AfD in Sachsen:"Wer will uns aufhalten?"

AfD-Spitzen­kandidat Jörg Urban führt einen aggressiven Wahlkampf. Inhaltlich verschwimmen bei ihm die klaren Linien. Und die Anhänger begeistert ein anderer.

Von Antonie Rietzschel, Dresden/Lommatzsch

Hinter Jörg Urbans Schreibtisch rammt ein blonder Jüngling in schwarz glänzender Rüstung eine Lanze in das aufgerissene Maul eines Drachen. Eigentlich wollte Urban das Bild des Heiligen St. Georg ja zu Hause aufhängen. "Meine Frau war dagegen", sagt er. Das Blut, die Skelette im Staub. Jetzt ist das Bild Blickfang für jeden, der das Büro des Fraktionsvorsitzenden der AfD im sächsischen Landtag betritt. Der Legende nach tötete St. Georg einen Drachen, rettete dadurch eine Königstochter und befreite deren Heimatstadt von der Tyrannei der Bestie. Urban ist kein Christ. Aber dem Chef der AfD in Sachsen gefällt die Geschichte vom Kampf zwischen Gut und Böse.

Das merkt man auch dem Wahlkampf an, den der 55-jährige Spitzenkandidat führt. Den Gegnern werden da gerne mal - ähnlich wie in der Georgslegende - geradezu monströse Züge angedichtet. Als etwa der Landeswahlausschuss die Landesliste der AfD wegen Verfahrensfehlern bei der Aufstellung von 61 zunächst auf 18 Kandidaten zusammenkürzte, suchte Urban nicht nach parteiinternen Fehlern. Er geißelte den Vorgang als "politischen Skandal", unterstellte den "Altparteien", den Wählerwillen behindern zu wollen. Ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs gestand der Partei schließlich 30 Listenplätze zu.

Auch sonst liebt Urban die Attacke. Er wettert im Wahlkampf gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: "Jede Diktatur würde vor Neid erblassen." Schimpft über eine "Klima-Hysterie". Schürt die Angst vor einer schwarz-rot-grünen-Koalition angeführt vom CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Und Urban verspricht Rettung. Durch seine Partei: "Wer will uns aufhalten?"

Die AfD hofft, bei der Landtagswahl am 1. September stärkste Kraft zu werden. In früheren Umfragen lag sie zuweilen gleichauf mit der CDU. Aktuellen Prognosen zufolge erreicht sie 25 Prozent, die CDU 31 Prozent. Eine schwarz-blaue Koalition wäre möglich. Doch Kretschmer hat einem solchen Bündnis schon sehr früh eine Absage erteilt. Urban entgegnete: "Wer hat ihn überhaupt gefragt?"

Als er im Februar 2018 in Hoyerswerda zum Landeschef der AfD in Sachsen gewählt wurde, versprach er, die AfD werde nach den Landtagswahlen selbst den Ministerpräsidenten stellen. Beim Gespräch in seinem Büro wirkt Urban nun weniger kämpferisch. Zwar will er mit seiner Partei stärkste Kraft werden. Ob er Ministerpräsident werden möchte? "Nicht dringend." Die Wahrscheinlichkeit, dass die AfD bald mitregiert? "Sieht nicht so aus."

Petry hat Urban mal als "beliebig" bezeichnet

Auch inhaltlich verschwimmen bei Urban zuweilen die klaren Linien. Der AfD-Chef, dessen Wahlkreis in der Lausitz liegt, setzt sich für den Fortbestand des Braunkohletagebaus und gegen den Ausbau erneuerbarer Energien ein. Es gibt eine Fotomontage, die ihn vor Solarmodulen zeigt. "Experiment Energiewende sofort beenden", steht darüber. Recherchen des ZDF-Magazins "Frontal 21" zufolge betreibt Urban aber selbst eine Photovoltaik-Anlage, profitiert also von genau jenen staatlichen Förderungen, die seine Partei abschaffen will.

