AfD:Schloss und Riege

Im Landtag war die AfD bisher nicht vertreten, nun ziehen ihre Abgeordneten mit einem bemerkenswerten Ergebnis ein. Zum ersten Mal liegt die Rechtspartei bei einer Wahl vor der Union.

Von Peter Burghardt

Das Schweriner Schloss hat schon ein paar Umbrüche erlebt, seitdem vor fast 100 Jahren der Großherzog abdanken musste. Im Herbst 1990 zog kurz nach der Wiedervereinigung der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern in den Prachtbau auf der Insel im See. 2006 und 2011 wurden Männer der rechtsextremen NPD in Deutschlands schönstes Parlamentshaus gewählt - und dort von allen anderen Parteien geschlossen ignoriert. Die NPD hat einen zweiten Wiedereinzug nun am Sonntag verpasst. Aber in diesem Landtag wird künftig ein neues Kürzel vorzufinden sein: AfD.

Ein Erdbeben? "Ein Gewitter", sagt Beatrix von Storch

Gut 21 Prozent bekam die Alternative für Deutschland nach ersten Hochrechnungen, mehr sogar als die CDU (19 Prozent). Die AfD ist nur drei Jahre nach ihrer Gründung nicht nur im bereits neunten Plenarsaal eines Bundeslandes gelandet. Die Rechtspopulisten sind bei ihrer Premiere im Nordosten auch gleich die Nummer zwei hinter der SPD geworden und die Nummer eins der Opposition. "Liebe Freunde, es ist vollbracht, die AfD ist im Schweriner Landtag", verkündete der AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm, als die ersten Zahlen öffentlich geworden waren. Er hatte zuletzt zwar sogar angekündigt, stärkste Kraft zu werden, das misslang dann doch deutlich. Gut gelaunt war er dennoch: "Und das Sahnehäubchen ist natürlich, dass wir Merkels und Caffiers CDU hinter uns gelassen haben", sprach Holm, zur Feier des Abends mit Krawatte. "Wir schreiben hier Geschichte, endlich gibt es hier wieder eine Opposition." So solle es bei den Bundestagswahlen 2017 weitergehen, "vielleicht ist das heute der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel." Im Landtag werde man "konstruktiv mitarbeiten, in welcher Konstellation auch immer". Die Opposition wird die AfD in jedem Fall anführen, sie liegt klar vor allen anderen Parteien außer der SPD.

Vor allem die Flüchtlinge und der Islam waren das Thema der AfD gewesen, obwohl es in dieser dünn besiedelten Region vergleichsweise wenige Asylbewerber und kaum Muslime gibt. Die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry schimpfte auch am Wahlabend auf "die katastrophale Migrationspolitik" von Kanzlerin Merkel. Die AfD-Vize Beatrix von Storch hatte vor dem Wahltag versprochen, es werde "kein Erdbeben" geben, "weil ein Erdbeben Schäden anrichtet, aber ein Gewitter, ein reinigendes Gewitter mit frischem Wind".

Leif-Erik Holm, 47, war einmal Mitarbeiter im Büro der Europa-Abgeordneten von Storch. Bald wird er wohl AfD-Fraktionschef und Oppositionsführer in Mecklenburg-Vorpommern, eine rasante Karriere. Bis 2013 war er Radiomoderator - seine Radiostimme hat er sich bewahrt, er trägt einen Dreitagebart und meist ein offenes weißes Hemd zur Jeans. Er wohnt mit Frau und Kind in Prenzlauer Berg in Berlin, wo ihn Mitbürger mit Migrationshintergrund offenbar nicht stören. Holm gibt sich gerne als kumpelhafter Streiter für Heimat, Bildung und Familie, allerdings ist ihm der radikale Flügel recht nah.

Top candidate Holm, Gauland and Storch of the anti-immigration party Alternative for Germany (AfD) react after first exit polls during the Mecklenburg-Vorpommern state election at the party post election venue in Schwerin

"Es ist vollbracht": Die AfD feiert den Einzug in den Schweriner Landtag, von links Alexander Gauland, Beatrix von Storch, Leif-Erik Holm.

(Foto: Joachim Herrmann/Reuters)

Bei Wahlkampfauftritten beschimpfte Rechtsaußen Björn Höcke, der AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag, die Bundeskanzlerin als "Kanzlerdiktatorin". Auch Holm benützte Vokabeln und Parolen wie "Altparteien", "Blockparteien", "demokratiefeindliche Politik" oder "unkontrollierte Masseneinwanderung". Er wolle verhindern, dass sich Deutschland und Europa "Schritt für Schritt in ein Kalifat" verwandelten. Er fände es nicht verwunderlich, falls die SPD "Scharia-Partei Deutschlands" genannt werde. Oft erinnerte Holm an die Wende: "1989 hat gezeigt, dass wir gemeinsam Großes bewegen können."

Die Partei wächst dort, wo einst auch die NPD wuchs

Die Mischung aus Apokalypse und Protest ist offenbar bei mindestens jedem fünften Wähler angekommen. Dahinter steckt besonders in Vorpommern ein diffuser Frust, der trotz stark gesunkener Arbeitslosigkeit wieder zugenommen hat. Viele Anhänger der AfD fühlen sich abgehängt und von der großen Koalition schlicht missachtet. Den meisten dieser Unzufriedenen missfällt Merkels Flüchtlingspolitik, dabei leben in Mecklenburg-Vorpommern unter 1,6 Millionen Menschen derzeit nur 11 000 Flüchtlinge. Wut lösen auch niedrige Löhne und Windräder aus. Zudem ist der Staat in manchen Gegenden kaum mehr präsent, vor allem in Teilen Vorpommerns.

Dort, auf dem Land, wuchs einst die NPD. Und dort wächst nun die AfD. Die meisten Anhänger scheint es kaum zu bekümmern, dass sich die Sprüche beider Parteien recht ähnlich geworden sind und die AfD auch völkische Bewerber aufbietet. Einer von ihnen, Holger Arppe, ist wegen Volksverhetzung vorbestraft und hofiert die rechtsextreme "Identitäre Bewegung". Leif-Erik Holm und Parteichef Jörg Meuthen hatten vor der Wahl wissen lassen, dass sie sich vorstellen könnten, Sachanträge der NPD wie solche der Linken zu unterstützen - ein Wink zum rechten Rand. Es sei "wirklich idiotisch, daraus eine Zusammenarbeit mit der NPD zu konstruieren", sagte Holm. "Lassen Sie sich nicht einreden, wir wären Aussätzige, diese Versuche kennen wir von früher."

Die auffälligste Gegenwehr stammte kurz vor der Wahl von der Band Jennifer Rostock. "Aber nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber", singt Jennifer Weist in dem Lied gegen die AfD. "Eine Religion als Feindbild, rechter Terror und was weiß ich, das alles riecht verdammt noch mal nach 1933." Der Song wird im Netz gefeiert und wurde seit Dienstag mehr als 13 Millionen Mal angeklickt, doch die Sängerin Weist wird auch beleidigt und bedroht. Und mehr als 21 Prozent der Stimmen bekam die AfD trotzdem.

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