Süddeutsche Zeitung

AfD-Schiedsgericht:Ein Urteil, das den Machtkampf in der AfD befördern wird

Die Entscheidung, Andreas Kalbitz dauerhaft aus der Partei auszuschließen, ist ein wichtiges Symbol. Bei den parteiinternen Kämpfen geht es jedoch um viel mehr. Vor allem darum, wie weit rechts die AfD sich orientieren will.

Von Jens Schneider, Berlin

Es ist genau der Schritt, den der eine Vorsitzende der AfD, Jörg Meuthen, unbedingt wollte und vor allem brauchte - ein Parteiausschluss mit hohem Symbolwert. Und es ist im Gegensatz dazu genau der Schritt, den der andere AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla für falsch hält und unbedingt verhindern wollte. Schon diese Konstellation macht deutlich, was die Entscheidung des Bundesschiedsgerichts der AfD vom frühen Samstagabend bedeutet, dass Andreas Kalbitz, der Rechtsaußen der Partei und bisherige Brandenburger AfD-Fraktionschef, nicht mehr der Partei angehören darf.

Diese Entscheidung hat den Grundsatzstreit über die Ausrichtung der AfD keineswegs beendet. Sie wird ihn jetzt erst recht befördern - einen Konflikt, den diese Partei dringend führen muss, weil ihre intern konkurrierenden Lager inzwischen zu unterschiedliche Ziele haben, um erfolgreich zusammen arbeiten zu können. Der Fall Kalbitz ist nur das Symbol, um das sich dieser Zwist aktuell dreht. Es geht aber um viel mehr - um die Frage nämlich, wie weit rechts die Partei sich orientieren will, wohin also sie sich politisch entwickeln will.

Kalbitz steht für eine Linie, die sich gegen den Grundkonsens dieses politischen Systems stellt. Die Mitgliedschaft des Brandenburger Landespolitikers und Weggefährten von Björn Höcke ist schon vor Monaten vom Parteivorstand annulliert worden, weil Kalbitz eine extrem rechte Vergangenheit bei seinem Eintritt vor nunmehr sieben Jahren verschwiegen hatte. Dieser Beschluss, mit knapper Mehrheit gefasst, hat im Frühjahr die Parteispitze gespalten und auch einen tiefen Riss durch viele Gliederungen der AfD offengelegt, inklusive der Bundestagsfraktion. Kalbitz setzte sich juristisch zur Wehr, zunächst hob das Berliner Landgericht seinen Ausschluss wieder auf, eben bis zur Entscheidung des Schiedsgerichts der AfD, das nun gegen den Vertreter des ganz rechten Flügels entschied.

Es ging zunächst um eine formale Frage. Kalbitz soll seine frühere Mitgliedschaft in einer extrem rechten Organisation und bei den Republikanern verschwiegen haben. Er wäre damals sonst wohl kaum in die Partei aufgenommen worden. Aber der Parteivorsitzende Meuthen hat längst deutlich gemacht, dass es ihm um mehr geht, auch um die Haltung, für die Kalbitz steht.

Meuthen betonte zwar stets, dass es sich um diesen Einzelfall handele bei der Entscheidung, so wie es vor Kalbitz schon andere getroffen habe, die zu weit rechts außen standen. Doch das ist eine taktische Argumentation, um sich nicht gleich gegen eine breite rechte Front zu stellen. Meuthens Vorgehen ist faktisch eine klare Kampfansage an Kalbitz und all seine Gefährten und Unterstützer, vor allem aus den ostdeutschen Landesverbänden, die sich wie Höcke zuletzt lauthals demonstrativ mit ihm solidarisierten. Es geht um immerhin einen größeren Teil der Landesverbände und ihrer Spitzen im Osten, also in jenen Regionen, wo die AfD bei Wahlen besonders erfolgreich ist - und übrigens auch derzeit noch bei Umfragen relativ stark ist, während sie in Westverbänden schwächelt.

