Wie harmonisch es gerade in der größten deutschen Oppositionspartei zugeht? Der Brief, den die AfD-Spitze kürzlich an die rund 30 000 Mitglieder verschickte, wollte eine klare Antwort geben. Die Parteispitze freue sich, "gemeinsam mit Ihnen, dem Souverän unserer Partei, eine Mitgliederumfrage durchzuführen", lud der Bundesvorstand ein. Das Ziel: ein gemeinsames Spitzenkandidatenduo zur Bundestagswahl 2021 zu bestimmen. Noch bis exakt Montag, um 23:59 Uhr, schreibt die Parteiführung, "haben Sie die Wahl".
Die Wahl hat aber deutlich weniger mit Harmonie zu tun, als die AfD-Spitze glauben machen will. Hinter den Kulissen hat ein harter Machtkampf begonnen, und der wird von Unterstützerkreisen mit verblüffend großer Lust an übler Nachrede geführt. Dabei geht es nur um eine Aufgabe von symbolischer Bedeutung. Für die Sieger ist nicht mal garantiert, dass sie auch die künftige Bundestagsfraktion der AfD führen sollen. Aber es gibt einen Grund für die Härte. Die Abstimmung ist eine zentrale Richtungsentscheidung.

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Während ein Sieg von Co-Parteichef Tino Chrupalla, 46, und Co-Fraktionschefin Alice Weidel, 42, den Einfluss des rechten Lagers ausbauen würde, verfolgt das gegnerische Duo ein ganz anderes Ziel: Die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, 48, und der Luftwaffen-Generalleutnant a. D., Joachim Wundrak, 65, Spitzenkandidat in Niedersachsen, wollen einen gemäßigten Wahlkampf. Die Partei müsse anders auftreten, um erfolgreich zu sein, fordern sie - und stellen sich damit gegen das ganz rechte Establishment der AfD. Um wie viel es schon in diesem Vorwahlkampf geht, machen nicht nur die Auftritte der Duos auf allen Kanälen klar. Begonnen haben die Lager auch, Schmutzeleien über vermeintliche Fehltritte der anderen zu verbreiten.
Wenn es allein um die Bekanntheit an der Basis ginge, dürfte das Duo Weidel/Chrupalla kaum zu schlagen sein. Doch die unbekannten Herausforderer gehören dem in der AfD wohl etwas größeren, im Auftreten gemäßigteren Lager um Parteichef Jörg Meuthen an. Er unterstützt sie. Cotar wurde im vergangenen Herbst in den Bundesvorstand gewählt, Meuthens Lager damit gestärkt. Meuthen und sein Co-Chef Chrupalla reden nur noch das Nötigste, mit Weidel verbindet den Parteichef tiefe gegenseitige Abneigung.
"Wir waren bisher ein gäriger Haufen"
Inhaltlich sind die Unterschiede überschaubar. So teilen Wundrak und Cotar die radikale Forderung nach einem Austritt aus der EU, die auf dem Parteitag in Dresden ins Wahlprogramm geschrieben wurde."Die EU ist nicht reformierbar. So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen", sagt Cotar.
Cotar und Wundrak stehen für den Wunsch nach Veränderungen im Auftreten der AfD, wie sie vor allem einige westdeutsche Landesverbände wollen. "Im innerparteilichen Streit waren die Bürgerlichen lange sehr geduldig", sagt Cotar der Süddeutschen Zeitung. "Ich denke, die Geduld ist bei vielen jetzt erschöpft, nicht bei allen, aber bei vielen." Die bisherige Spitze der Bundestagsfraktion um Weidel und Alexander Gauland kommt bei Cotar nicht gut weg. "Wir waren bisher ein gäriger Haufen. Das wollen wir als Spitzenduo ändern. Wir müssen erwachsener werden", fordert sie.
Der einstige Bundeswehr-General Wundrak betont stets, dass er Deutschland als Soldat 44 Jahre gedient habe, er betont sein preußisches Pflichtbewusstsein. Dienen - "ich lege Wert auf dieses Wort", sagt er in einem Video, das sich an die Parteibasis richtet.
Im Gespräch präsentiert er sich als höflicher Konservativer, dem die Entgleisungen seiner Partei fremd sind. Und sagt: "Auch für den internen Wettbewerb gilt: in Demut gewinnen oder mit Anstand verlieren." Eingetreten ist der frühere Christdemokrat freilich nicht in den Gründungsjahren, als die AfD sich als vornehme Professoren-Partei gab. Er kam 2018 hinzu, als Ressentiments und Rüpeleien längst zum AfD-Markenzeichen geworden waren. "Ich erwarte von der AfD, dass sie dieses Land verändert", sagt Wundrak. "Das können wir nur, wenn wir Mehrheiten bekommen, und diese Mehrheiten gibt es nur in der Mitte der Gesellschaft, die müssen wir erreichen."
Weidel und Chrupalla können auf Höcke zählen
Sein politischer Impetus entspricht dem klassischen AfD-Muster. "Ich stelle seit einigen Jahren fest, dass Deutschland den Bach runtergeht", sagt Wundrak. "Nach meiner Einschätzung schleift Frau Merkel die drei Säulen des Nationalstaates: Die Grenzen werden nicht geachtet, das Volk als Basis dieses Staates, und auch das Recht nicht."
Auf der Gegenseite galt der Sachse Chrupalla lange schon als gesetzt für die Spitzenkandidatur, auch wenn selbst manche im eigenen Lager seine Auftritte als oft hölzern empfinden. Alice Weidel wird vorgeworfen, dass sie zu wenig präsent sei, die Bundestagsfraktion nie wirklich geführt habe. Und gern wird an ihre nicht ausgestandene Spendenaffäre erinnert, so zuletzt auf einem Parteikonvent in Thüringen. Ob der Bundesvorstand darauf vorbereitet sei, dass das Thema eine Rolle spielen könnte, wollten Anwesende wissen.
Weidel und Chrupalla können auf die Unterstützung vom ganz rechten Flügel um Rechtsaußen Björn Höcke und sein Lager rechnen. Bei der internen Konkurrenz glaubt man gern an die Einschätzung von Parteichef Meuthen, wonach die Bedeutung des Chefs des kleinen Thüringer Landesverbandes überschätzt wird. "Ich werde immer wieder auf Herrn Höcke angesprochen", sagt Wundrak. "Ich kenne ihn gar nicht. Mich nervt das seit dem ersten Tag."

