Es ist ziemlich laut in Braunschweig an diesem Morgen. In der Volkswagenhalle hören die 570 Delegierten die Eröffnungsrede von Alexander Gauland. Draußen formiert sich zur gleichen Zeit ein Anti-AfD-Demonstrationszug von einigen Tausend Menschen. Dazwischen: ziemlich viel Polizei und ein schwarzer Sichtschutz direkt vor der Halle. Damit die Delegierten diskret anreisen können. Auf dem Weg in die Halle müssen die Delegierten mehrere Polizeiposten passieren. Alles ist abgesperrt, Straßenbahnen kommen nicht mehr weiter. Auch Taxis werden nicht durchgelassen. Der Schriftzug "Volkswagenhalle" war auf Betreiben des Autokonzerns abgedeckt worden.
An der Polizeisperre vor der Halle steht Michaela Fritz. Sie wohnt gleich um die Ecke. Die 55-Jährige hat schon einige Male demonstriert. Aber das liegt viele Jahre zurück. "Zu den Gründungszeiten der Grünen war das." Lange habe sie nichts auf die Straße getrieben. Bis zum Samstag. Dass die AfD in Ihrer Nachbarschaft berät, wie sie einen Rechtsruck im Land erreichen kann, will Fritz nicht mehr leise erdulden. "Diese Partei droht die Gesellschaft zu spalten", sagt Fritz. "Niemand weiß, wohin das noch führt."
Auch drinnen weiß man das an diesem Vormittag noch nicht so genau. Für die AfD hat ein entscheidender Parteitag begonnen. In Braunschweig muss sie nach zwei Jahren einen neuen Bundesvorstand wählen, und diese neue Spitze wird die Partei in die kommende Bundestagswahl führen. Es geht zunächst um die zwei Vorsitzenden. Jörg Meuthen will Parteichef bleiben, der 78-jährige Alexander Gauland will sich aus der Parteispitze zurückziehen, es soll einen Generationenwechsel geben. Er hat als Vorsitzender der Bundestagsfraktion ohnehin genug Einfluss. Aber Gauland möchte im Grunde nur verzichten, wenn die Partei auch seinen Wünschen folgt. Er hält sich eine Hintertür offen.
Gauland träumt von einer Koalition mit der CDU
In seiner Eröffnungsrede warnt Gauland Teile der AfD vor sozialrevolutionären Träumen. Es gebe einige in der Partei, die "manchmal den Traum einer kleinen sozialrevolutionären Partei träumen", sagt er. Dieser Traum sei aber irreal. Die AfD müsse einen "realistischen demokratischen Weg" gehen und Regierungsfähigkeit entwickeln. Allein bei demokratischen Wahlen könne die AfD so stark werden, dass es nicht länger möglich sei, "uns von der Gestaltungsmacht dieses Landes auszuschließen", sagt er.
Er wolle keine Anpassung an "eine verrottete CDU", erklärt der Parteichef den Delegierten. Kurz darauf nennt er dann aber doch eine langfristige Kooperation mit der Partei als eine Art Fernziel, der er selbst rund vierzig Jahre lang angehörte. Denn es sei, so formuliert es Gauland, "nicht sicher damit zu rechnen, dass die CDU völlig zerfällt". Sein Fazit: "Wenn Grüne, Rote und Dunkelrote zusammengehen, wird der Tag kommen, an dem die geschwächte CDU nur noch eine Option hat: uns!" Dafür solle seine Partei bereit sein, und am Ende wird Gauland grundsätzlich. Ihn treibe eine Sorge um: Die Chance, etwas zu bewegen, komme nicht zurück, wenn sie einmal vertan sei, sagt er. "Der Parteitag ist ein Meilenstein zur Bewahrung unseres Landes."
Am Nachmittag sollen die Wahlen für den neuen Bundesvorstand beginnen. Der bisherige Vorsitzende Jörg Meuthen stellt sich zur Wiederwahl. Für Gaulands Posten kandidiert der von ihm protegierte Sachse Tino Chrupalla. Aber gegen ihn tritt der Fraktionskollege Gottfried Curio an, der als rechter Scharfmacher der Fraktion gilt. Politisch trennt die beiden nicht viel. Aber während Chrupalla als loyal und für Gauland gut steuerbar gilt, hat der aus Berlin stammende Gegenkandidat Curio den Ruf eines Einzelgängers. Wenn er denn gewählt wird, hätte Meuthen künftig einen schwer berechenbaren Co-Vorsitzenden, heißt es am Vormittag auf den Gängen der Halle. Zugleich wird daran erinnert, dass Curio ein begabter Redner sei und so vielleicht den Saal für sich einnehmen könne.
Auch die niedersächsische Landeschefin Dana Guth tritt an. Einmischen will sich in den Kampf um den Parteivorsitz auch Wolfang Gedeon, der in Baden-Württemberg nach Antisemitismusvorwürfen aus der Landtagsfraktion ausgeschlossen worden war. Er hätte die AfD längst verlassen sollen, wenn es nach der Parteispitze ginge. Das Ausschlussverfahren ist bisher gescheitert.
Gauland schließt offenbar nicht aus, dass er an diesem Abend in Braunschweig doch noch antreten könnte, wenn die Wahlen nicht nach seinem Plan verlaufen. Ansonsten soll er Ehrenvorsitzender werden. Als die Delegierten ihn schon zum Auftakt mit Standing Ovations feierten, sagt Gauland: "Liebe Freunde, ich bleibe euch ja noch erhalten."
Das fürchten auch die Demonstranten: In Braunschweig gehen die Proteste über Stunden weiter. Bands spielen auf Lastwagen, die im Demonstrationszug mitfahren. Doch auch die Demonstranten ahnen, dass die AfD bleibt. Sie werde mit ihren vermeintlich einfachen Antworten auf schwierige Fragen in dieser komplizierten Zeit wohl weiter Erfolg haben, fürchtet Petra Jendrny, die im Demonstrationszug durch die Stadt mitläuft. Die Feindseligkeiten gegenüber denen, die anders seien, erschrecke sie einfach nur, sagt sie. "Wir sind in den vergangenen Jahren eine bunte Gesellschaft geworden. Und die wollen wir auch bleiben."