AfD-Parteitag:Auf der Suche nach einer weniger radikalen Spitze

Lesezeit: 4 min

Die größte deutsche Oppositionspartei ist zerstritten. (Foto: Rolf Vennenbernd/picture alliance/dpa)

Welches Spitzenduo soll die AfD in den Wahlkampf führen? Co-Parteichef Tino Chrupalla aus dem rechten Lager gilt als gesetzt. Offen ist, wer mit ihm antreten soll. Und das könnte ein echtes Problem werden.

Von Markus Balser und Jens Schneider, Berlin

Einheit beschwören, Konzentration auf das Wesentliche fordern - auf Parteitagen vor wichtigen Wahlen gehört der Aufruf zur Geschlossenheit zu den unvermeidbaren Ritualen. Auch vor dem der AfD in Dresden an diesem Wochenende ist das nicht anders. Mehr als 50 Mitglieder haben sich sogar zu einem Antrag für die Tagesordnung entschlossen, in dem sie vor allem einen Begriff ins Zentrum ihrer Argumentation stellen: Es brauche "Einheit", um "den notwendigen Vertrauensvorschuss aus der Bevölkerung erhalten zu können", heißt es darin.

Ihr sechsseitiges Papier macht dann allerdings klar, wie es um die Einheit in der AfD in diesen Wochen tatsächlich bestellt ist - auf dem Parteitag, der den Startschuss für den Wahlkampf und den Wiedereinzug in den Bundestag setzen soll. Denn das Papier hat allein ein Ziel: den Parteichef zu stürzen. Jörg Meuthen scheitere "an der Herausforderung seiner Funktion", heißt es da. Er sei ihr "schlichtweg nicht gewachsen". Um sein "eigenes Unvermögen zu kaschieren" habe dieser Parteichef einem Teil seiner Partei einfach "offen den Ausgang zeigen wollen". Gemeint sind Meuthens Versuche, extrem Rechte wie den Brandenburger Ex-Landeschef Andreas Kalbitz loszuwerden.

Rechtspopulisten in der Pandemie
:Die AfD und das Virus

Die Rechtspopulisten wollten Corona für ihre Zwecke nutzen. Doch die Partei fand nie eine Strategie, um mit der Krise umzugehen.

Von Markus Balser und Jens Schneider

Große Chancen hat der Umsturzantrag nicht. Gut möglich, dass er nicht mal behandelt wird. Aber der heftige Angriff auf Meuthen ist ein Indiz, wie zerstritten die größte deutsche Oppositionspartei derzeit ist. Besonders ruhig ging es noch nie zu in der kurzen, aber an Machtkämpfen reichen Geschichte der AfD. Selten jedoch war die Partei so klar in zwei konkurrierende Lager geteilt. Seit der Wutrede Meuthens auf dem vergangenen Parteitag Ende November in Kalkar sieht sich die äußerste Rechte an den Rand gedrängt. Unversöhnlich stehen sich die Anhänger des vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften und offiziell inzwischen aufgelösten "Flügels" und die weniger Radikalen um Meuthen gegenüber.

Das Wahlprogramm ist diesmal weniger spannend

Und so wird es in Dresden vor allem um die Frage gehen, ob die Partei mit einem gemeinsamen Auftritt die tiefen Risse wenigstens für eine Weile kitten kann. Parteichef Meuthen will ein Signal des gemeinsamen Aufbruchs. Deshalb behauptet er nach außen gerade gern, dass die Partei nicht zerstritten sei, während er intern darum kämpft, seine Linie gegen die internen Widersacher zu halten. Ob das gelingt, wird sich weniger am Streit über Inhalte entscheiden als an Personalfragen. Zwar steht ein Wahlprogramm zur Verabschiedung an, aber das liegt auf der von der AfD bekannten Linie. Seit Wochen wird hinter den Kulissen darum gerungen, mit welchen Spitzenkandidaten die Partei zur Bundestagswahl Ende September antritt.

Als gesetzt gilt die Kandidatur von Meuthens Co-Parteichef Tino Chrupalla aus dem weit rechten Lager der AfD. Er hat seine Ambitionen nie öffentlich gemacht, intern aber Bereitschaft signalisiert, das Erbe des inzwischen 80-jährigen Alexander Gauland anzutreten, der die AfD noch 2017 als Spitzenkandidat erstmals in den Bundestag führte. Allerdings gilt der hölzerne Chrupalla aus Sachsen nicht gerade als mitreißende Integrationsfigur, schon gar nicht für die nach AfD-Maßstäben gemäßigten Kräfte aus dem Westen. Dort wächst der Druck, mit einem Team in den Wahlkampf zu starten.

Meuthen hat deshalb diskret den Aufbau einer neuen Führungskraft seiner Partei vorangetrieben. Ihm schwebt ein Kandidatenduo aus Chrupalla und Joana Cotar vor, einer 48-jährigen Veranstaltungsmanagerin, die 2017 über die hessische Landesliste in den Bundestag einzog. Cotar war ihrem eigenen Bekenntnis zufolge noch als Politikstudentin Mitglied der CDU, ihre Abschlussarbeit habe sie über "Die Entwicklung des Europäischen Verfassungsgedanken" geschrieben. Nach dem Studium sei sie einige Jahre Eventmanagerin bei großen Finanzinstituten in Deutschland und der Schweiz gewesen, danach selbständige Projektmanagerin, zeitweise auch als Feng-Shui-Beraterin. Im Bundestag widmete sie sich vor allem digitalen Themen.

