Süddeutsche Zeitung

Europawahl:AfD - vom Zuwachs enttäuscht

  • Die AfD holt bei der Europawahl knapp elf Prozent.
  • Einige AfD-Anhänger bei der Wahlparty verbergen ihre Enttäuschung über das Ergebnis nicht.
  • Spitzenkandidat Meuthen hatte während des Wahlkampfs viel Mühe, die Parteilinie zu erklären: Die Botschaft lag irgendwo zwischen Drinbleiben-Müssen und Rauswollen aus der EU.

Von Jens Schneider

Die Wahlparty der AfD findet an der Peripherie Berlins statt, in Staaken, im Westen der Hauptstadt, fast schon in Brandenburg. Kurzfristig hat die Partei hierher in eine Tanzschule eingeladen und darauf gedrungen, dass der Ort wenig bekannt wird. Sie reagiert auf die Erfahrungen aus Berlins Zentrum, wo ihr ursprünglicher Gastgeber nach massiven Drohungen die Veranstaltung absagte. Die Zufahrt zur AfD-Feier wird von der Polizei abgeriegelt. Draußen protestieren junge Leute gegen die rechte Partei. "Nazis raus"-Rufe schallen über die Polizeisperre. Drinnen sammelt sich die Parteiprominenz, um ein Ergebnis zu kommentieren, das als Erfolg gelten soll. Es gibt verhaltenen Beifall, als die Prognose verkündet wird: etwa elf Prozent.

Parteichef Jörg Meuthen hält sich mit Triumphgesten zurück, auch wenn die AfD gegenüber 2014 hinzugewinnt. "Wir gehen nach Brüssel, um die EU zu reparieren", kündigt er an. Zum Ergebnis sagt er: "Wir werden in Brüssel mit einer bärenstarken Truppe vertreten sein." Und hört auf mit den Worten: "Jetzt feiern wir erst mal und sehen, was der heutige Abend noch bringt." Nicht viel mehr für, lässt sich zunächst sagen. Die Parteifreunde suchen in gedämpftem Ton Erklärungen für ein Ergebnis, das sie sich besser erhofft hatten.

Die offizielle Botschaft lautet: Ein Zuwachs sei nun mal ein Zuwachs - selbst wenn dieser Zuwachs deutlich unter den ursprünglichen Erwartungen liegt. Noch vor einem Vierteljahr hoffte die Parteispitze auf zwanzig Prozent, entsprechend kämpften Bewerber mit Leidenschaft auch um hintere Listenplätze, um in ein Parlament zu kommen, das die AfD ablehnt.

Nun liegt die AfD klar über den 7,1 Prozent, die sie 2014 noch unter dem Spitzenkandidaten Bernd Lucke holte. Dass sie aber schwächer abschneiden dürften als bei der Bundestagswahl 2017, als sie mehr als zwölf Prozent erreichten, schmerzt die Rechtspopulisten. "Es war doch viel Gegenwind", sagt ein Bundestagsabgeordneter. Intern haben sie die Erwartungen seit Wochen gedämpft, im Wissen darum, dass die aktuellen Debatten der AfD keinen Schub geben.

Da ist das britische Fiasko um den Brexit, das kaum geeignet ist, einer EU-kritischen Partei zu helfen. In dieser Lage war selbst ihren Anhängern die Haltung der AfD zur EU schwer zu vermitteln. Ihre Botschaft lag irgendwo zwischen drinbleiben müssen und irgendwann rauswollen. In ihrem Wahlprogramm spricht sich die AfD dafür aus, sie zu verlassen, wenn die Staatengemeinschaft sich nicht in einem angemessenen Zeitraum in ihrem Sinne verändern lasse. Spitzenkandidat Meuthen hatte viel Mühe, das zu erklären.

Das Fiasko der Schwesterpartei FPÖ in Österreich durch das Strache-Video brachte zusätzliche Sorgen. Erst bestritt man einen Einfluss des Skandals auf Deutschland, nun macht Ko-Parteichef Alexander Gauland die Affäre doch mitverantwortlich für das AfD-Ergebnis. Noch wichtiger mag gewesen sein, dass die Hauptthemen des Wahlkampfs andere Parteien stärkten. So dominierte nicht mehr die Flüchtlingspolitik, sondern der Klimawandel. Dass die Grünen, ihr Hauptgegner, triumphieren, ernüchtert einige. Gauland sagt, er sei "ganz einverstanden mit diesem Ergebnis". Die letzten Wochen seien ein "Abwehrkampf" gewesen. Es sei schwer gewesen, die eigene Position zur EU zu erklären. "Und wenn Sie etwas im Wahlkampf erklären müssen, ist das immer schlecht."

Die Führung will das Ergebnis als Zeichen werten, dass die AfD auch in schwierigeren Zeiten eine gefestigte Wählerbasis hat. Später am Abend, als Ergebnisse aus den Ländern kommen, können sich die Rechtspopulisten doch noch einmal freuen. Im Osten gewinnen sie massiv hinzu, in Sachsen liegt die AfD mit rund 30 Prozent vorn - dort wird im Herbst der neue Landtag gewählt.

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SZ vom 27.05.2019/segi
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