Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen Seehofer:Klagepartei AfD

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Die Partei erreicht vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Innenminister Seehofer einen kleinen Erfolg. Es ist die Strategie der AfD, systematischer gegen Institutionen und politische Gegner mit Klagen vorzugehen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe, und Markus Balser, Berlin, Karlsruhe/Berlin

Es war eine Niederlage mit Ansage, die Staatssekretär Günter Krings stellvertretend für seinen Minister Horst Seehofer (CSU) in Karlsruhe entgegenzunehmen hatte. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Neutralitätsgebot im Ministeramt ist spätestens seit einem Urteil von 2018 festgezimmert. Auch die Anhörung im Februar hatte keine Anzeichen ergeben, dass das Gericht hier eine Kehrtwende plane. Und so kam es dann auch. Das Interview mit der Nachrichtenagentur dpa, in dem Seehofer die AfD als "staatszersetzend" bezeichnet hatte, verletzt die Chancengleichheit der Parteien - weil ein Regierungsvertreter die Autorität des Amtes oder die Ressourcen der Regierung nicht dazu nutzen darf, die Opposition schlechtzureden.

Dass Krings sich hinterher dennoch vor den Sitzungssaal stellen und das Urteil loben konnte ("Damit kann man arbeiten"), folgt aus den Feinheiten der Begründung. Denn so sehr das Gericht den Grundsatz hochhält, der den Minister zur Neutralität verpflichtet und dem Parteipolitiker die Polemik erlaubt: Im Detail hat das Gericht gleichwohl nachjustiert, im erkennbaren Bestreben, die politische Debatte in diesen manchmal sehr aufgeheizten Zeiten nicht durch allzu künstliche Sachlichkeitsgebote zu hemmen. Der einzige Punkt, der Seehofer angekreidet wurde, war letztlich der Umstand, dass das Interview auf der Homepage des Ministeriums stand - einer Ressource der Regierung. Inhaltlich hat das Gericht nichts auszusetzen. "Horst Seehofer muss nicht mit angezogener Handbremse agieren", resümierte Krings.

Dabei wiederholt der Zweite Senat - als Berichterstatter war übrigens der Ex-Politiker Peter Müller zuständig - zunächst die bekannten Grundsätze. Staatsorgane haben sich neutral zu verhalten, auch außerhalb von Wahlen. Sie dürfen zwar Öffentlichkeitsarbeit betreiben - die aber dort endet, "wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien oder Personen beginnt". Auch bei harter Kritik muss ein Regierungsmitglied sachlich bleiben. "Das schließt die klare und unmissverständliche Zurückweisung fehlerhafter Sachdarstellungen oder diskriminierender Werturteile nicht aus."

Unter dem Strich macht das Gericht aber deutlich: Wer die Ministerurkunde entgegennimmt, gelobt damit eine gewisse Zurückhaltung im politischen Wettbewerb, gibt aber nicht seine Redefreiheit auf. In Interviews oder Talkshows dürfen Regierungsmitglieder grundsätzlich frei und ungebremst auch die Opposition kritisieren. Das gilt jedenfalls dann, wenn sich das Gespräch nicht ausschließlich um den Geschäftsbereich des Ministeriums dreht, sondern - wie das häufig der Fall ist - quer durch die politischen Themenfelder pflügt. Wer in der Doppelrolle als Amtsträger und Parteipolitiker auftritt (und dies auch hervorhebt), dem legt das Urteil keine Fesseln an.

AfD hat eine ganze Reihe von Klagen gestartet

Direkte Konsequenzen für Seehofer hat das Urteil nicht. Der Text steht schon lange nicht mehr auf der Internetseite seines Ministeriums. AfD-Chef Jörg Meuthen sprach nach dem Urteil dennoch von einem sehr guten Tag für die Alternative für Deutschland. Doch uneingeschränkt gilt das wohl nicht. Denn künftige Klageversuche der AfD gegen Mitglieder der Regierung könnten es durch die Entscheidung vom Dienstag schwerer haben. Dabei ist es zur Strategie der AfD geworden, immer systematischer gegen Institutionen und politische Gegner mit Klagen vorzugehen, sie dabei schlecht aussehen zu lassen - und sich selbst als Rechtsstaatspartei darzustellen. Unter Führung ihres Chefjustiziars Stephan Brandner hat die AfD in dieser Legislaturperiode eine ganze Reihe von Klagen gestartet. Das Vorgehen gegen Seehofers Webseiten-Patzer ist nur eines von vielen Beispielen.

Brandner und der Prozessbevollmächtigte der Fraktion, Ulrich Vosgerau, stellten erst Ende Mai im Bundestag ein Bündel von neuen Verfahren vor, die von der Fraktion geführt werden. So geht die AfD gegen aus ihrer Sicht unrechtmäßige Abstimmungsprozesse im Bundestag vor, sie bekämpft vor Gericht die Düngemittelverordnung von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und wirbt so auch um Stimmen von empörten Bauern. Sie kämpft gegen den europäischen Rettungsmechanismus ESM und will per Klage Änderungen des Infektionsschutzgesetzes kippen. Auch bei der Klage gegen den Mietendeckel will die AfD-Fraktion gerne mitmischen.

Nicht immer gehen diese juristischen Feldzüge gut aus. So unterlag Brandner selbst erst vor wenigen Tagen vor dem Verfassungsgericht mit einem Eilantrag gegen seine eigene Abwahl als Vorsitzender des Rechtsausschusses. Die Abgeordneten anderer Parteien im Ausschuss hatten Brandner am 13. November mit ihrer Mehrheit abgesetzt, weil sie ihn für untragbar hielten - ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Bundestags. Die persönliche Niederlage bremst Brandner aber offensichtlich nicht. Bei der Präsentation der neuen Klagen kürzlich im Bundestag machte der AfD-Justiziar klar: "Wir haben noch so einiges vor."

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SZ vom 10.06.2020
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