AfD im Bundestag:Alternative Fakten für Deutschland

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Die Neuen von der ersten Bank: die AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland und der Abgeordnete Bernd Baumann (v.l.). (Foto: Christian Ditsch/imago)
  • Bei ihren ersten Auftritten im Bundestag nehmen es Abgeordnete der AfD mit den Tatsachen nicht immer ganz so ernst.
  • Auffällig war das bei den Themen syrische Flüchtlinge, Stellenabbau bei Siemens und Ganztagsschulen.
  • Es stellt sich die Frage: Wissen sie es nicht besser oder ist das Absicht?

Von Michael Bauchmüller und Kristiana Ludwig, Berlin

In der dritten ordentlichen Sitzung des Bundestags tritt der AfD-Abgeordnete Bernd Baumann, ein Mann mit Doktortitel, Seitenscheitel und himmelblauer Krawatte, an das Rednerpult und sagt: "Die Sicherheitslage in großen Teilen Syriens hat sich in den vergangenen Monaten substanziell verbessert." In diesem Jahr seien bereits viele Hunderttausend Menschen zurück in das Land gereist, behauptet Baumann und ergänzt: "Auch viele, die in Deutschland Schutz suchten, dürften prinzipiell den Wunsch hegen, zu ihren Familien zurückzukehren. Meine Damen und Herren, wir könnten diesen Menschen helfen." Aber: Stimmt das auch?

Baumanns Fraktion am rechten Rand des Parlaments hat einen Antrag eingereicht, mit dem sie fordert, ein Abkommen mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu schließen. Geflohene sollten von nun an wieder "sicher und kostenfrei" in das Bürgerkriegsland ziehen können, heißt es in dem Papier.

Als Beleg zitieren die Abgeordneten "Angaben der International Organization for Migration" (IOM). Demnach seien in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 600 000 Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt. Das Problem: Die Migrationsorganisation hat im August zwar einen Bericht unter dieser Überschrift veröffentlicht, doch der beschreibt keine bessere Sicherheitslage, im Gegenteil. 93 Prozent dieser 600 000 Menschen hatten laut der Organisation Syrien gar nicht erst verlassen, sie waren innerhalb des Landes geflüchtet. Im selben Zeitraum seien zudem mehr als 800 000 Syrer vertrieben worden. Auch zehn Prozent der Rückkehrer hätten ein zweites Mal fliehen müssen. Eine Heimkehr "sei nicht unbedingt freiwillig, sicher oder nachhaltig", heißt es abschließend. Laut neuesten IOM-Zahlen mussten zwischen Januar und Oktober gar fast 1,5 Millionen Menschen innerhalb Syriens fliehen.

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Auch Abgeordnete können sich mal irren

Haben die AfD-Abgeordneten nur die Überschrift gelesen? Oder haben sie die Tatsachen verdreht? Es ist nicht unüblich in der Politik, Studien freizügig zu interpretieren. Auch Abgeordnete können sich mal irren. Aber in der ersten regulären Sitzungswoche des neuen Bundestags haben AfD-Abgeordnete sich bei den alternativen Fakten schon gut bedient.

Am Mittwoch steht im Bundestag die Causa Siemens auf der Tagesordnung, die SPD hat eine Aktuelle Stunde zum geplanten Stellenabbau eingeplant. Zwei Abgeordnete der AfD treten ans Rednerpult, beide verweisen auch auf das schwierige Geschäft mit Russland. Der Abgeordnete Heiko Heßenkemper benennt ganz direkt das "Russland-Embargo" als Teil des Problems. "Die Modernisierung des russischen Kraftwerksbestands durch deutsche Firmen mit erheblichen positiven Umwelteinflüssen findet nicht statt", kritisiert Heßenkemper. Es dränge sich der Eindruck auf, "dass die vernetzten Auswirkungen politischer Entscheidungen nicht allen Akteuren bewusst sind".

Offenbar auch dem Redner nicht. Denn die Russland-Sanktionen treffen derlei Exporte gar nicht - es sei denn, sie gehen auf die Krim. Auf Anfrage sagt Heßenkemper nun, Exportverluste der letzten Jahre seien "auch eine Folge der politischen Kollateralschäden der Situation". Allerdings sind die Exporte zuletzt wieder gestiegen.

Zuvor hatte sein Kollege Tino Chrupalla Energiewende und "Klimaschutzideologie" zu Ursachen des Stellenabbaus erklärt: "Als direkte Konsequenz daraus sind die Heimatmärkte von Siemens in der Kraftwerksparte komplett zerstört." Dazu passt nur nicht, dass Siemens bei Gaskraftwerken spart - die gerade für Klimaschutz und Energiewende gebraucht werden.

Nicht immer liegen die Dinge so eindeutig. Die AfD beherrscht auch das geschickte Spiel mit wissenschaftlicher Erkenntnis. Am Donnerstag tritt Götz Frömming ans Rednerpult, es geht um das Kooperationsverbot im Bildungswesen. Frömming, selbst Gymnasiallehrer, hält nicht viel von Ganztagsschulen. "Als Praktiker kann ich Ihnen sagen, man hat da nur den Unterrichtstag in die Länge gezogen", sagt er. Im Bundestag aber stützt er sich auf eine Studie, erstellt im Auftrag des Bildungsministeriums. "Dort steht das alles schwarz auf weiß", so Frömming. "Nachweislich lassen sich durch Ganztagsschulen keine besseren Bildungsergebnisse erzielen." - "Antifaktisch!", ruft ein Grüner in den Saal.

Auch das Bildungsministerium will das so nicht stehen lassen. "Die Aussage ist in dieser Härte völliger Unfug", heißt es dort. Das legt auch der Passus nahe, auf den Frömming sich stützt. "Direkte Wirkungen auf fachbezogene Lernbereiche ließen sich zwar nicht belegen", heißt es da. Doch könnten sich gerade Kinder aus sozial schwachen Haushalten besser entwickeln. Schwarz auf weiß - die andere Hälfte.

Eines aber ist neu für die AfD: Im Bundestag wird all das sauber protokolliert. Es lässt sich auf alle Zeit nachlesen. Und nachprüfen.

© SZ vom 25.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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