Urban war früher Geschäftsführer beim Umweltverband Grüne Liga in Sachsen. Er klagte gegen den Bau der Waldschlößchenbrücke in Dresden, kämpfte für den Artenschutz. Er engagierte sich kurz bei der Piratenpartei - bevor er 2013 in die AfD eintrat und wenig später in den Landtag gewählt wurde. Als Frauke Petry die Partei nach der Bundestagswahl 2017 verließ, wurde Urban ihr Nachfolger. Unter seiner Führung näherte sich die AfD rechtsradikalen Gruppen wie Pegida an. Bei Parteiveranstaltungen tauchte plötzlich Pegida-Chef Lutz Bachmann auf. Urban selbst trat bei einer Pegida-Kundgebung auf. "Pegida und die AfD sind dieselbe Bewegung", sagte er vor 1500 Demonstranten.

Er sei "beliebig", hat Petry mal über Urban gesagt. "Er wird sich immer den Strömungen der Basis hingeben." Tatsächlich hält sich Urban alle Optionen offen. Auch beim Umgang mit dem völkischen Flügel um den Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke. Urban hat das Gründungsmanifest unterschrieben, ist zu Gast bei regelmäßigen Treffen. Nachdem in Chemnitz mutmaßlich zwei Flüchtlinge einen jungen Mann getötet hatten, demonstrierten Urban und Höcke gemeinsam mit Rechtsextremen.

Strafzahlung

Der Bundestag verlangt von der AfD eine Strafzahlung wegen nicht deklarierter Einnahmen. Die AfD solle insgesamt 34 169 Euro zahlen, weil sie Einnahmen aus dem sogenannten Kyffhäusertreffen der rechtsnationalen Parteigruppierung "Flügel" vor zwei Jahren nicht ordnungsgemäß in ihrem Rechenschaftsbericht erfasst habe, erklärte ein Parlamentssprecher. Über den Strafbescheid hatten zunächst das ZDF und Spiegel online berichtet. Der vom thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke geleitete "Flügel" hatte Parteimitglieder für den 2. September 2017 zu seinem dritten "Kyffhäusertreffen" eingeladen und dabei von jedem erwachsenen Teilnehmer eine Gebühr von 20 Euro verlangt. Nach Angaben des Bundestagssprechers beliefen sich die Einnahmen damals auf 17 084,48 Euro. Gemäß den Vorgaben des Parteiengesetzes wurde der Strafbefehl auf das Doppelte dieses Betrags ausgestellt. SZ

Die programmatische Bedeutung der völkischen Strömung in der Partei spielt Urban herunter. "Man trifft sich, um den Patriotismus als Klammer für die Partei herauszustellen, um sich selbst zu bestärken", sagt er. Höcke sei lediglich ein Politiker mit eigenem Stil.

Ein Stil, der bei der Basis im Osten gut ankommt. Urban weiß das. Deswegen lässt er sich von Höcke im Wahlkampf unterstützen. Wie Mitte Juli in der Kleinstadt Lommatzsch: 400 Menschen sind an einem Sonntagabend zur AfD ins Schützenhaus gekommen. Als Höcke mit langen Schritten zur Bühne läuft, erhebt sich das Publikum klatschend und skandiert seinen Namen. Lächelnd reckt Höcke die Arme in die Höhe, tritt an das mit der Deutschlandfahne umhüllte Rednerpult und sagt: "Wir werden den Osten blau machen, wir werden die politische Sonne hier aufgehen lassen, um sie dann über ganz Deutschland scheinen zu lassen." 40 Minuten dauert Höckes Auftritt. Urbans Rede ist an diesem Abend halb so lang, halb so mitreißend. Er umklammert das Pult. Höcke lehnt lässig darauf. Urban schaut aufs Blatt, Höcke ins Publikum. Urban macht bei Applaus Pause. Höcke brüllt darüber hinweg.

Auch Urbans Name steht mehrfach im AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes. Er bezeichnete junge Mädchen als "Schlachtvieh", warnte vor Liebesbeziehungen mit "jungen Männern aus der Messerkultur". Wegen seiner Aussagen darf der Politiker als Neonazi bezeichnet werden. Das hat das Landgericht Dresden entschieden. Urban sagt über sich selbst: "Ich bin ein sachlicher Mensch."

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