Joana Cotar von der AfD wurde vor einem Jahr noch als Spitzenkandidatin gehandelt. Jetzt scheidet sie aus und nennt als Grund vor allem die Opportunisten. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Erst Ende des vergangenen Jahres wurde Cotar auf dem Parteitag in Kalkar in den Bundesvorstand der AfD gewählt, als Vertreterin des Meuthen-Lagers. Sie nennt sich eine "Freiheitliche", was in der Partei den Gegensatz zu den "Flügel"-Politikern bezeichnen soll, die einen starken, fürsorglichen Staat wollen. Hinter ihr stehen vor allem große Landesverbände aus dem Westen. Cotar betont, dass sie zur Kandidatur ermuntert wurde. Nun laufen Gespräche zwischen ihr und Chrupalla über den Auftritt als Duo, wobei der seinen Leuten erklären müsste, warum er mit einer Frau zusammenarbeiten will, die den Flügel und dessen Exponenten in Stellungnahmen offen ablehnt. Jene Leute also, die Chrupalla zu seinen Unterstützern zählen kann.

Ob der Plan aufgeht, ist fraglich. Denn eine Führungsfigur der AfD droht dabei auf der Strecke zu bleiben: Alice Weidel, amtierende Fraktionsvorsitzende, Vizeparteichefin und Landesvorsitzende in Baden-Württemberg plant in Dresden keine Kandidatur. Sie durchlebt schwierige politische Zeiten. Die jüngste Schlappe der AfD in Baden-Württemberg wird auch ihr angelastet. Ihre Spendenaffäre und Klagen über eine schlecht geführte Bundestagsfraktion haben ihren Ruf beschädigt. Die äußerste Rechte hofft dennoch, dass sie dem Meuthen-Lager Paroli bietet - mit Chrupalla.

Meuthens Gegner wollen eine Entscheidung erzwingen

Die Personalfrage wird damit zur Grundsatzfrage, wohin die AfD in den nächsten Monaten steuert. Wäre es nach Meuthen gegangen, wäre er ihr gerne aus dem Weg gegangen. Er hat versucht, die umstrittene Kür der Spitzenkandidaten mit einem Schachzug vom Parteitag fernzuhalten und später von den Mitgliedern per Online-Votum entscheiden zu lassen. In einer von ihm forcierten Umfrage sprach sich die Basis für ein Mitgliedervotum aus. Seine Strategie: So ließen sich die eigenen Personalien leichter durchsetzen.

Doch es könnte anders kommen. Meuthens Gegner wollen eine Entscheidung in Dresden erzwingen. Einen entsprechenden Antrag haben unter anderem die ostdeutschen Landesverbände gestellt, die gerade sehr selbstbewusst sind. Während die AfD im Westen schwächelt, bei den Landtagswahlen im März sogar deutlich verlor, steht sie im Osten gut da, obwohl der Druck des Verfassungsschutzes auf die Partei zuletzt wuchs. In Sachsen zog die AfD bei der Sonntagsfrage sogar an der CDU vorbei und wäre danach bei einer Wahl aktuell stärkste Kraft. Während die Regierungspartei um Ministerpräsident Michael Kretschmer auf nur 27 Prozent kam, erreichte die AfD fast 30 Prozent.

Rechtspopulismus
:Orbán will Europas Rechte einen

Nach dem Austritt seiner Fidesz aus der Europäischen Volkspartei geht der ungarische Ministerpräsident weiter auf Konfrontationskurs zu Brüssel. Treffen mit Lega-Chef Matteo Salvini und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sind schon geplant.

Von Cathrin Kahlweit und Matthias Kolb

Ein Kompromiss der Lager wäre nur ein Frieden auf Zeit

Der ganz große Eklat könnte dennoch ausbleiben. Weil sich auch die ganz Rechten am Riemen reißen wollen, um ein gutes Abschneiden bei der Bundestagswahl nicht zu gefährden. Jeder Prozentpunkt mehr steht für Posten und einträgliche Mandate auch für ihre Vertreter. Aus Meuthens Umfeld ist zu hören, dass man eine Konfrontation verhindern und sich auf den politischen Gegner konzentrieren will. Schon am Freitagabend will die Parteispitze ihre neue Wahlkampagne präsentieren.

Doch der Frieden wäre nur einer auf Zeit. Direkt nach der Wahl, vermutet das Lager von Meuthen, wolle die Rechte einen neuen Umsturzversuch starten und Meuthen endgültig aus dem Amt drängen. Auch für andere Spitzenfunktionäre ist keine Einheit in Sicht. Von einem Bundesparteitag im Wahljahr wünsche man sich "eine positive Initialzündung für den Wahlkampf", sagte Alice Weidel der Süddeutschen Zeitung. "Man rückt zusammen und schwört sich auf ein erfolgreiches Werben um die Wählerstimmen ein." Doch leider überwiege das Bild einer Partei, die sich nicht einig sei, wie der Spitzenkandidat oder die Spitzenkandidaten nominiert werden sollten, sagt die Fraktionschefin. "Ich hoffe, dass sich dieses Bild nach dem Parteitag wandeln wird."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Rechtspopulisten in der Pandemie
:Die AfD und das Virus

Die Rechtspopulisten wollten Corona für ihre Zwecke nutzen. Doch die Partei fand nie eine Strategie, um mit der Krise umzugehen.

Von Markus Balser und Jens Schneider

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: