Ihre Idole, so sagen sie, seien Mahatma Gandhi und Nelson Mandela. Mit „buntem zivilem Ungehorsam“ wollen Hunderte Aktivisten von Samstagmorgen an den 600 angereisten AfD-Delegierten den Weg versperren zur Grugahalle, dem Ort des AfD-Parteitags im Essener Stadtteil Rüttenscheid. Gemeint sind Menschenketten, Sitzblockaden und andere „strikt friedliche Aktionen“. Zum Beispiel? „Singen, Karten spielen, stricken: bunte Socken gegen braune Socken“, antwortet Katharina Schwabedissen, eine Sprecherin der Aktionsgruppe Widersetzen: „Wir werden den Raum nutzen, den wir der AfD nicht geben wollen.“
Das klingt friedlich – aber es dürfte auch für Bilder im Fernsehen und in den sozialen Medien sorgen. Denn die Polizei ist verpflichtet, das Recht auf Versammlungsfreiheit zu gewährleisten – beiden Seiten, der AfD wie den Gegendemonstranten. Falls „Widersetzen“ also direkt auf den Wegen und Zufahrten für die Parteitagsdelegierten singt und strickt, dürften behelmte Hundertschaften anrücken und die Demonstranten vor laufenden Kameras und vor Fotografen forttragen.
Die Polizei sei da „neutral“ – jedem gegenüber, versicherte Essens Polizeipräsident Andreas Stüve diese Woche: „Wir schützen keine Meinungen, sondern unsere Grundrechte – notfalls auch durch robustes Einschreiten.“ Sein Kollege Detlef Köbbeler wird den dreitägigen Einsatz leiten, der Leitende Polizeidirektor wird abwägen müssen, wie weit der zivile Protest gehen darf: „Irgendwann ist es Nötigung.“ Aber der 62-Jährige sagt auch, die Polizei sei nicht verpflichtet, die Anreise eines jeden einzelnen AfD-Delegierten zu schützen. Dafür seien die Parteitagsgäste selbst verantwortlich: „Paragraf 1 – jeder macht seins.“
Das Wochenende wird den größten Polizeieinsatz in der Geschichte Essens erleben. Und niemand weiß genau, wie viele Demonstranten anreisen werden. 370 Organisationen aus allen Teilen der Republik – Kirchen, Gewerkschafter, Umweltschützer, Frauengruppen – unterstützen den Aufruf von „Gemeinsam laut“; die Busse aus Leipzig, Stuttgart oder Hamburg sind ausgebucht. Ein erster, sehr lauter Anti-AfD-Marsch ist für Freitagabend geplant, als Rave-Demo mit dem Motto „Bass gegen Hass“. In der Nähe der Grugahalle und der Essener Messe werden die Demonstranten von Lichtspiel des EON-Konzerns begrüßt: Auf den hohen Fassaden der Konzernzentrale wird die Zeile „Flagge für Europa, Freiheit, Menschenwürde und Demokratie“ leuchten. Am Samstag folgt dann eine Großdemonstration, die mit einer Kundgebung auf einem Parkplatz in Sichtnähe des AfD-Parteitags enden soll. Anschließend lockt ein Konzert. Der Asphalt bietet Raum für 45 000 Menschen; wer zu spät kommt, kann in Nebenstraßen warten.
Ein riesiges Areal rund um die Grugahalle wird das gesamte Wochenende für den Verkehr gesperrt, für Autos wie Fahrräder. Wer in die Sicherheitszone hineinwill, muss sich (etwa als Anwohner oder Besucher) ausweisen können. Rüttenscheid, einer der lebendigsten Stadtteile der Ruhrmetropole, lebt im Belagerungszustand: Geschäfte und Restaurants schließen, Nachbarn flüchten in den Kurzurlaub, sogar Geldautomaten im Umkreis werden abgeschaltet.
Es soll, so das Versprechen die Veranstalter, „ein riesiges Fest“ werden. Dass das gelingt, ist nicht ausgemacht. Denn Essen drohen auch Besucher, die dort niemand haben will: Vor drei Wochen kündigte eine links-autonome Gruppe aus Berlin an, man wolle den AfD-Parteitag „smashen“, also zerschlagen, und bereits den Samstagmorgen „mit ein wenig Feuer einleiten“. Friedliche Sitzblockaden belächelt diese Szene – und falls die AfD dann dennoch zusammenkomme, werde man „zum offensiven Angriff“ übergehen.
Detlef Köbbeler, der Einsatzleiter, kennt diese Drohungen. Er schätzt, dass „Anreisen im dreistelligen Bereich“ von Autonomen und Antifa auf ihn zukommen. Bis zu 3000 Polizisten wird der Mann mit dem kurzen, grauen Bart am Wochenende dirigieren, es ist sein letzter großer Einsatz vor der Pensionierung. Seine Kollegen, so verspricht er, würden „sehr konsequent Straftaten im Keim ersticken“. Dann sagt Köbbeler noch, was er selbst von diesem heißen Wochenende hält – mit drei Tagen Dauereinsatz wegen all des Protests. Das sei für ihn „als Privatmann wünschenswert – als Polizeiführer neutral“.