Europäische Union:AfD gründet neue Rechts-außen-Fraktion im EU-Parlament

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Fraktionschef soll René Aust (re.) werden – hier am Tag der Europawahl neben den Parteichefs Chrupalla (li.) und Weidel. (Foto: Jörg Carstensen/DPA)

Die Gruppe „Europa Souveräner Nationen“ versammelt mehrere offen rechtsradikale Parteien. Der geschasste AfD-Spitzenkandidat Krah rechnet damit, dass auch er bald dazugehören wird.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Bis zuletzt hatte es so ausgesehen, als bliebe die Alternative für Deutschland (AfD) im neu gewählten Europaparlament außen vor, fraktionslos, um ihren potenziellen Einfluss gebracht. Die Rechts-außen-Fraktion Identität und Demokratie, gerade neu gegründet unter dem Namen „Patrioten für Europa“, wollte sie nicht an Bord haben. Das Zerwürfnis zwischen dem französischen Rassemblement National und der AfD schien definitiv zu sein. Es hielten sich lediglich seit Juni Gespräche, in denen die in Teilen rechtsextreme Partei aus Deutschland sondierte, eine eigene Gruppe zu gründen.

Kurz vor der konstituierenden Sitzung des Parlaments in der kommenden Woche wird das nun Realität. Bestätigten Medienberichten zufolge hat die AfD 25 Abgeordnete aus acht Ländern um sich versammelt, um eine neue Fraktion unter dem Namen „Europa Souveräner Nationen“ (ESN) zu gründen. Zur Bildung einer Fraktion im EU-Parlament braucht es mindestens 23 Abgeordnete aus sieben Ländern. Die streng nationalistische Ausrichtung des ESN steckt schon im Namen. Im politischen Spektrum wird die Gruppe ganz am rechten Rand zu verorten sein, rechts von den „Patrioten“, die teils deckungsgleiche Positionen vertreten.

Einige ESN-Abgeordnete sind eindeutig rechtsextrem. Mit dabei sind die Konfederacja aus Polen, die bulgarische Wasraschdane, die SPD aus Tschechien, die slowakische Republika, Mi Hazánk Mozgalmo aus Ungarn, die People and Justice Union aus Litauen und nicht zuletzt Reconquête aus Frankreich. Über die vollständige Zusammensetzung hatte zuerst die Welt berichtet. Ein Sprecher von AfD-Parteichefin Alice Weidel bestätigte die Informationen am Mittwochmorgen der Deutschen Presse-Agentur.

„Gegen den Green Deal, Migration und die Islamisierung Europas“

Fraktionschef soll demnach René Aust werden. Ihn hatte die AfD nach der Wahl anstelle ihres Spitzenkandidaten Maximilian Krah zum Delegationsleiter ernannt. Krah, den seine Delegation nach der Europawahl vorsorglich ausgeschlossen hatte, soll der neuen Fraktion demnach nicht angehören. Er hatte kurz vor der Europawahl in einem Interview mit einer italienischen Tageszeitung gesagt, nicht alle Mitglieder der Waffen-SS seien Kriegsverbrecher gewesen; ein Ex-Mitarbeiter Krahs steht unter Spionageverdacht.

Die Fraktion sei seine Idee gewesen, „die sich nun durchgesetzt hat“, sagte Krah der SZ. „Das ist ein großer politischer Erfolg. Dass ich nicht von Anbeginn dabei sein kann, ist menschlich enttäuschend, aber sicher nicht das letzte Wort.“ Die AfD wird mit 14 ihrer 15 Abgeordneten mit Abstand stärkste Gruppe. Andere Mitglieder stellen jeweils überwiegend nur einen bis zwei Parlamentarier. Von der Konfederacja sollen nur drei von sechs, aus der slowakischen Repulika nur einer von zweien Teil der Fraktion sein.

Das Programm wird jenem der Patrioten ähneln. Der Vorsitzende der ultrarechten Partei SPD (Freiheit und direkte Demokratie) aus Tschechien, Tomio Okamura, kündigte gemäß einem Zitat der Nachrichtenagentur CTK an, man werde sich „gegen den Green Deal, Migration und die Islamisierung Europas“ einsetzen. Also: Schluss mit der EU-Klimapolitik, maximale Abschottung an den Außengrenzen, eine programmatische Islamfeindlichkeit.

AfD-Chefin Weidel hatte angekündigt, nicht mit Extremisten verhandeln zu wollen

Die Gründung der Patrioten-Fraktion beansprucht vor allem Viktor Orbán für sich, dessen rechtspopulistische Regierungspartei Fidesz die erste Vizepräsidentin stellt. Die künftige ESN-Partei Mi Hazank Mozgalom („Bewegung Unsere Heimat“) ist in Ungarn Teil der Opposition, wird als extrem nationalistisch eingestuft und vor allem von ihrem Vorsitzenden Lszlo Toroczkai geprägt. Der ist in der Vergangenheit als Gründer militanter rechter Gruppen sowie als Anführer gewaltsamer Demonstrationen gegen die frühere sozialliberale Regierung aufgefallen.

Auch die slowakische Republika-Bewegung wird als rechtsextrem beschrieben. Sie gilt als russlandfreundlich, fordert die Auflösung der Nato und strebt an, die EU zu einer rein wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Nationalstaaten zurückzustutzen. Der Republika-Parteichef Milan Uhrík war in der Vergangenheit mit relativierenden Äußerungen zum Holocaust aufgefallen. Der Chef der Wasraschdane („Wiedergeburt“) aus Bulgarien, Kostadin Kostadinov, hat Minderheiten wie die Roma als „Parasiten“ und „unmenschlichen Abschaum“ bezeichnet.

AfD-Chefin Weidel hatte kürzlich in einem Interview mit N-tv gesagt, man verhandle nicht mit Extremisten. So ist zu erklären, dass die AfD einige Abgeordnete der beteiligten Parteien nicht dabeihaben wollte. „Bevor wir hier mit Obskuranten zusammengehen, werden wir dann doch sehr selbstbewusst auch allein bleiben und über die nächsten Jahre dann sondieren, sollte eine vernünftige Fraktion nicht zustande kommen“, sagte sie. Der Fraktionsstatus – der mehr Einfluss, Redezeit und Geld aus der Parlamentskasse bedeutet – war dann offenbar wichtiger als das Kriterium der Vernunft.

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