Jens Spahn und einige Mitstreiter zündeln an der Brandmauer herum, während andere behaupten, es gäbe – zumindest in Ostdeutschland – schon längst keine Brandmauer mehr. Einmal mehr wird derzeit in allen Talkshows die Frage ventiliert: Ist die AfD eine normale Partei, und wie normal soll man demzufolge mit ihr umgehen? Die Argumente drehen sich oft im Kreis, und die AfD selbst muss gar nichts tun und erfreut sich an den Umfrageergebnissen. Wer einmal harte Fakten brauchen sollte, kann nun beim Publizisten und Juristen Joachim Wagner nachlesen, dass die AfD eben in keiner Weise eine normale Partei ist.
Wo die AfD nämlich politisch nicht weiterkommt – und das ist momentan noch sehr oft der Fall –, bemüht sie in ausufernder Weise die Gerichte. Wagner, früher bekannt als Moderator der ARD-Sendung „Panorama“, hat sich die Mühe gemacht, mehr als 150 Urteile zu AfD-Gerichtsverfahren durchzuackern. Die Erkenntnis: „Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Minderheitenpartei so viele Klagen so gezielt als politisches Kampfinstrument eingesetzt wie die Rechtsaußenpartei.“ Und diese Instrumentalisierung hat ihren Preis: Die Arbeitsfähigkeit der Gerichte kommt immer näher an ihre Grenzen.
Mehr als 80 Prozent der Klagen erfolglos
Im Grunde ist diese ganze gehaltvolle Analyse der wohl bisher umfangreichste juristische Kommentar zum Politikstil der AfD und zum Umgang der anderen Parteien mit diesen Demokratiefeinden. Diskutiert wird das Parteienverbot, die Arbeit der Verfassungsschutzämter bis hin zum parlamentarischen Alltag mit der ewigen Frage: Welche Posten dürfen die AfD-Politiker kriegen und welche nicht. Klar wird dabei, dass die AfD sehr konsequent politische Niederlagen vor Gericht in Siege umwandeln möchte; bisher hat das weder in den Ländern noch vor dem Bundesverfassungsgericht auch nur ansatzweise geklappt. In Karlsruhe waren 80 Prozent der 51 Klagen erfolglos; in den Ländern 86 Prozent von 151 eingereichten Klagen. Der Rechtsweg hat sich also bisher für Partei und Fraktionen nicht ausgezahlt – wenngleich Wagner durchaus überraschend deutlich abweichende Entscheidungen in unterschiedlichen Bundesländern aufzuführen weiß. „Wehrhafter Rechtsstaat und Justiz haben den Stresstest AfD im Großen und Ganzen bestanden.“ Die Justiz ließ sich bisher nicht als „Hebel zum Machtgewinn“ missbrauchen.

Doch was heißt das nun konkret für die anderen Parteien? Das Buch entstand noch vor der Bundestagswahl, darum bezieht sich Wagner sehr oft auf das erfolgreiche Abschneiden der AfD in Ostdeutschland 2024. Zentral ist in seiner Analyse das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster zur Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz vom 13. Mai 2024. Hieraus leitet er ein hohes Risiko für ein mögliches Verbotsverfahren gegen die Partei ab und zitiert aus der Pressemitteilung des OVG: „Was für einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ausreicht, führt nicht zwangsläufig zur Annahme einer erwiesen extremistischen Bestrebung.“ Wagner ist hier auf einer Linie mit dem Ex-Verfassungsrichter Peter Müller, den er immer wieder ausgiebig zitiert. Für die, die dennoch ein Verbot fordern, hat Wagner ein hartes Urteil parat: Für ihn sind die Forderungen lediglich eine „Ersatzstrategie“ aus politischer „Hilf- und Ratlosigkeit“.
Und die Sache mit den Posten im Parlament? Auch hier geht Wagner in die Tiefe und schaut auf die Entwicklung seit 2017, denn am Anfang hatte die AfD ja auch Ausschussvorsitze im Bundestag. Seiner Meinung nach gibt es bisher keine empirischen Indizien, dass die seit 2021 gewählte „Ächtungsstrategie“ (keine Vizepräsidentenposten, keine Ausschussvorsitze) im Bundestag wirkt. Den Befürwortern der Isolierungspolitik sei noch immer nicht klar geworden, dass sie damit die Opfererzählung der AfD fördern würden. In den Ländern ist ohnehin alles komplizierter, da gibt es alles – AfDler in sensiblen Ausschüssen, harte Ablehnung mit Dutzenden Wahlgängen und sogar Blockaden ganzer Gremien über Jahre.
Welche Strategie hat bisher gewirkt? Keine
Wagners unerquickliches Fazit: Bis auf die kurze Zeit nach der Correctiv-Recherche und den Großdemonstrationen gegen „Remigrations“-Pläne habe bisher keine politische Strategie gegen die AfD Erfolg gehabt. Doch wie misst er diesen Erfolg? Sein einziger Indikator sind dabei die Wahl- und Umfrageergebnisse. Die Lektüre der nüchternen Analyse – etwa auch über Stiftungsfinanzierung, Waffenrecht und Rechts-außen-Spieler im FC Bundestag – bringt aber genügend Erkenntnisse und schafft eine breite Faktenbasis dafür, dass die Justiz nicht auf Dauer der Schiedsrichter im Duell mit der AfD sein kann. Schlussfolgern kann man aus den Urteilen aber auch anderes als Wagner.
Etwas unvermittelt kommt dann nämlich auf der letzten Seite noch der Rat, was wirklich helfen könnte: die illegale Migration in den Griff kriegen und das individuelle Asylrecht im nationalen und europäischen Recht abschaffen. Jens Spahn dürfte das gern hören.