Schon am Wahlabend zeigte sich, dass Alexander Gauland dieses Bild setzen will. Er kam bei jeder Gelegenheit darauf zurück. Am Montagmorgen machte er vor der Presse in Berlin weiter. Es war eine Provokation ganz nach dem Geschmack des AfD-Vorsitzenden - vorgetragen in einem Ton, als könne es an seiner Behauptung nicht die geringsten Zweifel geben. Natürlich weiß er es besser. Er dürfte auf den Widerspruch spekuliert haben, der genau die von ihm gewünschte Debatte auslöste - so absurd sie vielen Beobachtern erscheinen mag: Die AfD sei die neue bürgerliche Partei, sagte Gauland nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen.
Der frühere Christdemokrat, vierzig Jahre war er in der Union, wiederholt das seit dem Sonntag gern immer wieder. Besonders reklamiert der 78-Jährige diese Rolle für Brandenburg, wo er seit einem guten Vierteljahrhundert in Potsdam lebt. Dort ist die CDU bei der Wahl massiv eingebrochen, hat einen Tiefststand erreicht. "Wir sind jetzt in Brandenburg die bürgerliche Oppositionspartei", sagt Gauland. "Die CDU ist praktisch marginalisiert."
Bürgerlich, die AfD? "Sie müssten sagen, warum wir das nicht sein sollen", antwortet er auf Nachfragen. Gauland könnte die Antworten wohl selbst aufzählen, beginnend mit den vielen Provokationen in Parlamentsreden, die er meist verteidigt, bis hin zum immer wieder mal rüpelhaften Umgang der Parteifreunde untereinander, oft vor der Öffentlichkeit auf Parteitagen, bis zu deren Abbruch. In Brandenburg hat in Andreas Kalbitz ein Spitzenkandidat das AfD-Rekordergebnis erzielt, der die Teilnahme an einer rechtsextremen Demonstration in Athen im Jahr 2007 einräumen musste. In der Parteispitze finden nicht alle, dass dies dem bürgerlichen Ideal entspricht. Gauland verteidigt Kalbitz dennoch.
Beide Landesverbände sind stark vom rechten "Flügel" geprägt
Damit stellt er sich gegen ein Bild, das sich nach dieser Wahl von der AfD festsetzt. Dass sie nämlich nicht politikfähig sein will, sondern gerade weiter nach rechts abrutschen könnte, wie auch manche Pragmatiker in der Partei fürchten. Einzelne aus diesem Lager wirkten am Sonntag geradezu froh, dass die rechten Ostverbände es nicht auf Platz eins geschafft haben, weil sie dann noch mächtiger wären.
Die Landesverbände in Brandenburg und Sachsen sind stark vom rechten "Flügel" der AfD geprägt. Inhaltlich sind sie aus Sicht potenzieller Koalitionspartner, also der CDU, besonders weit von Gemeinsamkeiten in einer Koalition entfernt. Die Landesparteien haben keine Regierungsoptionen entwickelt. Sie setzten dort in den Parlamenten meist auf Fundamentalopposition. Damit könnte ihre Stärke neue Flügelkämpfe auslösen.
Bundesweit stagniert die AfD schon länger in den Umfragen, und auch wenn der Wahlsonntag ein fulminantes Ergebnis brachte, blieb sie hinter ihren Erwartungen. "Dieser Erfolg ist nichts Neues", sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder, der die Entwicklung der AfD und ihre Arbeit in den Parlamenten seit Langem beobachtet. "Solche Ergebnisse hat die AfD schon früher in anderen ostdeutschen Ländern erzielt. Sie kann damit politisch nichts anfangen, weil sie keine Machtoptionen hat." Die AfD befinde sich in einer Sackgasse. "Sie ist nicht politikfähig, was auch daran liegt, dass den Pragmatikern in der Partei eine Integrationsfigur fehlt, die sie so steuern würde, dass sie regierungsfähig werden könnte." Stattdessen werde der rechte Flügel stärker. Die AfD könnte, so Schroeder, "am Ende des Jahres vor der Situation eines erfolgreichen Scheiterns stehen. Sie hat zwar eine hohe Wählerzustimmung und dazu beigetragen, den politischen Diskurs nach rechts zu verändern, kann aber wenig realpolitisch bewirken".
Landeschefin Doris von Sayn-Wittgenstein will sich zurückziehen
Es gibt immer wieder Streit in Landesverbänden, die Parteiflügel beäugen einander mit Argusaugen; oft geht es auch um persönliche Fehden. Gerade hat sich in Bremen die kleine Landtagsfraktion gespalten. Der Landesvorsitzende Frank Magnitz hat die Fraktion verlassen. Man bezichtigt sich, recht unbürgerlich, einer Schlammschlacht. Die Fraktion hat sich aufgelöst.
Fast befriedet sein soll der Konflikt in Schleswig-Holstein. Landeschefin Doris von Sayn-Wittgenstein, von Gauland "falsche Fürstin" genannt, wurde vom Bundesvorstand aus der Partei ausgeschlossen, wollte aber nicht gehen. Der Bundesvorstand drohte Sanktionen an. Nun hat sie sich zum Rückzug bereit erklärt.
Gaulands Co-Vorsitzender Jörg Meuthen gab sich am Montag in Berlin gewiss, eine Spaltung werde es nie geben. Tatsächlich schrecken die Unzufriedenen die Erfahrungen etwa der früheren Vorsitzenden Frauke Petry ab, deren eigene Partei bei der Sachsen-Wahl scheiterte. Die eigentliche Sorge im Bundesvorstand gilt nicht der unwahrscheinlichen Spaltung. Es sind die inneren Blockaden zwischen den Lagern, die quer durch Deutschland wichtige Teile der Partei lahmlegen.
Es kann auf Dauer nicht reichen, nur auf die Bruchlinien der anderen zu zeigen, so wie Gauland an diesem Montag: Er setze darauf, dass es in der CDU in Sachsen große Vorbehalte gegen die Grünen gebe, sagte er. Die Koalitionsgespräche dürften schwierig werden: "Dann wird in der Tat die Frage auftauchen: Ist es nicht besser, mit der AfD mal zu reden?" Dabei hat er selbst bisher stets betont, dass seine Partei noch gar nicht regieren könne.