Verfassungsschutz:Ist die AfD ein "Verdachtsfall" auf Rechtsextremismus?

Verfassungsschutz: Eine Überwachung von Parteien durch den Verfassungsschutz ist "nur ausnahmsweise zu rechtfertigen", urteilte Karlsruhe in der Vergangenheit. Gilt eine solche Ausnahme für die AfD?

Eine Überwachung von Parteien durch den Verfassungsschutz ist "nur ausnahmsweise zu rechtfertigen", urteilte Karlsruhe in der Vergangenheit. Gilt eine solche Ausnahme für die AfD?

(Foto: Friedrich Bungert)

Das Verwaltungsgericht Köln verhandelt in dieser Woche, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz die Partei beobachten darf. Antworten auf die wichtigsten rechtlichen Fragen.

Von Ronen Steinke, Berlin

Am Dienstag geht es los: Das Verwaltungsgericht Köln verhandelt auf Antrag der AfD über die Frage, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als "Verdachtsfall" auf Rechtsextremismus einstufen durfte. Oder ob diese Entscheidung vor gut einem Jahr rechtswidrig war. Viel steht auf dem Spiel. So erklärte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, schon kurz nach seinem Amtsantritt 2018 mit Blick auf die AfD: "Nichts wäre schlimmer, als wenn wir eine Entscheidung träfen, die von irgendeinem Gericht wieder aufgehoben würde."

Man stelle sich vor, so deutete Haldenwang im Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Dezember 2018 an: Der Verfassungsschutz würde beschließen, die AfD ins Visier zu nehmen - aber die Justiz würde entgegnen, das sei überzogen. Die AfD würde triumphieren.

Wovon hängt es ab, ob die AfD nun vor Gericht gewinnt?

Das Verwaltungsgericht Köln hat die Frage zu prüfen: Besteht der hinreichende Verdacht, dass die AfD "extremistisch" ist? Es ist schwer zu prognostizieren, wie das ausgeht. Präzedenzfälle sind rar. Das Bundesverfassungsgericht mahnt immer wieder an, dass die Hürde für eine Überwachung von Parteien angesichts ihrer Bedeutung für die Demokratie besonders hoch liege. Es sei "nur ausnahmsweise zu rechtfertigen", hat Karlsruhe in seiner Rechtsprechung zur Partei Die Republikaner in den 1990er-Jahren ausgeführt. Eine Parteienüberwachung müsse sich "auf das zur Selbstverteidigung der Demokratie Gebotene" beschränken. Die Frage ist also, ob man sagen kann, dass von der AfD die Gefahr eines antidemokratischen Umsturzes ausgeht - oder die Gefahr einer Aushöhlung der Demokratie von innen.

Was ist der zentrale Vorwurf des Verfassungsschutzes gegen die AfD?

Die AfD sei eine rassistische Partei. Diesen Vorwurf erhebt das 1001 Seiten starke, vertrauliche Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz gegen die AfD, das die SZ einsehen konnte. Das wohl wichtigste Argument lautet im Kern: Weil die AfD die Leute in Bürger erster und zweiter Klasse (Deutsche und lediglich "Passdeutsche", zum Beispiel Muslime) unterscheide, sei sie nicht mit Demokratie und Menschenwürde vereinbar. Heikel könnte indes sein, dass einige der inkriminierten AfD-Sprüche über den Islam auch schon von Unionspolitikern geäußert worden sind.

Müsste man dann nicht auch diese Unionspolitiker anprangern? Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung waren etwa die entsprechenden Vorwürfe des Verfassungsschutzes gegen die AfD nach einer Intervention des damaligen Innenministers Horst Seehofer (CSU) in letzter Minute abgeschwächt worden.

Muss die AfD sich Äußerungen von einzelnen Mitgliedern zurechnen lassen?

Nur bedingt. 2017 hat das Bundesverfassungsgericht in seiner NPD-Entscheidung eine Faustregel aufgestellt: Die Parteiführung muss sich nur für solche Äußerungen verantworten, die sie erstens beeinflussen kann und zweitens (direkt oder indirekt) billigt. Diese Linie hat das Gericht prinzipiell schon im KPD-Urteil von 1956 skizziert. Eine Partei muss sich das Verhalten Einzelner nur so weit zurechnen lassen, wie dieses Verhalten repräsentativ ist für die Haltung von vielen in der Partei. "Entgleisungen einzelner Mitglieder oder Anhänger", schrieben die Karlsruher Richter damals, sollten nicht ins Gewicht fallen.

Aber was sind bloße "Entgleisungen"? Der Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke etwa hatte schon ein Parteiausschlussverfahren am Hals. Ergebnislos. Er ist noch in der AfD. Wenn die Parteispitze betont, er sei nicht repräsentativ für größere Teile der AfD - darf man die AfD wirklich mit diesem Argument davonkommen lassen?

Muss die gesamte AfD sich die extremeren Positionen einer Teilgruppe wie des "Flügels" zurechnen lassen?

Die Regel lautet: Nur soweit eine Teilgruppe die Partei "prägt". Die Verfassungsschutzämter sind angehalten, so weit wie möglich zu differenzieren und nicht alle in einen Topf zu werfen. Bei der Linkspartei ist das bereits erprobt. Dort wird die Gesamtpartei nicht (mehr) beobachtet. Jedoch alle als "offen extremistisch" eingestuften Teile. Dazu zählen die Kommunistische Plattform, die Sozialistische Linke, die Arbeitsgemeinschaft Cuba Sí, die Antikapitalistische Linke, das Marxistische Forum, der Geraer/Sozialistische Dialog sowie das trotzkistische Netzwerk Marx21. Gemeinsam machen sie nur fünf Prozent der Linkspartei-Mitglieder aus. Eine solche Herangehensweise wäre auch bei der AfD denkbar. Der Verfassungsschutz ist allerdings der Ansicht: Die völkische Strömung des offiziell aufgelösten "Flügels" in der AfD habe längst prägenden Einfluss auf die gesamte Partei.

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