an. "Mir scheint das Ganze in die Nähe einer Parteifinanzierung zu rücken", kommentierte seine Kollegin Christine Langenfeld.

Der Karlsruher Aufmarsch der Stiftungen zeigt jedenfalls, dass das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich ein neues Grundsatzurteil zu all diesen Fragen von Nähe und Distanz fällen will. Gut möglich, dass das Gericht dazu den Erlass eines gesonderten Gesetzes fordert. Bisher steht die Verteilung der Gelder lediglich im Haushaltsgesetz.

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