Das juristische Gutachterwesen ist ein lukrativer Markt, auf dem sich der Professorensold signifikant aufbessern lässt. Weswegen mancher Ordinarius mal für dieses, mal gegen jenes gutachtet. Wer schon länger mit Dietrich Murswiek zu tun hat, der weiß freilich, dass der inzwischen emeritierte Staatsrechts-Professor, der 1990 als Nachfolger des großen Ernst-Wolfgang Böckenförde an die Universität Freiburg berufen worden war, nicht zu dieser Spezies gehört. Für ihn haben solche Aufträge meist mit innerer Überzeugung zu tun; manchmal sind es Herzensangelegenheiten.
Nirgends ist das so augenfällig wie in seinen Europaklagen, in denen er - als Prozessvertreter des CSU-Politikers Peter Gauweiler - Verfahren um Verfahren vor das Bundesverfassungsgericht gebracht hat, zum Vertrag von Lissabon, zur Euro-Rettung, zuletzt zur EZB. Er war dabei ziemlich erfolgreich, Karlsruhe hat die Verfassungsbeschwerden dankbar zum Anlass genommen, hochfliegende europäische Pläne demokratisch zu erden.
Exklusiv Beobachtung durch Verfassungsschutz:Eigenes Gutachten bringt AfD in Bedrängnis
Ein von der Partei beauftragter konservativer Rechtsexperte empfiehlt dringend mehr Zurückhaltung. Die Spitze hält das aber für nicht umsetzbar. "Wenn man das Papier ernst nimmt, können wir gar nix mehr machen", sagt ein Vorstandsmitglied.
Und der schmale, stets korrekt gekleidete Jurist hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er für die Verteidigung des Nationalstaats gegen europäische Erosionserscheinungen brennt. Nicht, dass er auch nur einen Millimeter an Selbstkontrolle preisgäbe, wenn er über deutsche Haftungsrisiken der Europolitik spricht, oder über expansive Geldpolitik der Zentralbank. Aber dann liegt so eine kaum merkliche Spannung in der Stimme, die signalisiert: Hier hat jemand eine Mission.
Hat Murswiek sich in die AfD-Reihen begeben?
Man kommt also ins Grübeln, wenn man hört, dass Murswiek nun ein Gutachten für die AfD geschrieben hat, zu deren womöglich drohender Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Der nationalkonservative Murswiek, inzwischen 70 Jahre alt, hatte sich in seinen Studentenjahren in die Nähe rechtsnationaler Strömungen begeben. Eine "jugendliche Verirrung", von der er sich später distanziert hat, die einem aber beim Stichwort AfD ins Gedächtnis kommt. Hat er sich in ihre Reihen begeben?
Die AfD? "Ich gehöre ihr nicht an, und ich stehe ihr auch nicht sonderlich nahe", sagt Murswiek der Süddeutschen Zeitung. Und wo er gerade bei den Klarstellungen ist: Er habe nichts zur Frage gesagt, ob die AfD ein Fall für die Beobachtung durch den Verfassungsschutz sei. "Das war nicht mein Auftrag, das könnte ich auch nicht leisten." Dazu müsste man sich ein umfassendes Bild von der Partei machen. Sein Gutachten behandle lediglich die rechtlichen Voraussetzungen einer Beobachtung und beleuchte die Praxis der Verfassungsschutzbehörden. Zudem gebe er der Partei "Handlungsempfehlungen".
Will er die Partei also vor dem Radar des Verfassungsschutzes bewahren?
Das Gutachten - AfD die Grenzen aufzeigen
Murswiek verhehlt nicht, dass ihm die Themen der AfD wichtig sind. Die Eurofrage sowieso, aber auch die Migrationsfrage. Wobei die Art, in der er sich ausdrückt, eher an die CSU erinnert: "Eine Politik der offenen Grenzen geht gar nicht." Erstens werde dadurch der Sozialstaat überfordert, zweitens leide die Integrationsfähigkeit. Für diese Themen habe es jahrelang keine parlamentarische Repräsentation gegeben: "Deshalb halte ich die Existenz der AfD als demokratische Partei für notwendig." Aber eben einer AfD, die sich in den Grenzen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bewege: "Es wäre schade, wenn sie abgleiten würde, so dass sie für Demokraten nicht mehr wählbar wäre."
Murswiek wollte, sagt er, also nicht etwa ein Handbuch der politischen Camouflage schreiben, sondern - da sieht er seine Mission - den politischen Diskurs offenhalten. Das Gutachten sei eine Gelegenheit gewesen, der AfD aufzuzeigen, wo die Grenzen seien. Ein Streiter für die offene Debatte - nimmt man ihm das ab? Der Professor hat als Ratgeber in Sachen Verfassungsschutz bereits Erfahrung gesammelt. Einer seiner Klienten: Bodo Ramelow, Linkspartei - Objekt der Beobachtung, bis 2013 das Bundesverfassungsgericht einschritt.