Meuthen hat gern davon profitiert, wenn die AfD auf Ressentiments setzte in ihren Wahlkämpfen

Aber es geht nicht um Ost oder West in der Partei an sich, sondern um die Entscheidung, ob man sich außerhalb des politischen System stellen oder - wie Meuthen zuletzt - die AfD als rechtskonservative Partei etablieren will, gar mit der Hoffnung, einmal mitregieren zu wollen.

Dieses Ziel hat Meuthen vor gut einem Jahr auf dem Parteitag in Braunschweig ausgegeben, auf dem er mit einer großen Mehrheit wiedergewählt wurde. In diesem Juli ist der anfangs als Notnagel an der Seite von Frauke Petry belächelte Meuthen seit fünf Jahren Vorsitzender AfD, so lange wie kein anderer vor ihm. Meuthen hat in diesen fünf Jahren so viele Volten und Kurswechsel hingelegt, dass niemand ihn nun plötzlich für einen gemäßigten Konservativen halten sollte. Er hat gern davon profitiert, wenn die AfD auf Ressentiments setzte in ihren Wahlkämpfen.

Meuthen hat einst auch sogar sehr bereitwillig mit Kalbitz und Höcke paktiert, er hat sie gegen Vorwürfe verteidigt, dass sie zu weit rechts stehen. Er hat sich an Höckes Seite gestellt, als der noch unter Führung von Frauke Petry wegen seiner extremen Rechtslastigkeit aus der AfD ausgeschlossen werden sollte. Höcke blieb, Petry ging, Meuthen gefiel es. Gern sprach er auch als Redner auf Treffen des rechten "Flügels", den der Verfassungsschutz inzwischen als rechtsextrem eingestuft hat. Und dieser Kalbitz/Höcke-Flügel wurde immer stärker.

Spät hat Meuthen erkannt, dass er und seinesgleichen, die nicht in diesem Lager stehen, gegen den rechten Flügel keine Chance haben, wenn sie die Rechtsaußen weiter gewähren lassen. Dazu gehört, dass sie spüren, wie die Partei weniger Gehör findet, in Umfragen stagniert, sogar zurückgefallen ist, und weit weg steht von ihren einst selbst ausgegebenen bizarr großspurigen Zielen, mal die Union ablösen zu wollen. Aber der entscheidende Treiber für die interne Eskalation dürfte die Beobachtung durch den Verfassungsschutz gewesen sein, die zunächst den äußerst rechten "Flügel" betraf, vor allem wegen Höcke und Kalbitz, aber die ganze Partei trifft und aufwühlt.

Der Verfassungsschutz wirkt also, mit freilich offenem Ausgang. Denn der aktuelle Erfolg für Meuthen gibt ihm nur einen kleinen Vorspung in diesem großen Konflikt der AfD, in dem er und seine Unterstützer nicht nur die engen Kalbitz-Vertrauten wie Höcke gegen sich haben. Auch der Ko-Vorsitzende Chrupalla steht gegen Meuthen, der AfD-Ehrenvorsitzende und Vorsitzende der Bundestagsfraktion Alexander Gauland, wie auch die zweite Chefin Alice Weidel. Die Parteispitze ist zerrissen und dabei kaum arbeitsfähig. Meuthen setzt in diesem Kampf auf einen Weg der kleinen Schritte. Er hat vor Augen, wie seine Vorgänger Frauke Petry und Bernd Lucke scheiterten, als sie eine große grundsätzliche Konfrontation riskierten und die Mehrheit der Partei auf ihren Zusammenhalt setzte.

Aber auch bei den kleinen Schritten wird Meuthen weitere Unterstützer brauchen, die in dieser unruhigen Lage auch Risiken eingehen. Als Beobachter der AfD wird man oft gefragt, wer denn die moderaten Konservativen sein sollen, die es angeblich in der AfD geben soll. Wer sich so in dieser Partei einordnet, müsste sich tatsächlich jetzt zeigen. Denn nun ist erst einmal ein Rechtsaußen weg, einer nur, der mit üblen Auftritten etwa im Brandenburger Landtag, aber auch darüber hinaus das politische Klima vergiftete. Einer nur, und viele andere sind weiter in der AfD.

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