Süddeutsche Zeitung

AfD:"Ist es wirklich klug, von einer Corona-Diktatur zu sprechen?"

Zum Auftakt des AfD-Parteitags rechnet der Vorsitzende Meuthen schonungslos mit den eigenen Leuten ab. Es ist eine Wutrede, die ihresgleichen sucht. Nicht zuletzt zielt sie auf den Ehrenvorsitzenden Gauland.

Von Markus Balser, Berlin

Wie blank die Nerven am Samstagnachmittag beim Parteitag der größten Oppositionspartei im Bundestag plötzlich lagen, machte ein kurzer Auftritt vor laufenden Kameras klar. Als AfD-Fraktionschefin Alice Weidel von einem Nachrichtensender nach dem Kurs der unterschiedlichen Parteiströmungen zwischen wirtschaftsliberal und national gefragt wurde, war die Spitze für die AfD-Führungskraft eine zu viel. "Das können Sie nicht ernsthaft fragen", blaffte Weidel in der Messehalle von Kalkar den Reporter des Senders Phoenix an und stürmte aus dem Mini-Studio.

Für die zerstrittene AfD sollte es nach Monaten der Diskussionen ja eigentlich ein versöhnlicher Parteitag werden. Ein guter Startschuss in den Bundestagswahlkampf. Ein Rentenkonzept wollte die Partei nach sieben Jahren endlich beschließen. Doch der eigene Chef durchkreuzte das Kompromissdrehbuch. Mit einer regelrechten Wutrede rüttelte Co-Chef Jörg Meuthen die eigene Partei durch. Eine halbe Stunde lang rechnete er vor gut 500 Delegierten in der Messehalle von Kalkar schonungslos mit der jüngsten Politik der AfD ab, vor allem mit den Radikalen und Provokateuren in den eigenen Reihen. "Ich sage, das kann und darf so keinesfalls weitergehen", warnte er mit Blick auf die jüngsten von AfD-Abgeordneten ermöglichten Tumulte im Bundestag. "Entweder wir kriegen hier die Kurve, oder wir scheitern und geraten in sehr schwere See."

Das Raunen im Saal wurde mit den immer neuen Vorwürfen des Parteichefs immer größer. Denn klar wurde damit auch: Der Machtkampf um den künftigen Kurs, den die AfD in Kalkar eigentlich verhindern wollte, eskaliert. Die Partei stehe am Scheideweg, sagte Meuthen wohl auch an die Adresse der Berliner Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel, die ebenfalls auf dem Podium saßen.

Vor allem eins nahm sich Meuthen vor: Die Corona-Politik der AfD. "Rumkrakelen oder rumprollen", wie es die Partei gerade im Bundestag habe erleben müssen, lasse die AfD in einem schlechten Licht erscheinen. "Wegen solcher Vorkommnisse wählen uns die Menschen nicht mehr", wetterte Meuthen. Die Partei verkomme zum "Zirkus kunterbunt". "Alles kann kaputtgehen", rief Meuthen. Man dürfe die Corona-Politik der Regierung ruhig kritisieren. "Aber ist es wirklich klug, von einer Corona-Diktatur zu sprechen?", fragte Meuthen. "Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag auch heute wohl kaum so abhalten." Das galt als direkte Spitze gegen Fraktionschef Alexander Gauland, der zuletzt von einer Corona-Diktatur gesprochen hatte. "Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, indem wir immer aggressiver, immer derber, immer enthemmter auftreten", warnte Meuthen.

Gauland: "Den Angriff auf die Bundestagsfraktion habe ich nicht verstanden"

Wie hart die Rede die eigene Partei trifft, wie lange sie nachhallen wird, ließ schon die erste Reaktion auf den Auftritt erahnen. Die Zustimmung fiel verhalten aus. Nicht mal ein Drittel der Delegierten würdigte die Rede Meuthens mit Applaus. Andere Delegierte forderten Meuthen lautstark zum Rücktritt auf, hielten rote Abstimmungskarten als Zeichen der Ablehnung hoch. Erbosten Gegenrednern drehte die Parteitagsleitung in der Folge das Mikrofon ab. Gauland sprach von einer in Teilen spalterischen Rede. "Den Angriff auf die Bundestagsfraktion habe ich nicht verstanden", sagte er. In diese Diskussion müsse sich der Parteichef nicht einmischen. "Das hätte er nicht machen dürfen." In Meuthens Rede habe es zu viel Verbeugungen vor dem Verfassungsschutz gegeben.

Für die AfD brechen mit der neuen Eskalation des Richtungsstreits noch schwierigere Zeiten an. Zuletzt war die Unruhe wegen sinkender Umfragewerte bereits groß. Zudem droht der Partei die Hochstufung durch den Verfassungsschutz und die Beobachtung als Gesamtpartei. Für diesen Fall droht der Partei ein Aderlass bei einem wichtigen Teil der Mitglieder, den Beamten. Meuthen hatte immer wieder eine stärkere Abgrenzung von den Extremen in der Partei und sogar eine Spaltung der AfD ins Spiel gebracht.

Die scheint nun immer konkreter zu werden. Während Meuthen die eigene Partei zur Ordnung rief, kritisierte Co-Chef Tino Chrupalla die scharfe Kritik von Behörden und anderen Parteien an der AfD. Es gebe "ungehemmte Attacken" gegen die Partei, sagte Chrupalla. Gerichte und Verfassungsschutz stünden oft "auf der anderen Seite". Die eigenen Verstöße im Bundestag erwähnte Chrupalla dagegen nicht. Die Angriffe dienten nur dazu, die AfD als politische Partei zu vernichten, erklärte er. Die "Diffamierungskampagne" ende erst, wenn die AfD "unter dem Tisch" liege.

Angesichts des Richtungsstreits in der Partei trat der eigentliche Grund des Parteitags in den Hintergrund. Sieben Jahre nach ihrer Gründung beschloss die AfD am Samstagabend ein eigenes Renten- und Sozialkonzept. Demnach sollen Abgeordnete, Selbstständige und ein Großteil der Beamten künftig auch Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen. Der Leitantrag sieht nur Ausnahmen für Polizisten, Staatsanwälte und andere mit hoheitlichen Aufgaben betraute Beamte vor. Sie sollten weiterhin Beamtenpensionen erhalten. Selbstständige sollten sich demnach nur dann der gesetzlichen Rentenversicherung entziehen können, wenn sie eine private Altersvorsorge nachweisen. Der Vorschlag, ein Grundeinkommen zu testen, fand dagegen keine Mehrheit. Er galt als Wunsch von Parteichef Jörg Meuthen.

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