AfD:Der Wutdenker der AfD

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Die Deutschen müssten lernen, sich gegen "robuste Naturelle" zu wehren. Das sagt der AfD-Politiker Marc Jongen.

(Foto: imago/Gerhard Leber)
  • Marc Jongen gilt als Parteiphilosoph der Alternative für Deutschland.
  • Er sagt, die AfD sei die einzige Partei, die Wut und Zorn in der Bevölkerung nicht nur ernst nehme, sondern anzufeuern wisse.
  • Die Karlsruher Hochschule für Gestaltung ist wegen Jongen in Aufruhr.

Von Karin Janker

Der Streit an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung (HfG) schwelt seit Monaten, vor Kurzem ist er für alle sichtbar geworden: "AfD und Kargida not welcome" stand auf dem Plakat, das Studenten über dem Eingang der Hochschule aufgehängt hatten. Gemeint war damit vor allem Marc Jongen. Er unterrichtet an der HfG Philosophie und ist gleichzeitig stellvertretender Landesvorsitzender der Alternative für Deutschland (AfD) in Baden-Württemberg. Manchen gilt er als Parteiphilosoph, als jener Mann, der das theoretische Gerüst für Krawall-Politiker wie Frauke Petry liefert. An ihm entzündete sich eine Auseinandersetzung: Wie soll man mit der sogenannten Neuen Rechten, die sich in der AfD formiert, umgehen?

Die HfG mit ihren 400 Studenten ist in Aufruhr. Die Studentenvertretung teilt mit, dass "solche Inhalte hier keinen Platz haben". Es gab eine Vollversammlung. Professoren distanzierten sich in einem offenen Brief von Jongen, der lange Assistent des früheren Rektors Peter Sloterdijk war. Interimsrektor Volker Albus nannte Jongens politische Tätigkeit dessen "Privatangelegenheit". Seit Februar ist Siegfried Zielinski neuer Rektor. Noch hat er sich zu dem Fall nicht geäußert.

Platte Parolen sind ihm fremd. Er zitiert Platon, Nietzsche und Carl Schmitt

Jongen legt Wert darauf, politische und akademische Arbeit zu trennen. Nicht einmal das Uni-Telefon möchte er benutzen, um über die AfD zu sprechen. Er steht unter Medienbeobachtung. Den Titel "Parteiphilosoph" hat ihm die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung verliehen; er schmeichelt Jongen, er hilft ihm auch innerhalb der Partei. Die Mehrheit der AfD-Anhänger rekrutiert sich Umfragen zufolge aus gebildeten Milieus, 51 Prozent verfügen über Abitur oder Studium.

Jongen ist eben kein Björn Höcke, er meidet Parolen und argumentiert mit Platon. Aber er verteidigt Höcke. Er sagt, die AfD sei die einzige Partei, die Wut und Zorn in der Bevölkerung nicht nur ernst nehme, sondern anzufeuern wisse. Die "Thymos-Spannung heben", nennt Jongen das. Thymos ist bei Platon, neben Logos und Eros, eine der drei Gemütsbewegungen des Menschen.

Versucht man Jongen mit der Frage zu konfrontieren, ob er tatsächlich wolle, dass der Zorn in der Gesellschaft steigt, wird deutlich, wie vorsichtig er im Umgang mit Medien ist. Kein Interview, bittet er, nur schriftliche Fragen, jede Kürzung in seinen Antworten will er vorgelegt bekommen. Aber dann streitet er keineswegs ab, dass er sich einen kräftigeren Thymos wünscht. "Zorn und Protest sind für die AfD aber kein Selbstzweck, sondern haben ein ganz konkretes Ziel: die verfassungsmäßige Ordnung wieder herzustellen, sodass die Sicherheit im Land und der soziale Frieden nicht weiter gefährdet werden", schreibt er in seiner Antwort. Und dass er sich "mehr Selbstachtung" wünsche.

Wut, Ordnung und Stolz, darauf ist sein Konzept gebaut. Vor allem müsse das Erregungsniveau gehoben werden, damit die Deutschen nicht länger "wehrlos" seien gegenüber "robusteren Naturellen", sagte er der FAS. Und die beste Gegenwehr gegen die bedrohliche "Masseneinwanderung" kommt für ihn über die AfD.

Glaubt er nun an den düsteren Masterplan?

Der 1968 geborene Südtiroler ist inzwischen in Deutschland eingebürgert. 2003 hat er bei Sloterdijk promoviert, seitdem stagniert seine wissenschaftliche Karriere. Sein Doktorvater ließ sich kürzlich mit dem Satz zitieren, er sähe es lieber, Jongen bringe seine "seit langem überfällige" Habilitationsschrift zu Ende. Der aber setzt momentan andere Prioritäten. Jongen hat am Programm für die Landtagswahl mitgeschrieben und strebt nach mehr: Im Sommer ließ er sich für den Bundesvorstand aufstellen und wurde nur knapp nicht hineingewählt. Die Wahl in Baden-Württemberg könnte ein Schritt in diese Richtung sein.

Auch wenn sein Name nicht auf der Wahlliste steht, macht Jongen Wahlkampf. Ein Vortrag in diesem Zusammenhang über die Flüchtlingskrise zeigt seine Argumentationsweise: Zunächst zitiert er Theorien, dass es internationale Pläne gebe, das deutsche Volk zu schwächen, indem eine "Mischbevölkerung" gebildet werden solle. Davon distanziert er sich, schiebt aber hinterher: Wenn Saboteure das Land übernommen hätten, würden sie wohl genau so vorgehen.

Glaubt er nun an den düsteren Masterplan oder nicht? Nein, antwortet er auf die Nachfrage per Mail, dafür seien die globalen Akteure und deren Interessen zu vielfältig. Aber der Thymos dürfte bei den Zuhörern wieder ein bisschen gestiegen sein. Ohne sich die Thesen zu eigen zu machen, kann Jongen darauf vertrauen, dass bei seinem Publikum die Sorge vor der Weltverschwörung schon irgendwie hängen bleibt.

Sich selber nennt Jongen "avantgarde-konservativ". Er bezieht sich auf Friedrich Nietzsche und Carl Schmitt, mit denen er eine Skepsis gegenüber dem Establishment teilt. Ähnlich wie Schmitt zur Zeit der Weimarer Republik spricht Jongen von einer "strukturellen Korruption der Politik", der man eine vitalere Bewegung entgegensetzen müsse - die AfD. Diese Selbstermächtigung rechtfertigt er mit einer "existenziellen Großgefahr": Die deutsche Kultur drohe zu verschwinden.

In einem "Manifest" im Magazin Cicero schrieb Jongen vor zwei Jahren, dass die AfD "bereits von allen Mächten in Deutschland als eine Macht anerkannt" werde. In Baden-Württemberg liegt sie in aktuellen Umfragen bei zwölf Prozent. Der rechte Publizist und Pegida-Redner Götz Kubitschek feiert Jongen als große Hoffnung der Bewegung und kündigte eine philosophische Grundlegung der AfD an. Er erwarte einen "echten Überflug", so Kubitschek, "einordnend, relativierend und mobilisierend" für alle, die "an der Ausweitung der Kampfzone" mitwirkten.

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